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Kleid angezogen. Kniefrei.“

      Sie erwartete, daß er irgend etwas dazu sagen würde, aber er ging einfach darüber hinweg.

      „Ich möchte in aller Ruhe mit dir reden“, sagte er.

      „Es ist nur, ich möchte nicht gern unliebsam auffallen, Os“, erwiderte sie verlegen, „kniefrei in die ,Altdeutschen Stuben‘, das scheint mir doch nicht gerade das Richtige zu sein.“

      Er blickte in den Rückspiegel, bog nach links ein. „Wenn du mit mir bist, kann dir keiner was, Liebling“, sagte er, „und wenn du nachts im Bikini herumlaufen würdest — an meiner Seite wird keiner es wagen, etwas dabei zu finden.“

      Sie wußte, daß er recht hatte. Er war es, der ihr nach vielen Jahren der Unsicherheit zum erstenmal wieder das Gefühl gegeben hatte, geborgen zu sein. Und manchmal fragte sie sich, ob das nicht mit ein Grund war, warum sie ihn so liebte. „Ich hatte nur Angst, dich zu blamieren“, sagte sie.

      Seine rechte Hand tastete sich zu ihr herüber. „Mit deinen schönen Beinen? Daß ich nicht lache!“

      Sie errötete in der Dunkelheit und war froh, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie war nahe daran, seine Hand zurückzustoßen — nicht, weil ihr die Berührung unangenehm gewesen wäre, sondern weil sie sie erregte. Aber sie wagte es nicht, aus Angst, er könnte es falsch auffassen und sich gekränkt fühlen. Als er sie dann von sich aus zurückzog, um das Steuer fester zu fassen, fühlte sie sich plötzlich enttäuscht.

      Er stellte den Wagen unter den Bäumen der Kurallee ab. Es war Juni, die Hauptsaison hatte noch nicht begonnen, und so gab es noch einige Parklücken.

      Als er den Zündschlüssel abzog, hatte sie den Türgriff schon in der Hand. Aber gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, wie sehr er es haßte, wenn sie sich so selbständig benahm, wie es für sie seit langem notwendig geworden war. So holte sie tief Atem, lehnte sich wieder zurück, suchte seinen Blick.

      Auch er war im Begriff gewesen, auszusteigen. Jetzt sah er sie an, ernst, ohne ihr Lächeln zu erwidern. „Eigentlich“, sagte er, „könnte ich dich ja auch jetzt schon fragen …“

      „Was?“

      „Ob du …“ Seine Stimme war rauh, er mußte sich räuspern. „Willst du meine Frau werden, Susanne?“

      Für Sekunden verschlug es ihr den Atem. Sie starrte ihn nur an, unfähig, ein Wort hervorzubringen.

      „Willst du?“ fragte er drängend.

      Sie war auf diesen Antrag nicht gefaßt gewesen. Selbst in ihren Träumen hatte sie sich eine solche Situation nicht auszumalen gewagt, aus Angst, daß ihre Hoffnung wie Seifenblasen zerplatzen könnten. So wußte sie auch nicht, was sie antworten sollte.

      „Ja“, sagte sie atemlos, „ja, gern …“ Und sie hatte gleichzeitig das Gefühl, wieder einmal zu unumwunden, zu geradeheraus geantwortet zu haben.

      Falls er das auch empfand, so zeigte er es doch nicht. Die innere Spannung, die sein gutgeschnittenes Gesicht fast verzerrt hatte, löste sich. „Oh, Susanne“, sagte er, „mein Gott, bin ich froh, daß ich es überstanden habe …“

      Er nahm sie in die Arme, küßte sie leidenschaftlich. Selige Schwäche überkam sie, ein süßer prickelnder Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Ein so starkes Gefühl ergriff sie, daß es ihr fast die Besinnung raubte. Als er ihren Mund endlich freigab, lehnte sie sich mit geschlossenen Augen an seine Schulter.

      „Oskar“, flüsterte sie, „Os, Liebster … ich bin so glücklich!“

      Er zog sie noch fester an sich. „Ich wollte es dir ja schon längst sagen, Liebling …“

      „Warum hast du es dann nicht getan?“

      „Na, ich dachte, es wäre besser … weißt du, es war gar nicht so leicht, es den alten Herrschaften beizubringen, du weißt ja, wie sie sind. Und … mir schien es nicht anständig, sie vor die vollendete Tatsache zu stellen.“

      Susanne Schäfer richtete sich auf, öffnete die Augen. Sie fühlte sich schmerzhaft ernüchtert. „Ohne Erlaubnis deiner Eltern hättest du mich also gar nicht …“

      Er ließ sie nicht aussprechen. „Unsinn. Du weißt genau, ich bin kein kleiner Junge mehr!“

      Er küßte sie wieder, küßte ihre Bedenken, ihren inneren Widerstand fort. „Ich liebe dich, Susanne … ich habe solche Sehnsucht nach dir. Am liebsten würde ich dich entführen … noch heute nacht!“

      „Warum tust du es dann nicht?“ flüsterte sie.

