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Tür klebte. »Solange Ihr Privatleben keinen Einfluss auf Ihre berufliche Qualifikation hat, habe ich nichts dagegen.« Er zwinkerte dem Kollegen zu und wollte sich wieder auf den Weg machen.

      »Halt!«, rief Milan ihm nach und beeilte sich, ihm zu folgen. Die Rollstuhlreifen quietschten auf dem Boden. »Wo wollen Sie hin?«

      »Zu Frau Buri. Ich bringe ihr ein Medikament gegen ihren Husten.« Er hielt die Schachtel hoch. »Aber wenn Sie wollen, können Sie das gern übernehmen.«

      Milan Aydin zögerte nur kurz. Dann streckte er sich nach der Schachtel und rollte davon.

      Keine zwei Minuten später stand er in Muriels Zimmer. Sie saß auf dem Bettrand. Ihr rechtes Bein steckte zur Hälfte in der Jeans. Das Kliniknachthemd lag vor ihr auf dem Fußboden.

      »Was machst du da?«, fragte Milan entgeistert.

      Sie sah nur kurz hoch.

      »Wonach sieht es denn aus?«

      »Du kannst die Klinik noch nicht verlassen. Das wäre lebensgefährlich.« Milan sah ihr dabei zu, wie sie von der Bettkante rutschte und die Hose über die Hüften zog.

      »Ach was!« Muriel schloss den Reißverschluss, schlüpfte in Glitzershirt und Pumps – das Outfit des vergangenen Abends, das Milan in weiser Voraussicht noch in der Nacht mitgenommen hatte – und stackste hinüber zum Stuhl, wo ihre Tasche lag. Sie hängte sie über die Schulter und sah sich um. »Lebensgefahr! Das behauptet ihr Ärzte doch nur, damit ihr die Patienten länger einsperren und mehr Geld an ihnen verdienen könnt.«

      »Warum sollten wir? Mein Gehalt bleibt immer das Gleiche. Egal, ob ich drei oder zehn Operationen am Tag mache.«

      »Meinetwegen. Ist ja auch egal.« Muriel warf das Haar in den Nacken und wollte an Milan vorbei zur Tür gehen.

      Mit einer geschickten Drehung versperrte er ihr den Weg.

      »Hey, was soll denn das?«, fauchte sie wie eine wütende Katze.

      »Wo willst du hin?«

      Sie stützte die rechte Hand in die Hüfte und musterte ihn von oben herab.

      »Nach Hause. Ich stehe nicht so auf Krankenhäuser.«

      »Niemand mag Kliniken. Aber das ist noch lange kein Grund, sein Leben aufs Spiel zu setzen.«

      Muriel rollte mit den Augen.

      »Es geht mir gut. Mir fehlt nichts. Ehrenwort.« Sie hob die rechte Hand und streckte Daumen, Zeige- und Mittelfinger in die Luft.

      Milan Aydin musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. Eine Frau wie diese Muriel Buri war ihm noch nie begegnet. Er hätte es nie zugegeben. Aber sie war die personifizierte Herausforderung.

      »Tut mir leid«, erwiderte er. »Aber diesmal kann ich es dir nicht so leicht machen wie gestern Abend.«

      Muriel überlegte kurz. Auf einmal machte sie kehrt. Mit Mannequinschritten ging sie zurück zum Bett und setzte sich auf die Bettkante. Schlug die Beine übereinander.

      »Na schön.« Selbst mit Grimasse sah sie umwerfend aus. »Dass ich Muriel Buri heiße und 28 Jahre alt bin, weißt du ja schon. Was könnte ich noch interessieren? Vielleicht, dass ich nach dem Abitur Maschinenbau studiert habe.«

      Milan verschluckte sich.

      »Maschinenbau? Alles klar«, krächzte er. »Nicht gerade ein Klassiker für Frauen.«

      »Was soll denn das jetzt heißen?« Ihre Augen feuerten wütende Blitze auf ihn ab. »Auf diesem Niveau brauchen wir uns gar nicht weiter unterhalten.«

      »Schon gut. Es war nicht so gemeint«, versicherte er schnell und atmete auf, als sich ihre Miene entspannte. »Was hast du nach dem Studium gemacht?«

      Muriel klemmte sich eine blonde Rapunzelsträhne hinters Ohr. Die Art, wie sie den Kopf neigte, raubte Milan Aydin den Atem.

