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      „Aber das richtige Kabarettferkel,“ erwiderte ich so laut, dass alle es hören konnten, denn mir war die Sache nun allmählich bis zum Halse gestiegen. Als alle aufblickten, die Späte voller Entrüstung ein Bein übers andre schlug und in herausfordernder Erwartung die dünnen Arme über dem inhaltsleeren Reformkleid verschränkte, fuhr ich mutig fort: „Das ist nämlich ein neuer Gattungsbegriff, meine Herrschaften, den ich mir schmeichle, erfunden zu haben. Bekanntlich beschmutzen die vierfüssigen Ferkel sich selbst, natürlich nur körperlich — die holden zweibeinigen mit dem ewigen Brunstschrei in der Brust und der Sehnsucht nach der öffentlichen Begattung, beschmutzen sich durch Worte — Ferkel sind sie beide. Dort sprudelt’s aus dem Mistkober und hier aus dem Schmutz der Phantasie ... Schani, zahlen.“

      „Jetzt muss ich aber wirklich nach Hause,“ sagte die Sezessionslinie, fast weinerlich in dem Schweigen, mit dem man mich beehrte. Der schöne Rudi jedoch fasste sich schnell. „Das Kabarettferkel — damit komme ich nächstens, das ist was, das wird zieh’n.“ Und er wandte sich an meinen jungen Kollegen mit der Frage, ob er „so etwas“ dichten könne. „Das ist unerhört,“ hauchte die mit dem Schrei nach dem Kinde und schlug nun zur Abwechselung das linke Bein über das rechte.

      Ich bat, die „neue Kunst“ zu grüssen und ging unter dem lebhaften Bedauern der Jünglinge und des Schwarzen, der über meine Offenheit mit einer tiefen Verbeugung quittierte. Der reife Pfirsich fragte mich, ob wir nicht einen Weg hätten; ich schüttelte ihn aber noch einmal ab, trotzdem er bereits gefallen war. Hinter mir schnatterten die Überweibchen wie eine Schar aufgescheuchter Gänse.

      Draussen pfiff der eisige Morgenwind, der aus Nordost von einer neuen Sturmflut herzukommen schien. Eine Dirne, dünn angezogen, strich durch die einsame Strasse, an den erleuchteten Fenstern des Cafés vorbei, wohl innerlich fluchend, dass sie zu den „Anständigen“ dort drin nicht hinein dürfe. Zaghaft, zitternd vor Kälte, sprach sie mich um ein kleines Geschenk an, damit sie nicht arm nach Hause gehe.

      „Man wird schlecht, ohne dass man’s merkt, und ich muss Kostgeld für mein Kindchen haben,“ entschuldigte sie ihren letzten Schritt.

      Kein hässliches Wort kam über ihre Lippen, und als ich in ihr bleiches Gesicht sah, dachte ich an die Sonja in Dostojewskis Raskolnikow, schämte mich nicht und fasste in die Tasche.

      Auch ein Schrei nach dem Kinde, aber ein aus Not und Elend geborener!

      Diese Dirne war in meinen Augen ganz erheblich gestiegen!

      Überwindung.

      Professor Johannes Murr befand sich in sehr übler Laune, trotzdem eigentlich kein tieferer Grund dazu vorlag, denn abgesehen von einer zeitweilig auftretenden Magenverstimmung fehlte dem allgemein geschätzten Gelehrten nichts von jenen Gütern, die der Mensch herbei sehnt, um alle an ihn herantretenden Wünsche erfüllen zu können. Er lebte in glücklicher Ehe, hatte fünf gesunde Kinder, die ihm andauernd Freude bereiteten, war schuldenfrei, beliebt bei allen seinen Kollegen am Gymnasium, deren Stimmen er sicher war, falls der stets kränkliche Direktor demnächst in den unausbleiblichen Ruhestand treten würde, als dessen berechtigten Nachfolger er sich längst in Gedanken erblickt hatte, und durfte sich infolge einer erst kürzlich gemachten erheblichen Erbschaft auch in dem schönen Traume wiegen, seine Hinterbliebenen dereinst in besseren als sonst üblichen Verhältnissen zurücklassen zu können. Überdies war ihm noch vor kurzem eine Freude erfüllt worden, auf die er kaum mehr gehofft hatte. Sein neuestes Buch „Über das Mitleid“ war erschienen, lag in allen Schaufenstern und hatte auch schon in dem Wust von Neuerscheinungen zahlreiche wohlmeinende Erwähnungen in den Zeitungen gefunden, woraus er schliessen durfte, dass die gelehrte Fachpresse sich jedenfalls eingehend und anerkennend damit beschäftigen werde. Dieses Buch, das eigentlich mehr eine Etymologie des Wortes „mitleiden“ war und, davon ausgehend, einen reichen Wortschatz aller darauf bezüglichen Begriffe enthielt, der sich am Schluss bis zu einer gründlichen philosophischen Auslegung der christlichen Liebe erweiterte, lag nun, schön und würdig ausgestattet, vor ihm auf dem Tisch, und mit der Befriedigung des Schaffenden, der sein letztes Geisteskind am meisten liebt, hatte er es unzählige Male in die Hände genommen, immer wieder darin gelesen und geblättert und es zum Überdruss bereits der ganzen Familie gezeigt, ungefähr wie ein Mann mit einer gewissen kindlichen Schwäche, der davon überzeugt ist, dass sich eigentlich alles um seine Person drehen müsse, wodurch andre wichtige Dinge in den Hintergrund gerückt würden.

