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zucken auch gutwillige Pflege- oder Adoptionseltern zurück.«

      »Aber Laura ist nicht gestört«, sagte Vera schnell.

      »Laura? Nein, das kann man so nicht nennen. Sie flüchtet sich nur zu oft in eine Traumwelt. Dann erzählt sie das Blaue vom Himmel herunter, wie das ja auch bei Ihnen geschah.«

      »Damit schützt sie sich wohl nur vor der harten Wirklichkeit«, bemerkte Vera verhalten. »Wie lange wird sie noch in diesem Haus bleiben müssen, wenn nicht ein Wunder geschieht?«

      »Sie wird ein Fall für die Fürsorge bleiben, wie die meisten anderen hier auch. Einmal hat sich jemand für Laura interessiert, es gab auch schon eine gewisse Zuwendung, aber die wollten dann doch lieber ein Kleinkind. Laura war ihnen schon zu groß. Zwei- bis Dreijährige sind eher gefragt, ältere Kinder weniger.«

      Vera fiel Lauras Ausspruch ein, sie sei schon »zu alt«. Jetzt fand sie ihn nicht mehr so wunderlich. Wieder läutete das Telefon. Diesmal war es nur ein kurzes Gespräch. Vera stand auf.

      »Ich will Sie nun nicht länger aufhalten, Frau Behrend. Haben Sie Dank, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben. Die Unterredung war für mich sehr aufschlußreich. Aber eine Bitte habe ich: Erlassen Sie Laura die Strafen. Lassen Sie sie doch zu den anderen Kindern im Hof. Sie ist da oben so allein.«

      »Damit Sie mir bei nächster Gelegenheit wieder ausreißt?« Die Heimleiterin schüttelte den Kopf. »Nein, da muß ich konsequent bleiben. Diesen dritten Tag muß sie noch durchhalten.« Streng und unnachgiebig klang es. Sie stand ebenfalls auf und reichte der Besucherin die Hand. »Auf Wiedersehen, Frau Gerstner.«

      »Auf Wiedersehen.« Vera zögerte kurz, bevor sie entschlossen sagte: »Ich werde Laura manchmal zu mir holen. Das werden Sie doch erlauben?«

      Die andere schien überrascht. »Ja, gewiß. Das ist kein Gefängnis hier.« Ihr Blick wurde prüfend. »Sie interessieren sich für Laura, nicht wahr?«

      »Ich habe Mitleid mit ihr. Ich möchte ihr wenigstens ab und zu eine Freude bereiten.«

      »Haben Sie Kinder, Frau Gerstner?«

      »Nein«, antwortete Vera, »aber ich kann damit umgehen. Mein Mann ist tagsüber nicht da, er kommt nur zum Mittagessen, so habe ich nachmittags öfter mal Zeit. Ich werde es Laura sagen, daß Sie es erlauben. Dann hat sie schon etwas zum Freuen.«

      Laura saß mit gefalteten Händen gerade und stocksteif auf dem Bettende, das zur Tür gewandt war. Sie hatte sich gekämmt, sie hatte ihre Schuhe und das Strickjäckchen angezogen. Sie empfing Vera mit den Worten: »Ich habe immer da hingeguckt«, sie deutete auf die Tür, »und ich habe ganz fest geglaubt, daß Sie wiederkommen.«

      »Das hatte ich dir doch versprochen«, sagte Vera.

      »Darf ich raus?« fragte Laura schnell. »Mit Ihnen?«

      »Nein. Die kleine Ausreißerin hat noch Heimarrest bis morgen.«

      »Ach, doch.« Enttäuscht ließ das Kind die Schultern hängen. »Ich dachte, Sie wären vielleicht bei Frau Behrend gewesen wegen mir.«

      »Das war ich auch, Laura, und ich habe auch ein gutes Wort für dich eingelegt. Aber sie läßt sich nicht erweichen. Man muß sie auch verstehen, weißt du. Bei den vielen Kindern hier muß sie schon streng sein.«

      »Ja«, sagte Laura kleinlaut, und der Kopf sank ihr auf die Brust. »Manche sind schlimm, die raufen und klauen und sind furchtbar frech. Aber so schlimm bin ich doch nicht.« Die letzten Worte kamen nur wie ein Flüstern.

