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das Weihnachtsgeschäft denken. Aber, um aufs Thema zurückzukommen, ich schicke euch Jenny.«

      »Gut. Sie kann ja zwei, drei Tage früher kommen, dann hat sie auch noch was davon. Hier ist jetzt schönster Spätsommer.«

      Zu seiner Frau sagte Dieter: »Tanke den Wagen auf, du sollst ins Tessin fahren, die KInder abholen. Der Opa scheint doch nicht geneigt zu sein, sie zurückzubringen. Kann man eigentlich auch nicht von ihm verlangen.« Etwas gerührt fügte er hinzu: »Du wirst ja ganz rot, Jenny. Freust du dich so darauf?« Bei sich dachte er: Sie braucht anscheinend tatsächlich ab und zu eine hübsche Abwechslung. Ich muß mir das merken.

      Jenny erinnerte sich nicht, wann sie jemals von einem öffentlichen Fernsprecher aus angerufen hätte. Jetzt tat sie es, von der Tankstelle aus.

      »Vincent, können wir uns in Zürich treffen? Paris – Zürich, das ist direkte Fluglinie. Ich muß von da aus weiter ins Tessin, nächste Woche beginnt die Schule für die Kinder wieder. So etwa anderthalb Tage könnten uns gehören. Kommst du?«

      »Ich komme. Ich denke Tag und Nacht an dich. Liebst du mich?«

      Als sie aus der Zelle kam und zu ihrem Wagen gehen wollte, lief sie fast an ihrer Schwester vorbei. »Hallo, Jenny«, sagte Vera, »du bist ja ganz geistesabwesend und glühst förmlich. Was ist denn mit dir los?«

      »Vera – wo kommst du denn auf einmal her?« fragte Jenny verwirrt.

      »Ich war auf dem Weg zu dir, da sah ich dein Auto hier stehen und bin ausgestiegen. Wieso telefonierst du neuerdings vom Münzfernsprecher aus?«

      Jenny schwieg, sie strich sich über die Stirn, schob das dunkellockige Haar zurück. Wie zärtlich seine Stimme geklungen hatte.

      »Du wolltest zu mir«, brachte sie endlich mechanisch hervor.

      Vera hatte ihre Schwester mit einem langen Blick angesehen. »Ja«, sagte sie, »du kommst ja nicht zu mir, und am Telefon bist du merkwürdig einsilbig. Hast du denn jetzt etwas Zeit für mich?«

      »Ja, ich – ich wollte eigentlich noch zur Bank, Geld umtauschen.«

      »Französische Francs?« fragte Vera. Plötzlich glaubte sie zu wissen, und es ließ ihr den Atem stocken: Jenny war in Paris gewesen, und sie wollte wieder hin. Sie hatte mit Marian telefoniert!

      »Nein, Schweizer Franken. Ich will doch die Kinder holen.«

      Vera atmete auf. »Auf die Bank kannst du auch nachher noch. Laß uns eine Tasse Kaffee drüben im Café Wenz trinken. Ja, magst du?«

      Zögernd nickte Jenny, sie wäre viel lieber jetzt allein gewesen, mit ihren Gedanken, mit ihrer fieberhaften Freude auf Vincent. Aber sie wollte ihre Schwester nicht kränken.

      Als sie sich wenig später an einem kleinen runden Tisch gegenübersaßen, begann Vera: »Ich will ja nicht in dich drängen, Jenny, aber ganz so harmlos scheint das in Paris doch nicht gewesen zu sein, sonst hättest du mir sicher viel mehr und unbefangen davon erzählt.«

      Jenny hatte sich inzwischen gefaßt. Warum eigentlich sollte sie lügen? Vera würde sie nicht verstehen, aber sie würde sie auch nicht verraten. Und schließlich: Es war ihr Leben.

      »Ja, Vera«, sagte sie langsam, »wir lieben uns, Vincent und ich, und wir werden uns immer lieben, ganz gleich, was daraus werden soll.«

      Vera wurde blaß. Also doch! Aber wie ruhig, wie sicher Jenny das Ungeheuerliche aussprach. Sie ließ wohl eine Minute vergehen, um jetzt nichts Falsches zu sagen. Ihr Vorwürfe zu machen und moralische Entrüstung zu zeigen, würde wenig Sinn haben.

      »Ist das Wort Liebe nicht etwas zu stark dafür, Jenny?« meinte sie vorsichtig und suchte ihren Blick.

