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dass da ein Tumor ist? Wie soll ich Nina das bitteschön beibringen? Und Sophie?« Er raufte sich die Haare.

      Christine Lekutat zuckte mit den Schultern.

      »Das Leben ist hart und ungerecht.« Die Chirurgin war gleichermaßen bekannt und gefürchtet für ihre Sprüche. Diesmal konnte Daniel Norden ihr aber noch nicht einmal böse sein.

      Er trat zu Matthias und klopfte ihm auf die Schulter.

      »Nimm es dir nicht so zu Herzen. Wir können nicht immer gewinnen.«

      Dr. Weigand drehte sich um. Sah seinem Freund und Chef ins Gesicht.

      »Schon möglich«, erwiderte er bitter. »Aber warum habe ich das Gefühl, dass ich zur Zeit nur noch verliere?«

      *

      Als Nina müde wurde und schlafen wollte, beschloss ihre Freundin Sophie, dem Klinikkiosk einen Besuch abzustatten. Sie packte Lea in den Kinderwagen und machte sich auf den Weg.

      Inzwischen hatte der erste Ansturm nachgelassen, sodass das Klingeln der altehrwürdigen Kasse das Murmeln und Plaudern übertönte. Der Inhaber Korbinian Windisch stand hinter dem Ladentisch und verkaufte Zahnpasta und Duschgel, Zeitschriften und Knabbereien, die der Arzt verboten hatte, auf die manch ein Patient aber trotzdem nicht verzichten wollte. Eine von mehreren Teilzeitkräften kümmerte sich um die Gäste, die ihre wohlverdiente Pause unter Palmen sichtlich genossen.

      Nur ein Mann machte eine Ausnahme. Sophie entdeckte ihn, als ihre Augen den Platz vor dem Kiosk nach einem freien Tisch rasterten. Ganz allein saß Hartmut Pastor in einer Ecke und starrte vor sich hin. Ungewöhnlich genug, dass der Ausdruck in seinem Gesicht an Sophies Herz rührte. Empathie war normalerweise keine ihrer Stärken. Doch die Krise mit Matthias schien neue Seiten in ihr zum Klingen zu bringen. Sie hob Lea aus dem Kinderwagen. Mit der Kleinen auf dem Arm marschierte sie kurzentschlossen auf den einsamen Mann zu.

      »Entschuldigung, ist hier noch frei?«

      Hartmut blickte auf. Sah Sophie und ihre Tochter. Und sah sie doch nicht.

      »Ja, ja. Setzen Sie sich«, erwiderte er nach einer gefühlten Ewigkeit.

      Sophie setzte sich auf den freien Stuhl. Wie eine Prinzessin thronte Lea auf ihrem Schoß.

      »Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sie sich, nachdem sie Apfelkuchen und Tee bestellt hatte.

      Hartmut kratzte die letzten Reste Sahne vom Teller und schob die Gabel in den Mund. Er trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse umständlich wieder zurück. Sophie wollte ihre Frage schon wiederholen, als er sich offenbar an sie erinnerte.

      »Meine Frau und ich, wir sind schon seit 30 Jahren verheiratet.«

      »Glückwunsch!« Sophie lächelte wehmütig.

      Matthias und sie hatten noch nicht einmal ein Jahr Beziehung geschafft. Von Ehe ganz zu schweigen.

      »Unsinn!« Er winkte ab. »Ich glaube, wir sind nur noch aus Gewohnheit zusammen. Warum ist mir das vorher nicht aufgefallen?« Er lehnte sich zurück. Ließ den Blick schweifen und nahm seine Umgebung doch nicht wahr. »Dabei waren wir einmal das, was andere ein Traumpaar nannten.« Er seufzte. »Ich glaube, wir haben beide nicht bemerkt, wie sehr wir uns verändert haben.«

      Sophie hatte alle Hände voll damit zu tun, den Floh auf ihrem Schoß am Herunterspringen zu hindern. Trotzdem hörte sie aufmerksam zu.

      »Vielleicht ist genau das das Problem«, mutmaßte sie. »Das Leben findet im Hier und Jetzt statt. Nicht vor zwanzig oder dreißig Jahren.«

      Hartmut stützte das Kinn in die Hand.

      »Es war trotzdem schöner damals. Das Einzige, das uns heute noch verbindet, ist Essen.« Diese Erkenntnis schmeckte bitter wie Galle. Hartmut Pastors Gesichtsausdruck bestätigte es.

