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Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Wer baut die Bahn?
Год выпуска 0
isbn 9788711507360
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Die Hanum wird sich nun umziehen!“ Imme warf einen Blick des Widerwillens nach dem Anlegeplatz der Küstendampferchen drüben. Dort hatte der lange, schmale Kaik an der Landungsbrücke festgemacht.
„Rege dich bloss nicht auf, Mekkavater!“ sagte sie auf türkisch zu einem Bettelderwisch in kaffeebrauner Kutte, der unter Verwünschungen die Arme über die spitze Kegelmütze zu Allah hob. „Ich bin keine Tochter des Satans, wie du hier irrtümlich aussprengst, sondern harmlos wie ein Holzlämmchen — wie eine eurer vielen Wanzen. Auch mich schuf Gott! Nimm dir ein Beispiel an den ehrwürdigen Babas drüben!“
Weissbärtige Türken hockten da, dass nur die Zipfel ihrer weiten Hosenböden die Erde berührten, und drehten beschaulich die Rosenkranzkügelchen zwischen den Fingern. Als der fröhliche Blick des unverhüllten Mädchengesichts sie traf, sahen sie gramvoll zur Seite, die weiss blendenden Gartenmauern entlang, an denen ein paar wandelnde Glocken von schwarzen Stoffmassen, ihre Frauen und Töchter, sich unsicher dahinschoben.
Der heulende Derwisch trollte sich unter neuem Gebrüll: „Jahû! Jahû! O Er! O Allah!“ Imme fasste ihren Bruder, mit einer unruhigen Kopfbewegung nach dem Landungssteg, am Arm.
„Mach schnell, ins Haus! Da ist so ein grässlicher Levantiner drüben aus seiner Wasserdroschke geklettert und marschiert direkt auf mich los! Zu spät! Da steht er einem glücklich mitten im Weg! Kinder — der Orient ist doch doll!“
Und dann ärgerlich an Lamba vorbeigehend:
„Sagen Sie mal — wollen Sie eigentlich etwas von mir? Sonst lassen Sie mich, bitte, ungeschoren!“
Der Levantiner war blass. Leise seine Stimme, auf französisch wie sie:
„Nur einen Glückwunsch, Madame, zur Bezwingung des Bosporus!“
„Danke!“
„Von einem Sohn des Bosporus wie mir! Dort am andern Ufer steht mein Haus!“
„Der überlebensgrosse weisse Kasten?“
„Ich habe noch ein Palais in Pera, in schönster Lage am Munizipalgarten!“
„Na — da sind Sie ja versorgt!“ Imme wollte weiter.
„Ich wäre glücklich, Ihnen einmal meine Gewächshäuser, meine Teppiche, meine gelben und rosa Diamanten zeigen zu dürfen!“
„Nett von Ihnen! Aber ich danke!“
„Madame — wenn ich Sie bitte . . .“
„Ach — lassen Sie mich nur ruhig hier in meiner Bude über dem Ziegenstall! Ich fühle mich hier sehr wohl!“
„Imme!“ Ihr Bruder trat heran. „Dieser Herr hier vom ,Journal de Péra‘ will durchaus etwas über dich und den Bosporus in seine Zeitung bringen!“
Der Levantiner stand allein. Er schaute stumm und heiss den langen, nassen Goldsträhnen über dem schwarzen Mantel nach. Er ging langsam nach dem Landungssteg und stieg in seinen Kaik. Der bärtige Bootsmann sah ihn fragend an: „Zurück nach dem Palast, Eccellenza?“ Ein bitteres Lächeln um die Lippen des Levantiners: Zurück zu Charis, meiner Frau? — Eine Handbewegung die Meerenge abwärts nach den Moscheenmassen, den Mastspitzen und Turmnadeln von Konstantinopel.
„Nein — du Hund! Fahre mich nach Galata!“
Er kauerte sich in die Kissen der Kajüte und sah in der Ferne etwas Nassblondes in schwarzem Mantel vor einem fast schwindsüchtig hageren, tiefbrünetten, goldbebrillten Herrn vom Typ eines intelligenten französischen Volksschullehrers, stehen.
Nervös dessen Händegefuchtel. Sprudelnd sein gallischer Wortschwall aus dem schütteren schwarzen Krausbart.