      »Im fünften Semester abgebrochen.« Sie lachte wie ein Mädchen. »Das Leben ist zu kurz, um es in stickigen Hörsälen zu verbringen. Ich habe meinen Rucksack gepackt, bin zum Flughafen gefahren und habe mir ein Ziel möglichst weit weg ausgesucht. Seitdem bin ich meistens unterwegs. Neuseeland, Australien, Papua Neuguinea, Philippinen.« Ihr Gesicht veränderte sich. Bekam ein besonderes Strahlen. Als leuchtete es von innen. »Als nächstes möchte ich den Kontinent wechseln und nach Südamerika gehen. Nach Patagonien.«

      Milan Aydin sah sie an, als hätte sie ihm vorgeschlagen, mit ihr zu kommen.

      »Und wie finanzierst du das alles?«

      »Ich schreibe im Internet über meine Erfahrungen, veröffentliche Fotos und Reiseberichte und verdiene Geld mit der Werbung, die Firmen auf meinen Seiten schalten«, erzählte sie unbeschwert. »Und wenn das Geld mal knapp wird, suche ich mir einen Job in einem Hostel oder auf einer Farm. Arbeit gibt es eigentlich immer irgendwo.«

      Milan schwirrte der Kopf. Wie hatte er diese Frau nur so falsch einschätzen können? Dabei war er doch gerade auf seinen Ruf als Frauenkenner besonders stolz. Er sah ihr dabei zu, wie sie vom Bett rutschte.

      »Bin ich jetzt entlassen, Herr Doktor?«, fragte sie keck.

      Milan Aydin konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal sprachlos gewesen war.

      »Ja … nein … ach, keine Ahnung.« Wütend rollte er zur Seite. Machte den Weg frei. Sah Muriel dabei zu, wie sie zur Tür ging. Sie hatte die Hand auf der Klinke, als er wenigstens einen klaren Gedanken zu fassen bekam.

      »Und was, wenn ich dich bitte zu bleiben?«

      *

      Wie so oft, wenn eine schwierige Diagnose anstand, versammelten sich ein paar Kollegen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Gemeinsam eine Lösung zu finden. Diesmal hatten sich auf Matthias Weigands Bitte hin Dr. Daniel Norden und Christine Lekutat im Besprechungszimmer versammelt. Gemeinsam betrachteten sie die Bilder, die wie ein modernes Kunstwerk in Schwarzweiß von der Leinwand strahlten.

      »Frau Schöns Bauchspeicheldrüse sieht völlig unauffällig aus.« Dr. Norden hatte die Bilder aus allen Perspektiven betrachtet. Ohne Ergebnis.

      Auch Matthias war ratlos.

      »Warum ist es so schwer, ein Insulinom zu finden?«, murmelte er vor sich hin. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Noch einen Fehler konnte und wollte er sich nicht erlauben.

      Ein leises Krachen und Knirschen ließ ihn herumfahren. Christine Lekutat knabberte mit Vergnügen an einem Keks aus der Großpackung.

      »Was denn?«, verteidigte sie sich gegen den stummen Vorwurf. »Besonders für einen Arzt ist es wichtig, immer auf eine ausreichende Kalorienzufuhr zu achten. Die Folgen einer Unterzuckerung sind ja hinlänglich bekannt.«

      »Es wäre trotzdem nett, wenn Sie sich auf die Bilder konzentrieren könnten.«

      Christine schob auch noch den letzten Rest Keks in den Mund.

      »Daf habe if längft getan«, nuschelte sie mit vollem Mund und trank einen Schluck Wasser nach. »Und um Ihre Frage von vorhin zu beantworten: Ein Insulinom lässt sich deshalb so schwer lokalisieren, weil es aufgrund seiner geweblichen Struktur kaum von der Umgebung zu unterscheiden ist. Da hilft auch Kontrastmittel kaum weiter.«

      »Ist denn sicher, dass die Patientin wirklich an einem Insulinom leidet?«, stellte Dr. Norden die alles entscheidende Frage.

      »Wir konnten den Tumor durch einen intraarteriellen Kalziumstimulationstest nachweisen.« Dr. Weigand griff nach seinem Tablet und suchte in seinen Dateien nach dem Bericht. »Hier!« Er reichte Daniel das Gerät.

      Der Klinikchef überflog die Werte.

      »Hmmm. Du hast recht. Das Ergebnis spricht für sich.« Wieder ein Blick hinauf zu den Aufnahmen. »Dummerweise ist ein Insulinom häufig so klein, dass es über Jahre nicht gefunden werden kann.« Er schickte Matthias einen Blick, der Bände sprach. »Es tut mir sehr leid für deine Patientin.«

      Matthias

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