      Ihre Schwester schüttelte den Kopf, mit einem verträumten, glücklichen Lächeln. »Es war so wundervoll, Vera. Ich bin eine neue Frau geworden. Morgen abend sehe ich ihn wieder. Wir treffen uns in Zürich.«

      »Das hast du wohl soeben mit ihm besprochen?«

      »Ja. Du siehst, ich bin ganz offen zu dir.«

      »Hm.« Vera nickte vor sich hin. Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Und was ist das für ein Gefühl, wenn du aus den Armen eines anderen Mannes kommend vor deine Kinder trittst?«

      »Diese beiden Dinge haben nichts miteinander zu tun. Auf Katrin und Claus freue ich mich dann auch wieder. Das ist doch selbstverständlich.«

      »Und Dieter?« fragte Vera etwas mühsam. »Kannst du ihm noch in die Augen sehen?«

      »Dieter wäre nicht der erste Mann, der überhaupt nicht merkt, daß seine Frau ihm nicht mehr allein gehört«, gab ihr die Schwester mit schmalen Lippen zurück.

      »Jetzt ist er vielleicht noch ahnungslos. Aber er wird es nicht bleiben. Für so dumm darfst du ihn nicht halten. Eines Tages wird er merken, daß du eigene Wege gehst. Und dann?«

      »Er wird es nicht merken«, behauptete Jenny herb. »Ich werde es schon so einrichten, daß ich Vincent nur sehe, wenn Dieter keinen Verdacht schöpfen kann. Irgendwie wird sich immer ein Weg finden.«

      »Ist dir klar, daß damit eine Kette von Lügen in dein Leben kommt, an der du schwer tragen wirst?« hielt Vera ihr ernst und bedrückt vor. »Denn in unserer Art liegt das nicht, Jenny.«

      »Wenn es doch sein muß…« Jenny sah vor sich nieder. Mechanisch rückte sie an ihrer Kaffeetasse. Plötzlich hob sie den Kopf. »Ich weiß, daß du das nicht nachvollziehen kannst, Vera. Du bist glücklich in deiner Ehe. Ich bin es schon lange nicht mehr. Ich wußte doch gar nicht mehr, was Glück ist. Für Dieter bin ich – ja, wie soll ich sagen – etwas sehr Nützliches. Ich sorge für den Haushalt, ich erziehe die Kinder, auch das überläßt er ja weitgehend mir, im Geschäft ersetze ich eine Arbeitskraft, wenn es nötig ist, und ich bin an seiner Seite bei offiziellen Anlässen. Daß ich als Frau dabei verkümmere, danach fragt niemand.«

      »Aber Jenny, übertreibst du jetzt nicht? Du hast dich seit einiger Zeit in eine Unzufriedenheit hineingesteigert, siehst alles negativ. So ist es doch gar nicht.«

      »Was meinst du, wie das für mich war«, brach es weiter aus Jenny heraus, als seien die Einwände ihrer Schwester an ihrem Ohr vorübergegangen, »als Vincent schon bei der Vorstellung spontan und wie überrascht zu mir sagte: Wie schön Sie sind! Wo ich mich doch schon alt und häßlich fand, weil ich seit Jahren kein Kompliment mehr gehört hatte. Und als ich dann, weil Dieter es so wollte, den Abend mit ihm verbrachte, wir durch die Stadt bummelten, irgendwo etwas tranken, da fühlte ich mich so jung an seiner Seite, so unsagbar beschwingt. Der Funke ist sofort übergesprungen. Es war von Anbeginn mehr als ein Flirt.«

      »Und dann schickt Dieter dich auch noch nach Paris!« stöhnte Vera und legte die Hand gegen die Stirn.

      »Und es kam alles so, wie es kommen mußte«, vollendete Jenny. »Auch Vincent ist glücklich.« Jetzt lächelte sie wieder nach innen im Gedanken an seine zärtliche Stimme.

      »Kann er denn glücklich sein, so, wie die Dinge liegen?« murmelte Vera vor sich hin. Sie blickte auf. »Ist er nicht wesentlich jünger als du?«

      »Zwölf Jahre, ungefähr«, sagte Jenny leichthin. »Aber das spielt zwischen uns überhaupt keine Rolle.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Ja, ich muß weiter, Vera, ich habe noch einiges zu besorgen. Mach bitte nicht so ein tragisches Gesicht. Dies ist keine Tragödie, sondern eine wundervolle Liebesgeschichte.«

      Wenige Stunden später sagte Vera zu ihrem Mann: »Jenny hat vollkommen den Verstand verloren. Sie glaubt doch tatsächlich, in dem Maler die große Liebe gefunden zu haben!«

      »Vierzig scheint ein gefährliches Alter zu sein«, meinte Edgar, beinahe amüsiert. »Setzt sie dem armen Dieter denn wirklich Hörner auf?«

      »Ja, und darüber kann man nicht lächeln, Edgar. Damit rennt sie doch in ihr Unglück.«

      »So düstere Prophezeiungen muß man nicht gleich aussprechen. Sie wird schon schnell genug wieder zur Besinnung kommen und sich reuig in Dieters Arme flüchten.«

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