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Thema. Zur Ablenkung sahen sie sich ein heiteres Ratespiel im Fernsehen an, und dann kam auch Edgar mit den beiden aus der Nachmittagsvorstellung zurück. Da gab es nun viel zu erzählen. Für die kleine Laura war der Blick in diese bunte, glitzernde Welt ein wahres Erlebnis gewesen.

      Vera nickte und lächelte zu allem und tat interessiert. Aber sie mußte doch immer wieder an Jenny denken. Das waren sorgenvolle Gedanken, auch nicht ganz frei von Groll, mit denen sie sie suchte.

      *

      »Ich bin ein bißchen traurig, daß unser gutes schwesterliches Verhältnis sich so gelockert hat«, sagte Vera, nachdem sie Platz genommen hatte. »Ich denke, wir sollten uns einmal aussprechen. Oder hast du kein Vertrauen mehr zu mir?«

      Jenny setzte sich in den anderen breiten Sessel ihr gegenüber. »Zuerst möchte ich dir danken, daß ihr Katrin und Claus ein schönes Wochenende bereitet habt. Hoffentlich ist es euch nicht zuviel geworden. Ich konnte wirklich nicht ahnen, daß Dieter plötzlich nach London fliegen wollte.«

      »Und wo warst du, wenn man fragen darf?«

      »Ich war bei Vincent«, antwortete Jenny.

      Vera zuckte zusammen. Sie hatte es geahnt, ja eigentlich beinahe schon gewußt, aber nun traf es sie doch, ihre Schwester das so unumwunden aussprechen zu hören.

      »O Jenny…«, flüsterte sie.

      Aber Jenny sah sie nur kühl und wie von fern an.

      Im Haus lief der Staubsauger, in einem eintönigen leisen Summen. Frau Müller war da. Vera hatte die Vormittagsstunde gewählt, um Jenny aufzusuchen, weil die Kinder dann in der Schule waren.

      »Weißt du, daß Katrin schon Verdacht schöpft?« sagte Vera mit enger Stimme, nachdem sie sich geräuspert hatte.

      »Ach ja?« Jenny hob die feingezeichneten dunklen Brauen. »Hat sie etwas zu dir gesagt?«

      Vera nickte. »Sie ist nicht mehr so kindlich, wie es manchmal scheinen mag. Sie bekommt schon dieses und jenes mit. Jenny!« Beschwörend streckte sie die Hand nach der Schwester aus. »Wohin soll das denn bloß führen? Du kannst doch nicht immer weiter lügen und betrügen.«

      »Das ist wahr. Das kann ich nicht.« Jenny stand auf. Sie trat an die Hausbar und schenkte Sherry in zwei kleine Gläser. Vera folgte ihren Bewegungen aufmerksam. Hatte sie am Ende doch Schluß gemacht, war es die letzte Begegnung gewesen am Wochenende mit ihrem Geliebten?

      Aber da sagte Jenny, während sie die Gläser auf den niedrigen Tisch stellte: »Es ist auch für Vincent kaum noch zu ertragen, dieses Abschiednehmen immer wieder nach viel zu kurzem Beisammensein. Ich will nur noch Weihnachten vorübergehen lassen.« Sie setzte sich wieder.

      »Und dann?« fragte Vera in banger Ahnung.

      »Dann werde ich mich von Dieter trennen und zu Vincent gehen. Ich sehe keine andere Lösung, Vera, als mich zu unserer Liebe zu bekennen.«

      »Das ist doch Wahnsinn, Jenny!« Vera war das Blut in die Wangen gestiegen vor innerer Erregung. »Das würde nicht nur für Dieter ein furchtbarer Schlag sein, sondern auch für eure Kinder. Denkst du denn nicht an Katrin und Claus? Was sollte denn aus ihnen werden?«

      »Es wird sich schon eine gütliche Regelung finden. Sie können wählen, bei wem sie bleiben wollen. Ich stelle mir vor, Claus bei seinem Vater, und Katrin bei mir. Sie wird es verlockend finden, in Paris zu leben. Aber das alles wird man sehen…«

      Vera schüttelte heftig den Kopf. »Da bist du bereit, alles in Scherben zu schlagen, nur um einer blinden Leidenschaft zu folgen?« hielt sie ihrer Schwester erregt vor.

      »Um mir mein Glück zu erkämpfen«, verbesserte Jenny.

      »Weißt du denn, ob das ein Glück wird?« sagte Vera mit flammenden Augen. »Was man auf dem Unglück anderer aufbaut, hat noch nie gutgetan. Muß sich das nicht auch Vincent Marian sagen?«

      »Er liebt mich«, sagte Jenny, als gelte daneben nichts, aber auch gar nichts anderes.

