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wie er erwartet haben mochte. Sein Vater unterstützte ihn noch eine Weile; als er aber starb, hörten auch diese Zuschüsse auf. Franziskas Eltern sagten sich völlig von ihr los. Herr von Achenbach sandte der Unglücklichen im Zorn, den auch die Jahre nicht beschwichtigten, seine Verachtung über den Ozean nach.

      Fritz geriet nun rasch auf schiefe Bahnen. Es scheint, dass er sich mancher Verirrung ergeben, bis ein Leiden ihn frühzeitig hinwegraffte.

      Fremde Mildtätigkeit ermöglichte es Franziska, mit ihrem kaum zweijährigen Kinde nach Deutschland zurückzukehren. Eines Abends klopfte sie an das einsame Pfarrhaus am Chiemsee, wo ich damals als junger Pfarrverweser wirkte. Sie war müde, krank, vom Tode bereits gezeichnet. Sie hatte keinen anderen Weg zur Heimat gefunden als den in meine abgelegene Pfarrei, und ich dankte Gott dafür, dass er meinem Leben auf eine solche Weise noch einen besonderen Zweck verliehen hat. Ich habe Franziska gelobt, für ihr Kind als Vater zu sorgen. Sie selbst brachte ich, da sie auch jetzt noch den Zorn ihres einflussreichen Vaters zu fürchten hatte, nach Frauenwörth. Auf dieser stillen Insel im Chiemsee ist sie alsbald gestorben. Auf dem dortigen Friedhof findest Du, wenn Dich der Weg nunmehr einmal nach dieser Gegend führen wird, ihr Grab.“

      Es trat ein langes Schweigen ein, das nur durch das leise Schluchzen Marias unterbrochen wurde. Sie ergriff plötzlich die beiden Hände des Pfarrers und führte sie wortlos an ihre Lippen.

      Er sagte: „Du hast mir nicht zu danken, Maria, denn ich habe diese Pflicht stets nur als Segen empfunden. Da es mir als Priester nicht gestattet war, eine Familie zu begründen, obgleich ich mich so sehr nach diesem Glück gesehnt habe, so hatte Gott die Gnade, mir eine Tochter zu verleihen, deren Liebe ich gewiss auch jetzt noch sicher bin.“

      Maria umarmte ihn, ohne zu sprechen. Sie wies schliesslich auf das Gemälde:

      „Ist dies — meine Mutter?“

      ,,Ja. Fritz Stilke hat sie als Madonna gemalt. Es war gewiss sein bestes Werk und zeugt von seinem grossen Können. Zu einer Zeit, da dies Gemälde entstand, weilte Franziska schon in Amerika. Die Reinheit dieser Züge, das Leid dieses Antlitzes, in dem sich bereits der tiefe Schmerz sorgenvoller Mutterliebe spiegelt, die Klarheit und Tiefe der Augen, die Herbheit der Lippen gemahnten mich immer von neuem an die Vergangenheit, deren Erinnerung meinem Leben ein mildes, abgeklärtes Glück verliehen hat. Die, welche Franziska verurteilten, taten nicht nur Unrecht, sondern dachten auch sündhaft. Denn ihr Irrtum wurzelte in der Liebe, und diese mag uns noch so sehr irre führen — ihr Wesen liegt doch zu tief in dem göttlichen Gedanken begründet, als dass sie uns nicht schliesslich in irgend einer Form die Erlösung brächte.“

      Diese Worte schrieb Maria Stilke für immer in ihr Gedächtnis. — — — —

      Einige Tage später kehrte sie reifer, abgeklärter und ruhiger in das Seminar zurück, um ihr letztes Studienjahr zu beenden.

      Was auch kommen möge, hatte Pfarrer Händel zu ihr gesagt, weihe niemanden ohne meine Erlaubnis in die Geschichte Deiner Herkunft und Deiner Eltern ein! Es war der letzte Wunsch Deiner Mutter, für ihre Familie tot zu sein, denn es sollte kein Makel und kein Vorwurf je auf Dich zurückfallen. —

      Dieses Geheimnis zu wahren, wurde Maria schon bald nach ihrer Rückkehr ins Kloster bitterschwer.

      Anna Wagner hatte die Gerüchte, die über die Herkunft ihrer Schulkollegin in Umlauf waren, ins Kloster getragen. Wenn auch nur wenige Seminaristinnen sich auf diesen Klatsch einliessen, so merkte Maria doch an der, wenn manchmal auch unbewussten Zurückhaltung der Freundinnen, dass das Gerede seine Wirkung nicht verfehlte.

      Aber sie hielt sich standhaft und litt schweigend. Fast traten alle anderen Interessen vor der Erwartung zurück, mit der sie dem Eintreffen des Seminarlehrers Förster entgegensah. —

      Eines Morgens kam er zur ersten Unterrichtsstunde.

      Der Herbst färbte schon die Blätter gelb; die Kastanien standen in Gold getaucht, die Ulmen waren von braunem Raster übergossen, der Oktoberwind fegte die Herrlichkeit des Sommers durch die Strassen.