      »Nein, das bist du nicht. Und weil ich das weiß, sage ich dir jetzt etwas.« Vera legte ihr die Hand unter das Kinn und hob das Gesichtchen zu sich empor. »Du darfst auch weiterhin manchmal zu mir kommen, von nun an mit Erlaubnis. Ich hole dich dann ab, damit du nicht immer den weiten Weg machen mußt. Ich habe nämlich auch ein Auto, nur benutze ich es seltener.«

      Während sie sprach, waren Lauras Züge immer heller geworden. »Danke«, stammelte sie, »oh, danke. Dann werde ich jetzt immer auf Sie warten.«

      »Aber nie mehr fortlaufen, hörst du? Das mußt du mir versprechen, damit es hier nicht wieder Ärger gibt.«

      Laura nickte nachdrücklich und versprach es ihr in die Hand. Als Vera fortging, blieb sie noch lange auf der Bettkante sitzen, kniff fest die Augen zu und sah viele wunderschöne Bilder vor sich.

      *

      »Sei doch nicht so hektisch, Jenny«, sagte Vera, »eine Viertelstunde wirst du doch wohl mit hereinkommen können.«

      »Ausgeschlossen! Ich will nur die Kinder hier abliefern, dann muß ich gleich ins Geschäft. Übernächste Woche ist die Vernissage, und die Frau Steegen ist ausgefallen. Ausgerechnet jetzt muß sie krank werden! Ich weiß bald nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Du mußt entschuldigen, daß ich dir nicht vorher Bescheid gesagt habe.«

      »Macht doch nichts«, sagte Vera gelassen, die neben dem Wagen stand.

      »Nun steigt schon aus«, herrschte Jenny ihre Kinder an. »Was trödelt ihr so, ihr wißt doch, daß ich es eilig habe. Hach, die beiden sind wirklich unleidlich zur Zeit!«

      »Du schimpfst ja auch immer nur mit uns rum.« Betont langsam kletterte Claus aus dem Auto.

      »Hättest mich ja mit Stefanie fahren lassen können.« Katrin folgte ihrem Bruder. Ihr hübsches Gesicht war ein einziger Vorwurf. »Die ist jetzt schon mit ihren Eltern in Italien, und sie hätten mich mitgenommen.«

      »Hör jetzt endlich damit auf!« sagte ihre Mutter gereizt. »Und daß ihr mir Tante Vera nicht auch noch auf die Nerven geht!«

      »Das werden sie bestimmt nicht tun«, beruhigte Vera ihre Schwester, die ziemlich aufgelöst aussah. Die augenblicklich herrschende Hitze schien ihre Nervosität noch zu steigern. »Wir werden uns schon vertragen, hm?« Sie legte rechts und links einen Arm um die beiden.

      »Also dann, Tschüs, bis heute abend, es kann aber etwas später werden.« Mit aufheulendem Motor brauste sie davon.

      »Ist doch wahr, Tante Vera!« Katrin sah zu ihr auf. »Alle Kinder verreisen jetzt in den Schulferien, manche fliegen auch mit ihren Eltern ganz weit fort, dahin, wo ihr neulich wart, nur wir müssen wegen dem blöden Geschäft zu Hause bleiben.«

      »Ja, und Mama packt uns einfach ins Auto, dabei hätte ich mit Micha schwimmen gehen können«, stimmte das Brüderchen in ihr Klagelied ein.

      »Wißt ihr was? Wir gehen auch schwimmen. Ihr habt doch noch Badezeug bei mir, vom vorigen Jahr.«

      Vera machte die Haustür hinter ihnen zu, damit die Hitze nicht so hereindrang. Sie hielt die Räume nach Möglichkeit kühl, über der Terrasse war die große Jalousie herabgelassen.

      Im Flur blieben die beiden stehen.

      »Was macht denn die hier?« fragte Claus verdutzt und blickte durch die offenstehende Küchentür auf das Kind, das da auf der gepolsterten Sitzbank saß und Buchstaben in ein Heft malte.

      »Ja, ich habe Besuch.« Veras Stimme klang munter. »Das ist Laura, und das sind Katrin und Claus.«

      Das kleine Mädchen schob sich von der Bank. »Guten Tag.« Es wagte aber nicht, näher zu kommen.

      »Hallo.« Claus wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte.

      »Ich denke, du heißt Isabella. Du warst doch neulich schon mal da.« Dabei sah Katrin das fremde Kind von oben bis unten an. Sie bemerkte sofort, daß es jetzt anders aussah als neulich, das Haar war nicht mehr so strubbelig, zur kurzen Hose trug es ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt.

      Laura wurde rot unter diesem kritischen Blick. Jetzt bin ich nicht mehr allein mit Tante Vera, dachte sie traurig, denn so durfte sie sie jetzt nennen. Aber vielleicht wollten die beiden größeren Kinder das gar nicht. Sie würde einfach nichts sagen.

      Vera überhörte die Worte ihrer Nichte. »Ich mache uns jetzt einen schönen kühlen Trunk«, schlug sie vor, »und dann fahren wir ins Waldfreibad. Laura, du kommst mit! Du wirst sehen,

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