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Schrittfehler. Richard Grosse
Читать онлайн.Название Schrittfehler
Год выпуска 0
isbn 9783959588034
Автор произведения Richard Grosse
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Dann wollen wir mal«, sagte Klaus, als würde er zum Angriff blasen.
Er blinzelte Frank nochmal zu, der mit einem gequälten Lächeln an der Wand lehnte, und riss die Tür auf. Vor ihm stand Renate und strahlte ihn mit einem triumphierenden Lächeln an, als wäre ihr eine besondere Überraschung gelungen. Klaus’ Lächeln gefror zu einem blöden Grinsen, hinter ihm reckte Frank den Hals und traute seinen Augen nicht.
Neben Renate stand breitbeinig ein unbekannter Mann. Er war etwa so groß wie Renate, allerdings doppelt so breit. Er hatte die Hände vor seinem Bauch gefaltet, wie es Leute tun, die gelassen einer Vorstellung folgen. Sein volles Gesicht verriet Willenskraft, die grauen Augen waren leicht zusammengekniffen und glitten an Klaus hinab. Der Mann war deutlich älter als sie, seine Gesichtszüge zeugten von Lebenserfahrung und einem ausgeprägten Selbstbewusstsein. Ohne die Lippen zu öffnen, rang er sich ein sparsames Begrüßungslächeln ab. Ich hoffe, ich störe nicht, schien es anzudeuten. Frank hatte sich gefangen und ging mit geneigtem Kopf auf Renate zu, die gerade Klaus die rechte Wange hinhielt.
»Schön, euch zu sehen!«, rief sie in sein glühendes Ohr, als wäre er der erste in einer Schlange von Leuten, die ihr ein Küsschen schenken dürfen.
An Klaus vorbei sah sie Frank an, der sein übliches Lächeln im Gesicht trug und in Gedanken bei dem unbekannten Mann war. Woher kommt der denn? Ist das vielleicht ihr älterer Bruder? Wo ist Peter? Wie Programmbefehle reihten sich die Fragen in seinem Schädel aneinander. Renate schob Klaus sanft zur Seite und streckte Frank wie zur Tanzaufforderung beide Arme entgegen. Sie neigte leicht den Kopf zur Seite. Unbeholfen beugte sich Frank hinab und seine Lippen streiften flüchtig ihre Haut. Ihm stieg das Blut in den Kopf und er fürchtete, ins Taumeln zu geraten. Sie trug eine offene schneeweiße Bluse und einen schwarzen engen Rock, der knapp die Kategorie Mini verfehlte. Irgendwie erinnerte sie Frank an ein Mädchen auf seiner Einschulungsfeier vor zweiundzwanzig Jahren. Renate lief flink in die Wohnung, während Klaus und Frank wie angewurzelt im Korridor standen und ihrem Rock hinterhersahen.
»Ich bin der Lothar Bäsler!«, riss sie eine hohe Baritonstimme aus der Lethargie.
Zu dem Mann hätte eher ein sonorer Tonfall gepasst, wie er korpulenten Männern, die sich gemächlich durchs Leben bewegen, eigen ist. Stattdessen meldete sich der Mann wie ein Feldwebel zu Wort.
»Abend, ich bin Klaus und das ist Frank, wir arbeiten mit Renates Mann zusammen«, sagte Klaus, als erklärte er seine Anwesenheit und erwartete Ähnliches von dem Gast.
»Alles bekannt, ich kenne dich und Frank aus Peters Berichten«, schnarrte Bäsler und ging wie selbstverständlich zum Du über. »Ich arbeite in derselben Klinik wie Peter, eine Etage über ihm, in der Chirurgie. Privat sind wir auf einer Ebene, ich bin nämlich Wohlfahrts Nachbar. So, dann zeigt uns mal euer Reich«, trompetete er, seinen Blick in die Wohnung gewandt.
Frank und Klaus warfen sich einen besorgten Blick zu.
»Und Peter, kommt der nach?«, fragte Klaus.
»Nee, der hat Nachtschicht.«
Die Auskunft klang so beiläufig wie die Bemerkung über eine Zugverspätung.
»Ach, ausgerechnet heute«, entfuhr es Frank, der sich an Peters Hochzeitstag erinnerte.
Lothar Bäsler marschierte in die Küche, sein Bäuchlein straffte das Oberhemd, den Kopf hielt er aufrecht, als ob er nach etwas Ausschau hielt. Renate inspizierte als erstes die Wohnung, im Schlepptau folgten wie zwei Reiseleiter Klaus und Frank.
