ТОП просматриваемых книг сайта:
Resi Trautners Lebensroman. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Resi Trautners Lebensroman
Год выпуска 0
isbn 9788711570319
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der alte Herr rückte mit den Schultern. „Sagenhaften Willis? Mein lieber Junge, davon habe ich noch niemals etwas gehört.“
Der Professor strich sich ein Brot und erklärte: „Willis sind die Geister junger toter Mädchen, die auf Erden allzugern tanzten und selbst im Grabe keine Ruhe finden können. Tanzwut treibt sie des Nachts aus der kühlen Erde, lässt sie in wildem, verzücktem Taze über den Friedhof hinschweben. Heidi! Lustig dahin über Gräber und Leichensteine.“
„An diese Ruhelosen musstest du denken, als du Dolores tanzen sahest?“ sagte der alte Herr langsam und kopfschüttelnd.
Der andere blickte fragend. „Heisst die junge Dame nicht Therese und wird im Hause Resi genannt?“
„Ja,“ der alte Herr nickte, „aber ich nenne sie Dolores, den Namen gab ich ihr, er scheint mir so passend für sie. Ihre stolze, dunkle Schönheit, von einem Hauch leiser Wehmut umzittert, darf nicht Resi heissen.“
„Hast nicht so unrecht, Vater,“ stimmte der Jüngere bei, und lächelnd schloss er: „Nur die Tanzwut passt schlecht zu Dolores.“
Der Aeltere sagte nichts mehr, aber er musste immerfort denken, dass ihm Dolores, wie er sie auch bei sich nannte, doch mehr als einmal versichert hatte, sie habe gar keine besondere Vorliebe für den Tanz.
Der Professor sagte: „Die jüngere Faber ist ein liebliches Geschöpf und voll ernsten Strebens.“ Er erzählte von ihrem Wunsch, Aerztin zu werden, Kinderärztin.
Der alte Herr schüttelte den Kopf. „Der Irrwisch, die Prinzess Putzmücke, Aerztin? Ja, weisst du denn, mein Sohn, mit dem, was du mir heute erzählst, wirfst du meine bisherige Einschätzung vollständig über den Haufen. Da müsste ich ja jahrelang gar keine Augen im Kopf gehabt haben.“ Er machte eine wegwerfende Bewegung. „Der Laubfrosch Aerztin? Es ist einfach lachhaft. Du hast dir von dem grünen Ding einen schönen Bären aufbinden lassen.“
Martin Ernstmann spürte Aerger in sich aufsteigen. Weshalb sprach der Vater so obenhin, so spöttisch von dem herzigsten Mädelchen, das die Erde trug, an das er immer und immer seit gestern abend denken musste. Wenn er nicht schon so ein alter Krauter wäre, weiss der Himmel, die blonde Erna Faber hätte ihm sehr, sehr gefährlich werden können, darüber war er sich völlig klar.
Heimliches Sehnen fasste ihn an.
Er wollte bald abreisen, aber vorher musste er das herzige, liebenswürdige Mädchen noch einmal sehen und sprechen. Morgen würde er einen formellen Dankbesuch für die Einladung machen und sich dabei auch zugleich verabschieden.
Es war ein schöner, klarer Wintervormittag, sonnig und angenehm; da ging Professor Ernstmann durch die stillen Strassen der kleinen Heimatstadt. In der vergangenen Nacht hatte es zum erstenmal geschneit, und hie und da lagen noch weisse Schneeinselchen, darin sich Sonnenstrahlen zu fröhlichem Glitzerspiel verfingen. Doktor Ernstmann besass ein Häuschen oben am Kirchplatz, und der Professor dachte an seine Kinderzeit. Im Winter, wenn es tüchtig geschneit hatte, war er mit den älteren Brüdern auf einem kleinen Schlitten den Kirchberg hinunter gefahren. Hei, war das immer eine Lust gewesen, der Inbegriff aller Lust und allen Vergnügens. Keine spätere Rodelfahrt mit seiner hübschen, lebenslustigen Frau in St. Moritz war ihm so schön erschienen.
Er ging über die Promenade und dachte plötzlich wieder an Erna Faber. Seine Frau war auch blond gewesen, aber nicht von so schimmerndem Goldblond wie Erna, und er dachte an sein stilles, grosses Heim in Frankfurt am Main, darin noch alles so stand wie zu Lebzeiten seiner Frau.
Wie schön das sein musste, wenn in den Räumen wieder ein junges Weib schalten und walten würde! Sonderbar, er, der seit Jahren nicht mehr daran gedacht hatte, verbiss sich mit einem Male an ein blutjunges Ding, dessen Vater er hätte sein können. Und neben der zarten Blonden tauchte eine schlanke Brünette auf, und manchmal schien es ihm, auch sie gefiel ihm allzusehr. Er lächelte ärgerlich. War er denn eine Don-Juan-Natur, dass seine Gedanken plötzlich auf solchen Seitenwegen spazierten?
