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Maria Stilke. Der Roman einer Lehrerin. Robert Heymann
Читать онлайн.Название Maria Stilke. Der Roman einer Lehrerin
Год выпуска 0
isbn 9788711503515
Автор произведения Robert Heymann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ihre dankbare Schülerin
Maria Stilke.
Sie fand während des Spaziergangs einen unbewachten Moment, das Kuvert in einen Postschalter zu werfen.
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Später, als diese Angelegenheit zu Ohren der Oberin kam, beichtete sie Schwester Benedikta, dass sie ihm eigentlich nur ihr Bildnis hatte senden wollen. Aber das war ihr nicht gleich zum Bewusstsein gekommen. Schwester Benedikta sagte:
„Dieses Dein Vorgehen, Maria, war eine wirkliche Sünde.“
Maria geriet darüber in arge Zweifel. Es war aber die erste Sünde, über die ihr jedes Urteil fehlte.
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Thomas Förster erhielt Maria Stilkes Schreiben zu einer Zeit, wo er teils unter dem Druck der Verhältnisse, teils unter dem trostlosen Zustand des Winters, der ihn seine Armut noch schwerer empfinden liess, so sehr litt, dass er nahe daran war, seine Überzeugungen abzuschwören und die Regierung um Milde und Nachsicht zu bitten.
Er gehörte zu jenen Menschen, deren beweglicher Geist mit Feuereifer, eine Idee erfasst, die in trotziger Selbstverleugnung dieser Überzeugung willen zu Märtyrern werden, vorausgesetzt, dass an die Beständigkeit ihres Geistes keine ermüdenden Anforderungen gestellt werden.
Aber das Disziplinarverfahren gegen ihn hatte, schon der Eigenartigkeit und der Verlegenheit wegen, in die die Regierung versetzt war, kurze Beine. Der Winter drohte darüber hinzugehen, und Thomas Förster hatte inzwischen Musse, über sich und seine Anschauungen in der Einsamkeit nachzudenken.
Da erschien ihm allmählich manches in einem anderen Licht. Einwendungen, die schon der Seminardirektor gemacht, dass nämlich geistige und ethische Wahrheiten ebenso viel Unheil anrichten könnten, als sie sonst Gutes zu schaffen imstande sind, wenn sie den Schülern im Übermass verabreicht werden, musste er allmählich als gerechtfertigt anerkennen. Er gestand sich, dass er mit seiner Lehrtätigkeit, wenn auch im besten Glauben, mehr sich selbst gedient, statt dass er sich, frei von jedem Egoismus, in den Dienst der Schüler gestellt hätte.
Als ein Ästhet, der ohne äusserliche Schönheit nicht leben konnte, empfand er seine Armut schwerer denn je. Die Trostlosigkeit dieses Winters entmutigte ihn noch mehr; so versiegte allmählich seine Begeisterung und machte einer ruhigen Nachdenklichkeit Platz, als Maria Stilkes Brief ihn erreichte. Dieses Schreiben rief seine Leidenschaft von Neuem wach.
Er glaubte in diesem Brief, der eigentlich nichts war, als das vrworrene Stammeln eines jungen Lebens, das zaghaft den ersten Schritt ins Leben tat, eine untrügbare Bestätigung der Echtheit seiner Lehre, der Wahrheit seiner Ideen und der Uneigennützigkeit seines Auftretens zu sehen. Vielleicht hinderte ihn auch ein Rest von Eitelkeit, dem Glauben dieses schönen, jungen Mädchens entgegenzuhandeln und den Rückzug anzutreten. Er empfand von diesem Augenblick an nichts mehr von den entnervenden, äusseren Gefahren, die ihn umgaben, und war fester denn je entschlossen, allem zu trotzen, um die Grösse der Vorstellung, die Maria Stilke von ihm hatte, nicht zu zerstören, indem er widerrief. Wie stets die Zuversicht einer Frau den Mann adelt und über sich und seine Bedeutung erhebt, so schuf Maria Stilkes Glaube ihm neue Ausdauer und besonderen Stolz.
