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haßte. Sie haßte ihren eigenen Bruder, Till Torsten.

      In der Diele standen sich Till Torsten und Erhard Schneider gegenüber. Der schmale, geschmeidige Till wirkte neben seinem schweren, wuchtigen Schwager wie ein Windhund, der um einen Bernhardiner herumschwänzelt.

      »Ich verstehe natürlich, daß du überrascht bist, mich zu sehen«, sagte er und zeigte mit einem kleinen Lächeln seine kräftigen weißen Zähne.

      »Durchaus nicht.«

      »Es ist eben so, Menschen wie ich, die kein Zuhause haben … das soll natürlich kein Vorwurf sein, lieber Erhard, versteh mich bitte nicht falsch … aber man möchte eben doch ein paar …«

      »Wieviel brauchst du?« fragte Erhard Schneider scharf.

      »Ich verstehe dich nicht.« Till Torsten hob mit gespieltem Erstaunen die Augenbrauen.

      »Wieviel?«

      »Tausend.«

      »Du bist verrückt.«

      »Bitte, wie du willst!« Till Torsten gab sich den Anschein, als ob er sich zum Gehen wenden wollte. »Grüße meine Schwester von mir … oder auch nicht. Ganz wie du willst. Adieu.«

      »Gut. Ich werde dir einen Scheck geben. Aber nur unter der Bedingung, daß du Isabella endgültig in Ruhe läßt.«

      »Scheck kann ich nicht brauchen, Schwager.«

      »Na, bitte. Dann bekommst du die tausend Mark bar … aber nur gegen Quittung. Als kurzfristiges Darlehen.«

      »Und du glaubst, daß ich so etwas unterschreibe?«

      »Ganz bestimmt. Sonst bekommst du das Geld nämlich nicht.« »Bildest du dir im Ernst ein, du würdest es von mir zurückkriegen?«

      »Nein.«

      »Wozu willst du dann die Quittung?«

      »Nur so. Also … entweder du schreibst mir so einen Wisch aus oder …«

      »Na schön. Wenn es dir Spaß macht. Ich sehe den Sinn zwar nicht ein, aber immerhin …« Till Torsten zog seine Brieftasche aus dem Jackett seines tadellos sitzenden dunkelgrauen Anzugs, fand einen leeren Zettel und kritzelte, über den Dielentisch gebeugt, ein paar Zeilen darauf. »Genügt es so?« fragte er und hielt seinem Schwager die Quittung hin.

      »Danke.« Erhard Schneider nahm die Quittung entgegen, zählte aus seiner Brieftasche zehn Hundertmarkscheine. »Du hast Glück, daß ich das Geld überhaupt bei mir habe …«

      »Ich habe immer Glück, mein Lieber, das solltest du wissen.«

      »Um so besser für dich … wenn es dir so vorkommt.«

      Till Torsten knöpfte sich seinen dunkelblauen Wintermantel zu. »Also, schönen Dank, Schwager … und von mir aus keinen Gruß an Isabella.«

      »Paß auf, Till … ich will kein Versprechen von dir, ich weiß, daß dein Wort nichts gilt, aber ich warne dich. Wenn du noch einmal unser Haus betrittst … oder wenn du ein einziges Mal versuchen solltest, dich hinter meinem Rücken mit Isabella in Verbindung zu setzen …«

      »Was dann?«

      »Dann wirst du von mir nie wieder, unter gar keinen Umständen, auch nur einen einzigen Pfennig herausholen. Hast du mich verstanden?«

      »Du hast dich ungewöhnlich deutlich ausgedrückt, Schwager!« Till Torsten drückte sich den weichen Hut auf den Kopf, tippte mit einem spöttischen Lächeln an die Krempe, drehte sich um und ging aufreizend langsam zum Ausgang. Erhard Schneider folgte ihm bis zur Haustür, und als die Tür hinter dem unangenehmen Gast ins Schloß gefallen war, drehte er den Schlüssel zweimal um und schob den Riegel vor.

      Der Beat-Schuppen lag im Keller eines alten Schwabinger Hauses und wurde nur von Jugendlichen besucht.

      Der Alkoholverbrauch war sehr gering. Die Mädchen tranken ausschließlich Coca-Cola und Fruchtsäfte, die Jungen mal ein Bier und nur wenige einen Schnaps zwischendurch – wenn sie überhaupt tranken, denn die meiste Zeit verbrachten sie auf der Tanzfläche.