      „Du weißt, daß das unmöglich ist. Du würdest es auch gar nicht wirklich wollen.“

      „Bist du so sicher?“

      „Du würdest doch deine Klasse nicht im Stich lassen. Und außerdem — wo sollten wir wohnen? Nein, so geht es nicht.“ Er löste sich von ihr.

      Sie sah, daß seine schlanken braunen Finger zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.

      „Ich will nicht davon reden, daß ich am Beginn einer Karriere stehe …“, begann er.

      „Ich weiß“, bestätigte sie sofort.

      „Aber darum geht es ja gar nicht. Du, unsere Liebe, unsere Ehe sind mir wichtig, zu wichtig, als daß ich irgend etwas überstürzen möchte. Nenn mich einen Pedanten, aber für mich muß einfach alles seine Richtigkeit haben.“

      Susanne Schäfer fühlte sich ein wenig beschämt. Überwältigt von einem Glück, das sie, wie es ihr schien, im Grund gar nicht verdient hatte. „Doch, ich verstehe dich, Os“, sagte sie, „und ich bin froh, daß du so bist. Ich glaube, dies … dies ist der schönste Tag in meinem Leben!“

      Er küßte sie wieder, diesmal aber mit einer Zärtlichkeit, in der kein Funken Leidenschaft mehr glühte, und sie fühlte beglückt, daß ihr Herz endlich eine Heimat gefunden hatte.

      Am nächsten Morgen fiel es Susanne Schäfer schwer, die Gedanken auf den vor ihr liegenden Arbeitstag zu konzentrieren. Noch als sie den breiten Gang entlang an den geöffneten Türen vorbei auf das Zimmer ihrer dritten Klasse zuschritt, hatte sie sich innerlich noch immer nicht von den Ereignissen des gestrigen Abends gelöst.

      Ihre Wirtin hatte sie beobachtet, als sie, leicht beschwipst von dem Genuß des ungewohnten Champagners, sich in ihr Zimmer schleichen wollte. Frau Schmitt hatte ihre Untermieterin noch nie so erlebt, sie hatte sich zwar jede Bemerkung verkniffen, aber ihr Blick hatte Bände gesprochen.

      Susanne Schäfer lächelte in sich hinein. Wie würde die gute Frau Schmitt erst staunen, wenn sie die Wahrheit wüßte!

      Zu gern hätte sie ihr noch in der Nacht alles erzählt, aber sie war mit Oskar Wünning übereingekommen, die Verlobung vorerst geheimzuhalten. Zu Beginn der großen Ferien sollte, so wollte er, eine große offizielle Feier im Kreis seiner weitverzweigten Familie und sämtlicher Honoratioren von Bad Kreuzfeld stattfinden. Sie hatte es nicht sein wollen, die diese Abmachung brach.

      Mit einem Ruck schüttelte sie den Kopf, als wenn sie auf diese Weise die wirbelnden Gedanken abstreifen könnte, preßte die Lippen aufeinander, ging mit geradem Rücken und festem Schritt auf das Klassenzimmer zu.

      „Achtung!“ rief der Schüler Klaus, der an der geöffneten Tür stand.

      Und als der Lärm der anderen, Gelächter, Geschrei, Stühlerücken, nicht sogleich verstummte, fügte er mit Nachdruck hinzu: „Das Fräulein kommt!“

      Susanne Schäfer hatte unwillkürlich den Schritt verhalten, weil ihr gar nichts daran lag, gleich am frühen Morgen mit einem Donnerwetter über die Klasse herfallen zu müssen. Erst jetzt, als Ruhe eingetreten war, marschierte sie in das Zimmer.

      Sie trug einen grauen Rock, ein blaues Twinset, Schuhe mit flachen Absätzen. Ihr Gesicht war ungeschminkt, und sie hatte das schimmernde blonde Haar zurückgesteckt. Sie hätte in dieser Aufmachung unauffällig, fast unscheinbar

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