      »Du bist zwölf Jahre älter als er«, fuhr Vera fort, »wenn…« Aber Jenny ließ sie nicht aussprechen. »Vincent fühlte sich immer mehr zu reifen Frauen hingezogen als zu kleinen Mädchen«, behauptete sie mit großer Sicherheit.

      Vera sprang auf, es hielt sie nichts mehr auf ihrem Platz. Diese Hilflosigkeit angesichts Jennys Beharren! War es doch mit allem, was sie ihr entgegenhielt, als renne sie gegen eine Mauer. »O Jenny, Jenny, bist du denn nicht mehr zu retten?« murmelte sie unglücklich.

      »Was mir jetzt geschieht«, sagte Jenny ernst, »und was ich noch vor mir habe – das wird nicht einfach sein, ich weiß es, aber es geschieht hundert- und tausendfach auf der Welt, weil Gefühle eine größere Kraft besitzen als aller Verstand.«

      »Dann sollten sich hundert- und tausendfach die Frauen und die Männer schämen, die kaltblütig ihre Familien verlassen«, sagte Vera bitter. »Und jetzt gehe ich, da ich doch nichts ausrichten kann. Ich kann nur hoffen, daß meine Schwester im letzten Moment noch zur Besinnung kommt.«

      Aber sie wußte, daß es in den Wind gesprochen war.

      Tiefbedrückt sprach Vera mit ihrem Mann darüber, denn sie verbargen nichts voreinander. Auch Edgar runzelte betroffen die Stirn.

      »Das ist ja nicht zu fassen! Ob ich mal mit Dieter rede, von Mann zu Mann, damit er zumindest vorgewarnt ist?« überlegte er laut.

      »Das würde Jenny sicher als schweren Vertrauensbruch empfinden, denn sie will ja damit noch warten. Weihnachten soll noch als Familienfest gefeiert werden.« Wieder war ein bitterer Unterton in ihrer Stimme.

      »Kann sie das denn?« verwunderte sich Dieter. »Kann sie das tun in dem Wissen, daß sie kurz darauf alles zerstören will?«

      Vera zuckte die Achseln. »Jenny bringt offenbar neuerdings alles fertig. Ihr sind alle Grundsätze und Maßstäbe durcheinander geraten.« Sie seufzte schwer. »Dieter würde sie auch nicht mehr von dem Abgrund zurückreißen können, in den sie sich stürzen wird. Ich kann das nicht anders nennen, und ich glaube nicht, daß ich da zu schwarz sehe.«

      Sie kamen so bald nicht los von diesem Thema. »Mit diesem Marian sollte man reden«, grollte Edgar. »Er scheint sich der Tragweite dessen gar nicht bewußt zu sein, was er da anrichtet.«

      »Sie sind es beide nicht«, sagte Vera resigniert.

      Schließlich gelangten sie zu der Ansicht, daß es wohl besser wäre, sich da nicht einzumischen. Die Angelegenheit war zu heikel. In drei Wochen konnte noch manches geschehen. Aber die Sorge um die Verwandten blieb wie ein Schatten über ihnen.

      Für Laura war dieses erste Weihnachten in der Liebe und Geborgenheit ihrer Pflegeeltern ein großes, wunderbares Erlebnis. Der Papa hatte Urlaub genommen, am Ersten Feiertag wollten sie verreisen, dorthin, wo der Winter schon richtig Einzug gehalten hatte.

      »Und unseren schönen Baum mit den richtigen Kerzen, den können wir nicht mitnehmen«, sinnierte die Kleine.

      »Wir werden dort noch viele geschmückte Tannen sehen, mein Liebes«, versicherte Vera. »Und die Berge im Schnee, da wirst du staunen! Mit der Kabinenbahn werden wir hoch auf die Gipfel fahren, und im Tal warm eingepackt mit dem Pferdeschlitten durch wunderhübsche Dörfer und eine herrliche Landschaft…«

      So malte sie Laura aus, was sie erwartete, und das Kind hörte mit staunenden Augen zu.

      »Daß ihr ausgerechnet jetzt wegfahren wollt«, sagte Jenny irritiert am Telefon. »Wir sind doch sonst immer zusammengekommen an diesen Tagen.«

      »Kannst du dir den Grund nicht denken?« erwiderte Vera herb.

      »Nein.« Und dann, sehr leise: »Du, Vera, weißt doch, daß es so nicht wieder sein wird. Da könnten wir doch noch einmal…«

      »Heile Welt spielen, meinst du?« unterbrach Vera ihre Schwester. »Ich kann das nicht, Jenny. Ich könnte Dieter nicht in die Augen sehen, nicht mit den Kindern lachen, denen diese Welt bald in Stücke brechen wird. Und Edgar macht da auch nicht mit.«

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