„Ah — Madame! Mein griechischer Kollege vom ,Neologos‘ kam zu spät drüben am anatolischen Ufer! Der sehr ehrenwerte Gentleman vom ,Levant Herald’ erwartet Sie umsonst weiter unten auf der christlichen Seite — haha!“
„Wissen Sie: ich friere . . .“
„Ich weiss, was Sie mich fragen wollen: Wo ist die französische Presse Peras? Wo die ,Turquie‘? Der ,Phare du Bosphore‘? Der ,Moniteur Oriental‘? Der ,Stamboul‘?“
„Meine Haare sind pitschnass!“
„Nur wir sind zur Stelle, das ,Journal de Péra‘ — der einsame, wirkliche Vorposten französischer Bildung in dieser bewundernswerten Stadt!“
„Na — hören Sie — ich bin eine Deutsche! Mir liegt gar nichts daran, dass ich in Ihr französisches Blättchen komm’!“
„Nur ein paar Daten, Madame . . . aus Ihrem Leben! Ich notiere!“
„Also in Gottes Namen: Imme Reyck . . .“
„Oh . . . Reyck . . .“
„Dreiundzwanzig Jahre. Ledig. Ja — das wär’ wohl alles!“
„Die Eltern, die das Glück haben, Sie . . .“
„Mein Vater ist Oberförster in Thüringen . . . Von Deutschland haben Sie doch schon mal gehört? Also da liegt Thüringen mitten drin! Da bin ich im Wald im Forsthaus aufgewachsen. Fragen Sie mal die Tscherkessen drüben, wie ich schiessen kann! Na — und auch klettern und reiten und kutschieren und alle brotlosen Künste!“
„Einen Augenblick noch, Madame: Wie kamen Sie hierher?“
„Vor einem halben Jahr mit meinem Bruder, Doktor Eduard Reyck, um ihm den Haushalt zu führen. Er ist Ingenieur und Geologe. Er macht hier Vorarbeiten für eine asiatische Bahn . . .“
„. . . für die bereits, gerade in dieser letzten Zeit, sich das französisch-russische Syndikat gebildet hat, Madame!“
„Das ist ein abenteuerliches Privatunternehmen, sagt mein Bruder . . . das nimmt er nicht ernst. Die Regierungen stehen nicht dahinter!“
„. . . sowenig das Reich hinter euren Plänen, Madame!“
„Nein! Ich sage ja: es ist alles erst im Werden! Aber lasst uns Deutschen nur Zeit! Wir schaffen’s!“
„Deutschland, Madame, hat keine Überlieferungen, die es zu dieser Rolle ermächtigen! Der grossmütige Schutz des Orients ist geschichtliche Ehrenpflicht der älteren europäischen Grossmächte!“
„Da hat Frankreich wohl Algier aus reiner Liebe zum Islam unterworfen?“
„Madame . . .“
„. . . und die Engländer die unzähligen Mohammedaner in Indien?“
„Wir kommen auf Fragen, die . . .“
„. . . und die Russen jetzt eben Zentralasien!“
„Madame — brechen wir ab!“
„Sogar die Österreicher haben sich vor ein paar Jahren Bosnien zu Gemüt geführt!“
„Genug . . .“
„Nur der Deutsche quält keinen Türken zum Scherz!“ Imme Reyck, die bisher französisch gesprochen hatte, wandte sich auf türkisch an das umstehende Morgenland. „Deutschland hat noch nie einem Moslem ein Haar gekrümmt! Deutschland liebt die Türken! Dem Padischah tausend Jahre!“ Und wieder zu dem Franzosen: „Und nun adieu! Haben Sie mal die nassen Haare! Ich muss ins Haus!“
Und vor dem Haus, sich noch einmal umdrehend:
„Deutschland baut die Bahn!“
6
Der Herausgeber des ,Journal de Péra‘ steckte nervös sein Notizbuch ein. In der Nähe hielten zwei Negerbübchen seinen Reitschimmel. Er kletterte in den lehnstuhlähnlichen roten Ledersattel, steckte die Lackstiefel in die pantoffelartig blechgewölbten Bügel, schaute auf die Uhr und galoppierte mit hochgezogenen Knien, seinen hohen schwarzen, fränkischen