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Verlesung einer Todesanzeige aus der Tageszeitung.

      »Und die zwei anderen, sind die auch nachts abgegangen?«, nahm Bircher den Tonfall auf.

      »Alle in der Nacht.«

      »Von wem und wie wurde der Tod bemerkt? Ging da jemand in den Nachtstunden kontrollieren oder hat die Frühschicht den Tod festgestellt?«

      »Die Schwester macht ihre Rundgänge. Einen zentralen Monitor zur Aufzeichnung der Elektrokardiogramme gibt es nur im Schwesternzimmer auf der Intensivstation, nicht auf der allgemeinen Kardiologie. Bei uns hängt der Monitor am Bettpfosten, der kann die EKGs nicht speichern. Man geht zur Kontrolle ans Bett, bei bestimmten Patienten etwas häufiger.«

      »Welche sind die bestimmten Patienten?«

      »Zum Beispiel die mit einem AV-Block dritten Grades oder einer Bradykardie, also mit sehr niedrigem Puls, der auch unter Belastung nicht ansteigt«, klärte ihn Wohlfahrt auf.

      »Bradykardie«, murmelte Bircher, wie um sich den Begriff einzuprägen.

      »Ja, wie gesagt, ein Herzschlag deutlich unter sechzig Schlägen pro Minute, beim erwachsenen Menschen.«

      »Na, wieder etwas dazugelernt, Herr Doktor«, bedankte sich Bircher, die Frage nach dem Vorhofflimmern runterschluckend. »Eine Krankenschwester hat also während ihres Rundganges in der Nacht bemerkt, dass etwas nicht stimmt mit dem Patienten?«

      »In der Regel kontrollieren die Nachtschwestern zu festgelegten Zeiten während der Nacht die EKGs am Bett. Im letzten Fall machte sie der Bettnachbar bei einem Kontrollgang am frühen Morgen gleich darauf aufmerksam, dass sich sein Zimmergenosse merkwürdig still verhielt. Sie rief mich.«

      »Sie geben uns dann bitte die Namen der Schwestern und der Ärzte, die in den drei Nächten Dienst hatten.«

      »In allen drei Fällen hatte ich Dienst«, antwortete kaum hörbar Wohlfahrt.

      »Wo befanden Sie sich?«

      »Hier, auf der Liege. Die Schwester weckte mich.«

      »So. Und Sie haben dann sofort die Männer untersucht und nichts Auffälliges feststellen können.«

      »So ist es«, murmelte Wohlfahrt leise und begab sich zurück auf seinen Schreibtischstuhl.

      Bircher blieb stehen und dachte für einen Moment über das Gehörte nach. Er gab sich einen Ruck, entschlossen, zum Ende zu kommen.

      »Sie haben mir noch nicht verraten, wie Ihre Diagnose lautet. Herzstillstand durch Stromausfall? Bradykardie trotz Schrittmacher? Fremdeinwirkung? Batteriedefekt oder Versagen der Elektroden?«

      Beim letzten Wort drückte Wohlfahrt das Kreuz durch und warf Bircher einen misstrauischen Blick zu.

      »Sie glauben doch nicht, dass jemand nachts in die Klinik geschlichen kam, um … Ja, was eigentlich hätte diese Person denn tun können? Die Schrittmacherelektroden und die Batterie hängen doch nicht am Bettgestell.«

      »Werden die Batterien irgendwie geprüft, bevor sie dem Patienten eingesetzt werden?«

      Wohlfahrt froren die Gesichtszüge ein. Er sah Bircher vorwurfsvoll an, so als hätte der ihm eine unverschämte Frage gestellt. Er dachte offenbar nicht daran, auf diese Frage einzugehen.

      »Und?«, schob Bircher nach.

      »Die Schrittmacher werden programmiert, bevor wir sie verpflanzen. Das geht nur, wenn vorher eine Batterie drin ist.«

      »Verstehe, das erfolgt also außerhalb des Körpers. Und, haben Sie nun eine medizinische Erklärung für die Todesfälle auf Ihrer Station?«

      Wohlfahrts Gesicht nahm wieder Farbe an und er faltete mit einem Seufzer die Arme über der Brust. Dämliche Fragen, signalisierte seine Körpersprache.

      »Sie verstehen offenbar nicht, dass bei ungeklärten Todesursachen alle Möglichkeiten überprüft werden müssen. Ich leite die Morduntersuchungskommission. Also, Ihre Diagnose, Herr Doktor Wohlfahrt?«

      Auf einmal war es so still im Raum, dass man den Atem des anderen zu hören glaubte. Wohlfahrts Lippen waren ein schmaler Strich. Es war schwer abzuschätzen, ob seine Empörung gespielt oder vorgetäuscht war. Er unternahm keine Anstalten, auf Birchers Frage einzugehen. Der ließ es dabei bewenden. Sein kalter Blick verriet, was er vom Schweigen des Arztes hielt.

