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Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Cicero
Год выпуска 0
isbn 9788027209569
Автор произведения Марк Туллий Цицерон
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Kap. VII. (§ 23.) Wenn nun alle Pflichten von den Anfängen der Natur ausgehen, so muss dies auch für die Weisheit gelten. So wie es aber sich häufig trifft, dass wenn Jemand an einen Andern empfohlen ist, er diesen werther hält als Den, welcher ihn empfohlen hat, so kann es auch nicht auffallen, dass wir zuerst von den Anfängen der Natur an die Weisheit empfohlen werden und dass später die Weisheit uns doch theurer wird als das, von dem aus wir zu ihr gelangt sind. Und so wie die Glieder uns in der Weise gegeben sind, dass sie für bestimmte Thätigkeiten im Leben dienen sollen, so ist auch das Begehren der Seele, was griechisch hormê heisst, nicht für jede Art des Lebens, sondern zu gewissen bestimmten Weisen des Lebens nach meiner Meinung gegeben, und dasselbe gilt für die Vernunft und für die vollkommene Vernunft. (§ 24.) So wie dem Schauspieler nicht jede Stellung, dem Tänzer nicht jeder Sprung, sondern ein bestimmter vorgeschrieben ist, so muss auch das Leben nach einer gewissen Weise geführt werden und nicht auf jede beliebige Weise; jene heisst die übereinstimmende und gemässe. Nach unsrer Ansicht ist die Weisheit nicht der Steuermannskunst und nicht der ärztlichen Kunst ähnlich, sondern mehr jener erwähnten Kunst des Schauspielers und Tänzers, so dass in ihr selbst die Wirksamkeit der Kunst enthalten ist und ihr Zweck nicht von Aussen entlehnt wird. Indess ist auch von diesen Künsten die Weisheit dadurch unterschieden, dass das richtige Handeln bei jenen nicht alle Theile umfasst, aus denen diese Künste bestehn; dagegen enthalten die Handlungen, die wir rechte oder recht geschehen, wenn's gefällt, nennen wollen und die bei den Griechen katorthômata heissen, alle Bestandtheile der Tugend. Denn nur die Weisheit ist ganz in sich beschlossen, was bei den andern Künsten nicht der Fall ist. (§ 25.) Nur aus Unverstand wird das Ziel der Arznei- oder Steuermannskunst mit dem Ziel der Weisheit verglichen; denn die Weisheit befasst auch die Seelengrösse und die Gerechtigkeit, und sie meint, dass Alles, was den Menschen treffen könne, unter ihr stehe, was bei den übrigen Künsten nicht Statt hat. Niemand kann aber die erwähnten Tugenden festhalten, wenn er nicht annimmt, dass zwischen allen sonstigen Dingen, mit Ausnahme des Sittlichen und des Schlechten, kein Unterschied stattfindet. (§ 26.) Sehen wir nun, welche bedeutenden Folgen sich aus diesen Sätzen ergeben. Wenn es nämlich das Höchste ist (Du wirst nämlich bemerkt haben, dass ich das, was die Griechen telos nennen, bald als das Höchste, bald als das Aeusserste, bald als das Ziel bezeichne, denn man kann wohl auch das Aeusserste und Letzte das Ziel nennen), wenn es also das Höchste ist, der Natur gemäss und mit ihr übereinstimmend zu bleiben, so folgt nothwendig, dass alle Weisen immer glücklich, unabhängig und zufrieden leben, durch nichts gehemmt oder gehindert werden und nichts entbehren. Was nun nicht blos diese Lehre, über welche ich spreche, sondern auch unser Leben und unser Glück befasst, der Satz nämlich, dass wir das Sittliche für das alleinige Gut anerkennen, dies kann zwar breit und ausführlich dargelegt werden und in den gewähltesten Ausdrücken und gewichtigsten Aussprüchen rednerisch ausgeschmückt und umständlicher dargestellt werden, allein mir gefallen die kurzen und scharfen Folgesätze der Stoiker besser.