      Sie waren gekommen, sich auszutoben, und sie tobten sich aus. Die Musikbox, auf größtmögliche Lautstärke eingestellt, war unentwegt in Betrieb. Platten der Beatles, Rolling Stones und der Rainbows wurden bevorzugt.

      Michaela Schneider hatte die Augen mit den dunklen Wimpern leicht geschlossen, das blütenhafte Gesicht zu Gregor Hellmer erhoben. Sie genoß den betäubenden Rhythmus und die körperliche Nähe des jungen Mannes.

      Dann war die Platte abgelaufen. »Komm!« sagte Gregor und nahm Michaela bei der Hand. Er zog sie an einen Tisch, der eng an der Rückwand eines Raumes stand, sie setzten sich. Gierig saugte Michaela an ihrem Strohhalm. Gregor zündete sich eine Zigarette an.

      Michaela sah ihn von unten herauf mit schrägen Augen an. »Sag mal, Greg, was hättest du eigentlich gemacht, wenn ich heute abend nicht gekommen wäre?«

      Er grinste. »Wahrscheinlich hätte ich mich in mein Bettchen gelegt und hätte geweint.«

      »Nein, ich meine … im Ernst! Mit wem hättest du getanzt?«

      »Sieh dich mal um. Es sind massenhaft Mädchen da.« Sie sagte, ohne den Blick von ihm zu lassen: »Eine gräßliche Fülle!«

      »Was willst du? Samstagabend.«

      »Warum …« begann sie, aber dann unterbrach sie sich selber: »Ich merke schon, ich falle dir fürchterlich auf die Nerven …«

      »Überhaupt nicht. Spuck heraus, was du auf dem Herzen hast!«

      Sie schlug die Augen nieder und zeichnete mit ihren spitzgefeilten, zartrosa lackierten Fingernägeln Striche und Kreise auf die Tischplatte. »Ich meine nur, du weißt genau, daß ich mich am Samstagabend am schlechtesten freimachen kann … und überhaupt, Samstag ist ein scheußlicher Tag zum Ausgehen. Warum also …«

      »Weil ich wochentags arbeiten muß, Micky … Sonntagmorgen kann ich mich ausschlafen. Das ist die ganze Erklärung.«

      »Du bist ein schrecklicher Spießer, nicht wahr?«

      Er zuckte die Achseln. »Kann sein.«

      »Wenn dir ein bißchen an mir liegen würde …«

      Er legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. In seinen braunen Augen stand freundlicher Spott. »Was erwartest du eigentlich von mir? Daß ich dir einen Heiratsantrag mache, weil ich dich für das bezauberndste Wesen der Welt halte?«

      »Warum eigentlich nicht?«

      »Weil dir noch die Eierschalen hinter den Ohrwatscheln kleben und ich selber … also bitte, Micky, mach dich nicht lächerlich. Ich bin jetzt das erste Jahr bei der Dresdner Bank … mein erstes Lehrjahr. In sieben Jahren verdiene ich frühestens genug, um … du siehst gerade so aus, als wenn du sieben Jahre auf einen Mann warten würdest.«

      »Warum nicht? Dann bin ich dreiundzwanzig, das wäre doch noch nicht alt.«

      Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Nasenspitze. »Wenn du zweiundzwanzig bist, reden wir wieder darüber, ja?«

      »Du bist gemein.«

      »Klar bin ich das.« Er horchte auf, der Automat hatte eine neue Platte aufgelegt, einen heißen Beat. »Komm!« sagte er, reichte ihr die Hand und zog sie hoch.

      Sie tanzten ganz dem Rhythmus hingegeben. Michaela hielt ihren strahlenden Blick auf Gregor geheftet. Ihr blondes, schulterlanges Haar umschwebte ihren kleinen Kopf wie eine seidig schimmernde Wolke, der leuchtend rote Pulli und der dunkle kniekurze Bleistiftrock standen ihr gut.

      Michaela und Gregor klatschten wie die anderen in die Hände. »Balla, balla«, brüllten die Burschen aus vollem Halse – da unterbrach Gregor den Tanz … so plötzlich, daß Michaela aus dem Rhythmus gerissen, stolperte. Er fing sie in seinen Armen auf. »Schnell!« flüsterte er. »Komm!«

      Sie verstand nicht,

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