      Sophie bedankte sich bei der Bedienung. In letzter Sekunde rettete sie das Stück Kuchen davor, von zwei flinken Patschehänden in ein Schlachtfeld verwandelt zu werden.

      »Wer ist denn der behandelnde Arzt?«, erkundigte sie sich und schob Lea ein Apfelstück in den Mund.

      »Dr. Matthias Weigand«, ließ die Antwort nicht lange auf sich warten. Hartmut Pastor legte den Kopf schief und sah Sophie an. »Hat er etwa Erfahrung in Eheberatung?«

      Dieser Gedanke ließ sie auflachen.

      »Das nicht«, gestand sie und trank einen Schluck Tee. Über den Rand der Tasse blinzelte sie Hartmut Pastor an. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«

      *

      »So, jetzt weißt du es.« Muriel Buri hatte ihr Vorhaben nicht wahrgemacht. Sie hatte die Klinik nicht verlassen. Warum, wusste sie selbst nicht so genau. War der bittende Ausdruck in Milans Augen schuld daran gewesen? Jedenfalls war sie auf die Bettkante zurückgekehrt und hatte ihre Geschichte erzählt.

      Milan Aydin musterte sie.

      »Du glaubst also, dass du an ALD erkrankt bist.«

      »Meine Mutter ist daran gestorben. Und glaube mir, das war nicht lustig.«

      In diesem Moment war Dr. Aydin ganz Arzt.

      »Soweit ich weiß, betrifft diese Erbkrankheit in der Regel männliche Nachkommen. Es kommt nur sehr selten vor, dass beide X-Chromosomen einer Frau den Defekt tragen, der dann zur Ausprägung der Krankheitssymptome führt.«

      »Ein Lottogewinn sozusagen.« Muriel lachte. Es klang nicht froh. »Und glaube mir: So was zu erleben … wie jemand, den du liebst, nach und nach an so einer Krankheit kaputt geht …« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das willst du nicht.«

      »Natürlich nicht. Aber ist das ein Grund, ein Studium abzubrechen? Drogen zu nehmen? Eine Behandlung zu beenden?«

      »Es ist ein guter Grund dafür, alles mitzunehmen, was uns dieses Leben zu bieten hat.« Muriel warf den Kopf in den Nacken. Sah ihn an, trotzig wie ein kleines Mädchen, das seinen Kopf durchsetzen wollte.

      Auf Milans Stirn kräuselte sich ein Meer aus Falten. Täuschte er sich oder waren wirklich noch keine Krankheitssymptome zu erkennen?

      »Wie weit ist die Erkrankung bei dir fortgeschritten?«

      »Woher soll ich das wissen?«

      Moment mal!

      »Du hast dich nicht testen lassen?« War das denn zu fassen? »Die Chancen stehen 50 zu 50, dass du die Krankheit nicht in dir trägst. Und dann ist es auch noch nicht gesagt, dass sie so schwerwiegend verläuft.«

      Muriel schürzte die Lippen.

      »Ich will es nicht wissen, okay? Ich will mir keine unsinnige Hoffnung machen, nur um dann enttäuscht zu werden. Bei meiner Mutter haben uns die Ärzte Hoffnungen gemacht. Und? Was hat es gebracht?«, redete sie sich immer mehr in Rage. »Dass sie nach und nach alle neurologischen Fähigkeiten verloren hat. Ich will mich nicht an die trügerische Hoffnung klammern und alles verlieren, was ich jetzt habe.« Eine einsame Träne rann über ihre Pfirsichwange.

      Milan konnte nur den Kopf schütteln.

      »Was macht dein Leben denn jetzt aus? Drogen? Alkohol? Affären? Ist es das, was dich glücklich macht?« Seine Stimme war dunkel vor Bitterkeit.

      »Und wenn schon?« Mit dem Handrücken wischte Muriel die Träne weg. Fast ärgerlich, wie es schien. »Wenigstens habe ich Spaß dabei.«

      Eine Weile sagte keiner ein Wort. Im Zimmer war es still. So still, dass die Geräusche von draußen hereinwehten. Schritte näherten und entfernten sich wieder. Geschirr klapperte. Der spitze Schrei eines Kindes weckte Milan schließlich aus seinen Gedanken.

      »Wovor hast du Angst, Muriel?«, fragte er rau. »Dass du gesund sein könntest und damit die Legitimation für dein Lotterleben verlierst? Dass du dir nicht mehr verbieten kannst, dich zu verlieben.« Erschrocken hielt er inne. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Doch es war zu spät, um die Worte zurückzunehmen.

      Muriels Miene war der beste Beweis

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