Kap. VIII. (§ 27.) Ihre Beweisführung geht also kurz dahin: Alles Gute ist lobenswerth und alles Lobenswerthe ist sittlich, daher ist das Gute auch sittlich. Scheint Dir dieser Schluss nicht richtig? Offenbar ist er es, denn das, was aus jenen beiden ersten aufgestellten Sätzen folgt, das bildet, wie Du siehst, den Schlusssatz. Man pflegt indess gegen den ersten von diesen beiden Sätzen, aus denen dieser Schluss abgeleitet worden ist, zu sagen, dass nicht jedes Gut lobenswerth sei; dagegen erkennt man an, dass alles Lobenswerthe sittlich sei. Allein es wäre sehr widersinnig, dass ein Gut nicht begehrenswerth sein sollte und dass das Begehrenswerthe nicht gefallen sollte, und wenn dies der Fall, dass es nicht geliebt werden sollte. Deshalb muss es auch gebilligt werden und ist daher auch lobenswerth, und dies ist das Sittliche. So erhellt, dass, was ein Gut ist, auch sittlich ist. (§ 28.) Dann frage ich, wer kann wohl eines elenden oder eines unglücklichen Lebens sich rühmen? Nur von einem Glücklichen kann dies geschehen. Daraus folgt, dass das glückliche Leben so zu sagen des Rühmens werth ist, und dies kann mit Recht nur bei einem sittlichen Leben zutreffen. So ergiebt sich, dass das sittliche Leben auch glücklich ist. Da nun der mit Recht Gelobte in Bezug auf Zierde und Ruhm etwas Ausgezeichnetes besitzt, so dass er deshalb mit Recht glücklich genannt werden kann, so kann man dies auch mit Recht von einem solchen Manne sagen. Wenn so das glückliche Leben in der Sittlichkeit befasst ist, so muss das Sittliche auch für das einzige Gut gelten. (§ 29.) Wie aber? Kann man wohl leugnen, dass ein Mann von beharrlicher, fester und grosser Gesinnung, den man einen tapfern nennt, unmöglich ist, wenn nicht feststeht, dass der Schmerz kein Uebel ist? Denn so wie Der, welcher den Tod zu den Uebeln rechnet, ihn fürchten muss, so kann auch Niemand das, was er für ein Uebel erklärt, verachten und sich nicht darum kümmern. Aus diesem von Jedermann gebilligten Satze folgt dann, dass ein Mensch von grossem und tapferem Gemüth Alles, was den Menschen treffen kann, verachten und für Nichts halten muss. Und ist dem so, dann ist auch erwiesen, dass nur das Sittlich-Schlechte ein Uebel ist. Der erhabene und ausgezeichnete Mann von grosser Seele, der wahrhaft tapfer ist, wird alles Menschliche unter sich stellen; er, den wir suchen und verwirklichen wollen, wird auf sich selbst und auf sein vergangenes und künftiges Leben vertrauen; er wird über sich selbst richtig urtheilen und annehmen, dass einen Weisen kein Uebel treffen könne. Auch daraus erhellt dasselbe, nämlich dass nur das Sittliche das höchste Gut ist und dass das glückliche Leben in einem sittlichen Leben und in der Tugend besteht.
Kap. IX. (§ 30.) Ich weiss indess wohl, dass bei den Philosophen hierüber verschiedene Ansichten geherrscht haben; ich meine bei denen, welche das höchste Gut, was ich das äusserste nenne, in die Seele verlegten. Wenn nun auch Manche hier fehlgegriffen haben, so kann ich doch jenen drei Philosophen, wel che die Tugend von dem höchsten. Gut getrennt haben, indem sie entweder die Lust, oder die Schmerzlosigkeit, oder das erste Naturgemässe für das höchste Gut erklärten, so wenig wie jenen anderen dreien, welche die Tugend ohne Zusatz für unzureichend hielten und deshalb von den obgenannten drei Dingen eines damit verbanden, beitreten, sondern ich stelle über sie alle Die, welche, wie auch sonst ihre Lehre beschaffen sein möge, das höchste Gut in die Seele und in die Tugend verlegt haben. (§ 31.) Allein auch Jene haben verkehrte Ansichten, welche das Leben in der Wissenschaft für das höchste Gut erklären, ebenso Die, welche keinen Unterschied in den Dingen anerkennen wollen. Nach Diesen ist der Weise glücklich, indem er keinen Gegenstand einem andern in irgend einer Beziehung vorzieht, und einige Akademiker sollen ausgesprochen haben, dass das höchste Gut und die höchste Aufgabe des Weisen darin bestehe, von dem Geschehenen sich nicht erschüttern zu lassen und seine Zustimmung mit Festigkeit zurückzuhalten. Man pflegt diese verschiedenen Ansichten ausführlich zu widerlegen, allein das Klare darf nicht lang sein, und es ist doch nichts klarer, als dass jene gesuchte und gerühmte Klugheit aufhört, wenn zwischen den Dingen, die gegen die Natur sind, und denen, die ihr gemäss sind, keine Auswahl stattfindet. Wenn man also diese hier erwähnten Ansichten und andere ähnliche bei Seite lässt, so bleibt nur als höchstes Gut ein Leben übrig, was die Wissenschaft von den Dingen und den Vorgängen in der Natur benutzt und das Naturgemässe wählt, das Naturwidrige aber abweist, d.h. ein naturgemässes Leben. (§ 32.) Wenn in den übrigen Künsten und Wissenschaften der Ausdruck »kunstgemäss« vorkommt, so ist darunter etwas gewissermaassen Späteres und erst Nachfolgendes zu verstehen, was die Stoiker epigennêmatikon nennen. Wo wir aber das Wort »weise« brauchen, da gilt es gleich von dem Ersten durchaus richtig; denn Alles, was von dem Weisen ausgeht, das muss sofort in allen seinen Theilen vollendet sein, denn darin liegt das Begehrenswerthe desselben. So wie es schlecht ist, sein Vaterland zu verrathen, die Eltern zu verletzen, die Tempel zu plündern, wo das Schlechte in der That liegt, so ist es auch schlecht, sich zu fürchten, zu trauern, wollüstige Gedanken zu hegen, auch wenn