Er schüttelte die Melancholie, die ihn ergriffen, ab, und fand den Mut zu erneuter Tatkraft, beschäftigte sich bereits mit Plänen zu einem neuen Beruf. Er hatte anfänglich felsenfest an einen günstigen Ausgang des Disziplinarverfahrens geglaubt; aber schon die ersten Vernehmungen belehrten ihn, dass zwischen dem aufgestellten Schema und seinen Überzeugungen Abgründe lagen, über die weder sein Temperament noch die Nachsicht der Regierung Brücken schlagen konnte. Je länger sich die Verhandlungen hinzogen, desto schneller schwanden seine letzten Illusionen.
Impulsiv, ohne Rücksichten auf Formen, wie er sich immer gab, beantwortete er Maria Stilkes Brief, ohne zu bedenken, dass dieses Schreiben eher in die Hände der Oberin als in die des jungen Mädchens gelangen würde.
Mein Fräulein!
Wenn es mir gelungen ist, durch meine Lehrtätigkeit wirklich Gutes zu stiften, so steht das, was ich Ihnen geben konnte, in keinem Verhältnis zu dem unschätzbaren Dienst, den Sie mir erwiesen, zu dem Geschenk, das Sie mir dargebracht. Sie haben mir durch Ihre Zeilen nicht nur eine Freude gemacht, die ich kaum in Worte zu fassen vermöchte; Sie haben mir die Zuversicht, den Glauben und die Treue gegen mich selbst und gegen die sittliche Idee, die ich vertrete, wieder verliehen. Es ist also nur gerecht, dass ich Ihnen dafür nicht nur meine Dankbarkeit, sondern auch meine Bewunderung ausspreche, denn Sie haben einen schönen Mut bewiesen, Fräulein Stilke, dessen Vorbild mich stets im Leben zu den grössten Anstrengungen anfeuern wird. Lassen Sie mich hoffen, dass mit diesem Briefwechsel die Beziehungen, die für uns beide so segensreich begonnen, nicht zu Ende sind. Ich begebe mich sofort nach Abschluss des gegen mich schwebenden Verfahrens nach München, um dort eine neue Tätigkeit aufzunehmen, die mir Unabhängigkeit und ein unbeschränktes Feld der Arbeit verspricht. Mit dem Ausdruck steter Ergebenheit und grösster Hochschätzung verbleibe ich
Ihr Thomas Förster.
Der Brief gelangte zuerst in die Hände der Präfektin. Diese übergab ihn in grösster Bestürzung der Frau Oberin. — Maria Stilkes Sünde war gewiss nicht gross, als sie ihre reinen Empfindungen einem Manne mitteilte, der einen so grossen Einfluss auf ihre Jugend ausgeübt. Nach den strengen Vorschriften des Klosters aber, die allein für die Anschauungen der Oberin massgebend sein konnten, hatte sie sich eines Vergehens schuldig gemacht, das die grösste Disziplinwidrigkeit darstellte. Die Oeberin vernahm sämtliche Schwestern über die seelische Beschaffenheit des jungen Mädchens; es war ein Glück, dass Schwester Benedikta mit aller Entschiedenheit für ihre Freundin eintrat und alle Schuld auf den Einfluss des Seminarlehrers abwälzte. Der Superior sah sein Urteil über Thomas Förster und die sittliche Gefahr, die dieser Lehrer für die Klosterschule bedeutet hatte, bestätigt. So erschien Maria Stilkes Vergehen entschuldbarer. Immerhin wurde sie sowohl von der Oberin als von dem Geistlichen Rat aufs Strengste vorgenommen; sie unterwarf sich in dem Bewusstsein, nicht nur diese, sondern auch alle Schwestern des Klosters unverdient gekränkt zu haben. Sie bereute dies aufrichtig, und die Tränen, die sie darüber fand, nahm die Oberin als einen Beweis der Reue über das Glaubensbekenntnis, das sie in ihrem Briefe abgelegt. In Wahrheit war es dem Geistlichen Rat nicht gelungen, Maria Stilke von ihrer Anhänglichkeit zu Thomas Förster abzubringen. Die Vorwürfe vielmehr, die der Superior sowohl wie die Oberin gegen ihn erhoben, festigten in ihr die fast zärtliche Fürsorge, die sie für ihn empfand; alle Ermahnungen, die man deshalb an sie richtete, prallten an dem Wahlspruch ab, den der verehrte Lehrer ihr seiner Zeit mit ins Kloster gegeben und den sie unauslöschlich in ihr Herz geschrieben: „Treue ist der wahre Adel im Leben, denn sie birgt alle Tugenden.“
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Treue gegen ihn schien ihr sittliche Pflicht. —