      Thomas Förster war jetzt ganz anders, als damals auf der Ferienreise. Fast streng waren seine Lippen, in seinem Antlitz zeigte sich auch nicht der Schimmer eines Lächelns. Doch bald, nachdem er zu sprechen angefangen, kam ein warmer Glanz in seine Augen. Sein Gesicht erhellte sich bei dem Eifer, mit dem er vortrug, und selbst die Augen der Schwester Alfonsa, welche dem Unterricht als Aufsicht beigegeben war, weil Thomas Förster als unverheirateter Lehrer nicht allein im Kloster unterrichten durfte, blickten unverwandt den Lehrer an und lauschten.

      Ein grosser Stolz füllte Maria Stilkes Brust und liess ihr Herz höher schlagen. Sie meinte, ihn nur für sich sprechen zu hören. Wie wandelte sich der Stoff unter seinen Worten, wie gewann plötzlich die Materie Blut und Leben!

      Wie ein Feuerstrom ergoss sich seine Rede. Er sprach und dachte ganz anders, als man es sonst in diesem Saale gewohnt war. Einige Male war es ihr wohl, als zuckte Schwester Alfonsa zusammen. Sie sah einmal betreten zu Boden, als Thomas Förster bei einer historischen Rückschau auf die Geschichte der Päpste zu sprechen kam. Neben der rückhaltlosen Anerkennung, die er den besten unter ihnen zollte, geisselte er ebenso scharf das Zeitalter eines Alexander und verbreitete sich schnell in bilderreicher Sprache, sein Wissen in vielen Beispielen und Episoden nützend, über das Zeitalter der Borgia.

      Nach Schluss der Stunde näherte sich ihm Schwester Alfonsa mit einer schüchternen Bewegung.

      „Wir sind bisher über solche Details hinweggegangen, Herr Seminarlehrer“, meinte sie zögernd. „Ich würde mir selbstverständlich nicht erlauben, Ihnen irgend welche Vorschriften zu machen; ich bin nur verpflichtet, über jede Stunde, die Sie erteilen, Bericht zu erstatten, und ich meine . . . ich fürchte . . .“

      Er unterbrach sie in seiner frohen, sicheren Art:

      „Aber, ehrwürdige Schwester! Die Forschung ist doch frei! Wie könnte ich meinen Schülerinnen anderes lehren als die Wahrheit?“

      Schwester Alfonsa schwieg.

      Aber schon nach einigen weiteren Unterrichtsstunden zeigte sich eine kleine Verschärfung in der Aufsicht. Für Schwester Alfonsa trat die viel energischere und bestimmtere Schwester Clementina auf, die sich während des Vortrages ohne Unterlass Notizen machte.

      Je begeisterter die jungen Seminaristinnen ihrem Lehrer lauschten, desto bedenklicheren Ausdruck zeigten Schwester Clementinas Züge.

      Sie liess langsam das Notizbuch in den Schoss gleiten und sah den Seminarlehrer unverwandt, mit einer Mischung höchsten Erstaunens und der Missbilligung zugleich an, als er die Kulturgeschichte der Gegenwart behandelte und mit einem schnellen Rückblick auf das Altertum das stolze Gebäude der modernen Zivilisation mit kurzen, feurigen Strichen in den Staub zu legen suchte:

      „Wer könnte behaupten, dass die Gegenwart gegenüber der Vergangenheit das Geringste gewonnen hat? Was haben wir vor dem Altertum voraus? Wohl haben wir Landstrassen, Kanäle, Eisenbahnen, Schiffe, Industrie und Künste.

      Doch besassen die Babylonier nicht herrliche Segler, sandten die Phönizier ihre Schiffe nicht bis nach Afrika und zu den Kassiteriden?

      Baute man nicht Tempel aus Gold?

      Gingen die Karawanen Borsippas nicht nach Indien, und schickte nicht Babylon seine kunstgestickten Teppiche nach Phönizien und Hellas?

      Ist je unser Webstoff schöner gewesen als das Leinen Sidons? Waren unsere Becher je glänzender als das grüne Glas Phöniziens? Haben wir schimmernderen Purpur, als ihn Tyrus aus Kermes geschaffen?

      Wir fertigen Bücher mit schwarzen Lettern — aber ist unsere schwarze, tote Schrift etwa schöner als die Inschriften auf den Gräbern der Achämeniden zu Persepolis und den Felsen von Behistun? Was aber hat unsere Zivilisation gegen die Kultur der Antike eingetauscht? Wir haben das goldene Zeitalter in ein Grab des ewigen Schematismus verwandelt. Dort war eine Kultur, die auf der Liebe in jeglichem Sinne fusste. Unsere Zeit aber ist schwach geworden in ihren Anstrengungen; unsere Zeit ist wie ein Riesenungeheuer, das die idealen Kräfte zermürbt und die Persönlichkeiten in der Masse zerstampft.“

      Am

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