»Was gibt’s denn heute Schönes zum Abendbrot?«, rief Lothar aus der Küche, ganz so, als käme er regelmäßig zum Essen vorbei.
Renate zog die Augenbrauen hoch, begleitet von einer zurechtweisenden Armbewegung.
»Das ist euer Wohnzimmer, und was kommt dahinten?«, fragte sie und streckte ihren nackten Arm aus.
»Ein kleiner Korridor und unsere Schlafzimmer.«
Sie hatten fast gleichzeitig geantwortet. Renate kniff leicht die Augen zusammen und deutete mit einem seitlichen Kopfnicken an, dass sie die ganze Wohnung interessierte.
»Hat jeder seins?«
»Ja. Willst du die auch sehen?«, wunderte sich Klaus, der sich nicht daran erinnern konnte, wann er dort zum letzten Mal aufgeräumt hatte.
Im Hintergrund dröhnte erneut Lothars Bariton:
»Nicht schlecht für zwei Junggesellen, drei Zimmer, Dusche und Küche. Kriegen eigentlich nur Nationalpreisträger oder Chefärzte!«
Oder Kinder von Staatsfunktionären, setzte Frank für sich hinzu. Bäsler gesellte sich zu ihnen und betrachtete eingehend die roten Sessel.
»Das war eine Ausbauwohnung. Wir mussten so gut wie alles instand setzen, Bad, Wasserleitungen, Elektrik, Malern«, rechtfertigte sich Frank.
»Schon gut, gönne ich euch doch, die Bude. Und du als Ingenieur verstehst ja was vom Handwerk.«
Lothar gab sich ganz jovial. Er trat näher und gab Frank einen Klaps auf die Schulter. Der zuckte leicht zusammen. Er bemerkte, dass Lothar über ihn unterrichtet war. Von wem wohl? Doch von Renate?
»Na los, nun zeigt uns noch den Rest«, sagte Renate in Richtung Schlafzimmer.
Klaus setzte sich in Bewegung, Frank zögerte und beschloss, ihm die Führung zu überlassen. In seinem Schlafzimmer befanden sich ein breites Bett und ein Tisch, den er zum Arbeiten benutzte. Das konnte sie seinetwegen sehen.
»Ich gehe in die Küche«, verlautete Lothar. »Schlafzimmer von Männern sind langweilig. Komm, Frank.«
»Willst du ein Bier?«, fragte Frank, der nervös auf die Rückkehr Renates wartete, während Lothar sich den Innenhof ansah.
»Ja, gern«, rief er über die Schulter.
»Auf welcher Station arbeitest du?«, fragte er pflichtschuldig.
Er hätte sich auch nach dem morgigen Wetter erkundigen können. Frank ahnte nicht, dass Lothar die Eigenart besaß, jedes Gespräch an sich zu reißen, sobald man ihm ein Stichwort gab.
»Ich bin Oberarzt auf der Chirurgie, operiere alles, was mir unter das Messer kommt. Am häufigsten Krebs, Magen, Darm, Bauspeicheldrüse, Kehlkopf und so weiter. Während des Studiums bin ich ’ne Weile Rettungsdienst gefahren, auch noch als Assistenzarzt …«
»Lothar, lass den Frank in Ruhe, er hat Feierabend«, unterbrach ihn Renate, die ihre Besichtigung beendet hatte.
»Ja, weißt du, Renatchen, der Frank hat sich doch erkundigt, was ich so treibe, von früh bis abends, und …«
»Lothar, mein Guter, heute wollen wir nicht über Krankheiten reden. Komm, setz dich hierher«, schnitt sie ihm erneut charmant das Wort ab.
Dabei fasste sie ihn wie ein störrisches Kind unter und führte ihn an den Tisch. Lothar brummte etwas in sich hinein und ließ sich auf den erstbesten Stuhl sinken.
»Nein, Lothar, bitte den anderen Stuhl. Und ich setze mich hierher, wenn’s recht ist«, befahl lächelnd Renate.
Nun saß er ihr nicht gegenüber, sondern an der Stirnseite des rechteckigen Tisches. Sobald seine Hände Messer und Gabel hielten, wurde deutlich, dass der massige Körper, in dem man auch einen Waldarbeiter hätte vermuten können, einem Arzt gehörte. Er führte Messer und Gabel wie ein OP-Besteck.
»Und der Frank sitzt dann da, und der Klaus dort«, fuhr sie mit erhobenem Zeigefinger fort, als wäre sie hier zu Hause.
»Wer hat nochmal gekocht?«, fragte sie.
»Ich, nach