Er stand dann vor dem kleinen Faberschen Hause. Das öffnende Dienstmädchen liess ihn gleich ein. Die Damen würden sofort erscheinen.
Er befand sich in einem nett und geschmackvoll eingerichteten Zimmer und vertrieb sich die Wartezeit damit, ein auf dem Tisch liegendes Photoalbum zu durchblättern. Die beiden Töchter des Hauses waren mehrfach vertreten. Die ältere sah rassig und fremdartig aus, das fiel ihm wieder besonders auf, die Jüngere licht und hold, fast unirdisch sanft.
Die Tür öffnete sich. Resi trat ein. „Verzeihung, Herr Professor, Mutter und Schwester folgen mir gleich, sie haben gerade eine Beratung mit der Schneiderin, die nun natürlich sofort abgekürzt wird.“
Resi war etwas gedrückt, die Unterhaltung, die sie am Tanzabend mit der Schwester gehabt, machte sie dem Manne gegenüber unfrei.
Er hatte auf ihre Einladung wieder Platz genommen und fragte nun: „Wie ist Ihnen das viele Tanzen letzthin bekommen, mein gnädiges Fräulein?“
War wirklich ein kleiner spöttischer Unterton in seiner Frage gewesen, oder bildete sie sich das nur ein?
Sie antwortete ziemlich kurz: „Wundervoll ist mir der Tanz bekommen.“
Sie hat etwas Hochmütiges, stellte Professor Ernstmann fest, und empfand das Alleinsein mit dem feierlich ernsten Mädchen peinlich und unbequem.
Eben öffnete sich wieder die Tür. Frau Doris und Erna traten ein. Morgenfrisch, lächelnd, angeregt von der Unterhaltung mit der Schneiderin. Der Professor wurde warm begrüsst, ordentlich wohltuend stach die Begrüssung von der Resis ab.
Resi ging sofort, schützte Hausarbeit vor, und der Professor atmete auf. Ihre dunklen, ernsten Augen, in denen ein seltsamer Ausdruck, fast wie eine Warnung, gelegen, ehe sie ging, verstimmte ihn. Eine Warnung? Wovor hätte Resi ihn warnen sollen?
Erna plauderte mit geröteten Wangen und holdseligem Lächeln, und dann fragte Frau Doris, wie lange der Herr Professor seinen Besuch beim Vater auszudehnen gedenke.
Er antwortete, er würde schon in den nächsten Tagen die Heimatstadt wieder verlassen. Irrte er sich oder hatte er in Ernas Augen wirklich ein Erschrecken gesehen?
Frau Faber wurde ans Telephon gerufen. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, sagte Erna leise: „Weshalb wollen Sie denn schon so schnell wieder fort, Herr Professor, muss das denn sein?“
Er zuckte zusammen, denn aus dem süssen Antlitz vor ihm sprachen allzu deutlich Trauer und Schmerz. Tat es ihr leid, dass er schon wieder ging? Aber sie kannte ihn doch kaum, er war ihr fast ein Fremder.
Er lächelte. „Ja, ich muss wieder heim, Fräulein Faber, Pflichten rufen, mein Vater ist gewohnt, allein zu sein, und sonst lasse ich niemand hier zurück, dem mein Weggehen leid tut.“
Wie kam er nur dazu, so deutlich zu sein? Er wusste es nicht, wusste nur, dass in ihm plötzlich eine Unruhe brannte wie in einem Primaner, der auf das Gegengeständnis seiner Verehrten, Angeschwärmten wartet.
Ernas Köpfchen erfasste klug die Sachlage. Sie dachte, es könne wohl nichts schaden, alles auf eine Karte zu setzen.
Leise, gleich einem Hauch, drang es an sein Ohr: „Ich wünschte, Sie blieben noch hier, ich wünschte es so aus ganzem Herzen.“
Er blickte sie an. Ihre dunklen, dichten Wimpern lagen auf den Wangen, sie sass wie starr.
Martin Ernstmann erhob sich. „Fräulein Faber, Sie wissen so wenig von mir, wir lernten uns erst kennen, was kann Ihnen an meiner Person liegen?“ Erregung wehte durch seine Stimme.
Erna lächelte, und langsam, ganz langsam schoben sich ihre Lider hoch. Mit gefalteten Händen, gleich einem Kinde, das betet, sagte sie: „Ich habe Sie so schrecklich gern, so gern, wie ich noch nie einen Menschen gehabt, und darum —“ Sie brach ab und sass wieder mit niedergeschlagenen Augen da.