      Da geschah plötzlich etwas, was er niemals erwartet hätte und was ihm die ganze Laune verdarb. Er erhielt eine Postkarte folgenden Inhalts: „Sehr geehrter Herr Professor! Ich habe mir Ihr Buch „Über das Mitleid“ gekauft und es auch gelesen. Soweit ich etwas davon verstehe, ist es sehr durchdacht, es hat mir im allgemeinen auch gefallen. Nur haben Sie ein Wort vergessen, ohne das wir alle nicht auskommen können und das den Schatz Ihres Wissens mehr vervollständigt hätte. Worauf Sie aufmerksam macht — mit Hochachtung Ihr Schwager Hermann Tipke.“

      Dieser Schwager, mit dem sich die Schwester seiner Frau, ein schon etwas spätes Mädchen, seiner Meinung nach nur „verplempert“ hatte, war der einzige, Gott sei Dank nur selten, auftretende Ärger seines Lebens, entstanden aus jener Verwandtschaft, die man nicht ableugnen kann, an die man aber am liebsten nicht erinnert werden möchte. Nach des Professors Meinung wenigstens! Zwar hätte er tiefere menschliche Gründe gegen diesen „Entfernten“, der ihm schon seit Jahren nicht zu nahe getreten war, nicht vorbringen können, aber sein höherer Bildungsgrad, seine verwöhnten Umgangsformen, die ganze Aufmachung seiner Karriere hatten ihn dazu gedrängt, jeden engeren Verkehr mit diesem Angeheirateten zu meiden, der da irgendwo im Osten Berlins, in der Nähe der Spree, ein kleines Versandgeschäft eingemachter Früchte besass und sich nebenbei mit irgend welcher Tierzucht befasste, wofür sich aber der Gymnasialprofessor gar nicht interessierte. Er erfuhr nur hin und wieder so nebenbei etwas davon, und zwar durch seine Frau, die mit der Schwester regen Verkehr unterhielt. Der Mann war ihm gänzlich gleichgültig geworden, und zwar seit der ersten persönlichen Begegnung, die er, um nicht unhöflich zu erscheinen, nicht hatte verhindern können. Er konnte sich nun einmal nicht befreunden mit Leuten, die seinem Gedankengange nicht folgen konnten, keine Ahnung davon hatten, was ein Humanist sei, ihre eigenen Sprachen redeten und obendrein nicht wussten, was sie ausserhalb ihrer häuslichen Tätigkeit mit den Händen anfangen sollten.

      Und nun war ihm das Unerhörte passiert: dieser Mann meldete sich ohne jede Anregung, wagte nicht nur Kritik, wenn auch eine versteckte, an seinem durchaus wissenschaftlichen Werke zu üben, sondern tadelte auch auf offener Karte in jener grosszügigen Schleifenschrift, aus der allein schon die geringe Denkfähigkeit des niedriger stehenden Individuums sprach. Ausserdem unterzeichnete er auch noch mit „Schwager“, was sozusagen der Anmassung die Krone aufsetzte und fast wie ein verwandtschaftlicher Hohn klang, verblümt mitgeteilt durch den Ausdruck der Hochachtung, den man aber bei dieser Art von Menschen genügend zu würdigen wusste!

      Der Professor, schon nervös geworden durch anstrengende geistige Arbeit, die manchmal bis in die Nacht hinein währte, geriet in äusserste Erregung und verschonte auch seine Frau nicht damit, ohne jedoch die eigentliche Veranlassung zu verraten; denn er schämte sich ein wenig und befürchtete auch, an seinem wunden Punkt erkannt zu werden. Bald aber sagte sich die kluge Frau Professor, die diese Eigenheiten ihres Mannes zur Genüge kannte, dass jedenfalls eine schlechte Kritik eingetroffen sei, worunter gewöhnlich die ganze Familie zu leiden hatte.

      Allmählich wurde Johonnes Murr wieder ruhig, denn je öfter er die Karte las, je mehr musste er sich sagen, dass sie eigentlich nichts Unehrerbietiges enthalte, vielmehr lediglich eine durchaus löbliche Anerkennung seines Schaffens, obendrein von einem Käufer seines Buches, dessen Name ihn nur verstimmt hatte. Als unangenehmes Anhängsel blieb der Hinweis auf eine Lücke in seinem Wortschatz übrig, worüber er allerdings nicht hinweg kam. Sein geistiges Gleichgewicht litt darunter, sein ganzer Gelehrtenstolz kam ins Wanken, und er geriet in die Verfassung eines Mannes, der etwas Vollendetes zu leisten geglaubt hat und nun auf Mängel aufmerksam gemacht wird, die er selbst nicht findet. Dieses fehlende Wort machte ihm zu schaffen, wurde gleichsam die Geissel seines Grübelns, und als er sich genugsam erfolglos den Kopf darüber zerbrochen hatte, raffte er sich zu einem Entschlusse auf, der ihm zwar wahnwitzig erschien, ihn aber doch

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