      »Nun, dann gehe ich davon aus, dass wir die Ermittlungen fortführen werden. Zur nächsten Frage, die Sie sicher beantworten können: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Frank Schuster und Klaus Behrens? Wer macht was, kommen die in Ihre Klinik, haben sie Zugang zu den Patienten, treffen Sie sich regelmäßig mit denen? Ich höre.«

      Bircher saß jetzt wieder Wohlfahrt gegenüber. Hinter den dicken Brillengläsern waren seine aufmerksamen Augen starr auf den Arzt gerichtet und gaben ihm den Ernst der Lage zu verstehen. Wohlfahrt entspannte sich ein wenig. Diese Fragen erschienen ihm unverfänglich. Er richtete sich auf und entlockte seinen Zügen den Hauch eines freundlichen Lächelns. In der vergangenen halben Stunde hatte seine Mimik zwischen Besorgnis, Empörung, Gleichmut und unterdrückter Wut gewechselt. In ruhigem Ton, als referierte er über ein medizinisches Thema, erzählte Wohlfahrt von der Studie, die die drei Männer zusammengebracht hatte. Dass Frank die klinischen Daten der zen­tralen Schrittmacherdatei analysierte, Klaus in den Blutproben nach auffälligen klinischen Markern suchte, und wie er selbst das Ganze aus ärztlicher Sicht begleitete, sie auch einmal mit in den OP-Saal genommen hatte, und dass die Sache erfolgreich zu werden schien. Alles bestens, signalisierte er Bircher, der ihn reden ließ, obwohl ihm das alles aus den Akten bekannt war.

      Während Wohlfahrt sprach, vervollständigte Bircher sein Bild von ihm. Ein Mann mit pedantischen Zügen, der sich seinem Beruf voll hingab. Wahrscheinlich ein Mensch, der im privaten Leben Konflikte mied und sich rasch verschloss, wenn’s kritisch wurde. Ein Einzelgänger, ganz ohne Frage. Eine bedrückende Stimmung ging von ihm aus, den Mann umgab eine Trauer, als würde ihm etwas auf der Seele liegen. Wohlfahrts Profil passt nicht gerade in mein Berufsbild eines Chirurgen, stellte Bircher verwundert fest. Oder der Beruf passt nicht zu dem Mann. Na ja, jetzt beende ich das Gespräch. Als könnte Wohlfahrt Gedanken lesen, hatte er sich mittlerweile neben die Tür gestellt und wartete mit reglosen Augen darauf, dass sich Bircher verabschiedete.

      »Verkehren Sie mit Schuster und Behrens auch privat?«, fragte Bircher wie beiläufig, sein Notizbüchlein verstauend.

      Wohlfahrt stutzte, als vermutete er eine Falle.

      »Hm, schon, aber nicht intensiv. Die beiden waren einmal bei uns zum Essen. Ja, und meine Frau, die hat die beiden auch mal besucht.«

      »Wie, allein?«

      »Nein, natürlich nicht. Unser Freund und Nachbar, Doktor Bäsler, hat sie begleitet. Mir hatte man kurzfristig einen Nachtdienst aufgebrummt.« Wohlfahrt war plötzlich in einen legeren Tonfall verfallen.

      »Doktor Bäsler, arbeitet der auch hier?«

      »Über mir, in der Chirurgie, als Oberarzt.«

      »Vorname?«

      »Lothar.«

      »Bei welchem ihrer Kollegen waren Ihre Frau und Doktor Bäsler?«

      »Äh, bei beiden, die wohnen zusammen.«

      »Aha«, sagte Bircher trocken, zog das Notizheft wieder heraus und notierte sich etwas.

      »Wohnten. Ich glaube, Frank ist vor ’ner Weile ausgezogen«, ergänzte Wohlfahrt gelangweilt.

      »Und Ihre Frau, ist sie auch in der Medizin unterwegs?«, fragte Bircher im Plauderton, über den Besuch Frau Wohlfahrts bei den beiden Junggesellen nachsinnend.

      »Nein.« Wohlfahrts Stimme klang ablehnend.

      »Und?«, half Bircher nach.

      »Meine Frau ist als Abteilungsleiterin im Kosmetik-Kombinat beschäftigt und beaufsichtigt die Entwicklung neuer Produktlinien«, beschrieb Wohlfahrt leicht gestelzt die Tätigkeit der Gattin.

      »Sicher

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