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auf dem langen Tisch verteilt hatte. Ich dankte, denn ich hatte vorher besseren getrunken, und bestellte mir noch einen Kaffee, was der Spender ganz überhört haben musste, denn nicht lange darauf schob er mir ein zweites Glas mit denselben Worten zu: „Darf ich bitten, freut mich sehr.“ Das erste hatte inzwischen mein junger Poet heruntergegossen, wahrscheinlich in der Meinung, dass das unter „Kollegen“ ganz egal sei. Er hatte auch schon einen kühnen Griff in die Manolischachtel getan und sich ein halbes Dutzend davon in die obere Tasche seiner Kutscherweste gesteckt, wo sie nun wie Rauchpatronen hervorlugten. Seinem Beispiele waren heimlich „Kritiker“ und „Malöhr“ gefolgt, so dass die eine Rekelnde, die von der andern fortwährend mit „Schnutchen“ angeredet wurde, entrüstet ausrief: „Ja, wo sind denn die Manoli, Ihr fresst sie wohl? Pimpelchen, bestell’ doch noch.“

      Schani musste an der Tür gehorcht haben, denn wie gerufen war er wieder da, staubte sein Tuch in der Luft aus und nahm den Auftrag von dem Schwarzen entgegen, dessen unzweideutiges Verhältnis zu Schnutchen ich sofort erriet. Als sie gleich darauf äusserte, dass sie noch Appetit habe auf „etwas recht Schleckriges“, hielt er sofort in einer Ecke eifrig Kriegsrat mit Schani. „Schön, schön — bringen Sie die ganzen Pastetchen, wenn nichts andres mehr da ist. Machen Sie sie warm, gut, gut.“

      Der Poet, dessen grosse Schallfänger für solche Heimlichkeiten besonders empfänglich waren, raunte mir ehrerbietig zu, dass dieser grosse Gönner ein bekannter Makler in Getreide und ausserdem Stammgast in der „Fledermaus“ sei.

      Der Sekt löste die Zungen noch bedenklicher, und bald schwamm die Unterhaltung in jenem lieblichen Strome, wo eine Zweideutigkeit die andre treibt, so dass der Unterschied der Geschlechter fast verwischt wird.

      „Lustig, nicht? Hier kann man doch ein Wort reden,“ raunte mir Frau Überall zu und beruhigte dann die Geschnörkelte im blauen Kleide, die fortwährend jammerte, was ihre Mama „dazu“ sagen würde. Es machte aber auf mich den Eindruck, als wäre das eine niedliche Angewohnheit von ihr neuen Gesichtern gegenüber, denn sie flötete es immer auffallend laut zu mir hinüber. „Sei doch nur ruhig, du hast ja den Hausschlüssel,“ beschwichtigte sie der reife Pfirsich, der mir noch niemals so angestochen erschien, als gerade an diesem Abend.

      „Ich weiss gar nicht, was ihr wollt,“ übertönte Schnutchens Stimme dann ein erregtes Redegefecht, in dem die andre geschwellte Bluse und die Schüchterne kreischend auf sie losgefahren waren. „Ich mach’ mir gar nichts daraus, was die Welt darüber denkt, ob ich ’n Kind so habe, oder so. Philisterstandpunkt! ... Pimpelchen, mein Glas ist leer, du siehst es doch!“

      „Ganz meine Meinung,“ mischte sich die Späte mit dem ewigen Mutterschrei hinein und gellte die andern beiden an: „Blödsinn, überwundener Standpunkt! Ich will mich ausleben, ich habe das natürliche Recht dazu. Wenn die Männer sich alles gestatten dürfen, kann ich’s auch. Ich bin ich und kann über mich verfügen, wie ich will. Und wenn ich mich verschenke mit Leib und Seele, so geht’s keinen was an.“

      „Es nimmt sie aber keiner,“ spöttelte der Konservatorist heimlich, der bisher wie stumpfsinnig auf die Tischplatte geblickt hatte.

      „Na, ja, eigentlich haben Sie ja nicht unrecht,“ lenkte die Schüchterne ein, „aber so etwas spricht man doch nicht offen aus.“

      „Ach, die so tun ... Was?“ rief Schnutchen aus. „Aber so lass doch neuen anfahren!“ schnauzte sie dann den Schwarzen an. „Ich kann doch hier nicht verdursten.“

      „Darf ich bitten, freut mich sehr,“ sprach Pimpelchen in grosser Verlegenheit wieder auf mich ein und hielt mir seinen kleinen Brusttaschenkoffer mit den Importierten entgegen.

      „Nehmen’s mir die Damen nicht übel, aber wenn man solche Ansichten hört, glaubt man auf der freien Liebesinsel zu sein,“ sagte plötzlich der einzige anwesende Mime, der sich als Kabarettgrösse bisher in einsamer Schweigsamkeit verhalten hatte.

      Die Jünglinge brüllten vor Lachen, da sie das für einen Witz hielten, und nahmen einen neuen Anlauf dazu, als die Späte kalt lächelnd einwarf, dass die moderne Frauenbewegung ja mit vollen Segeln dahin wolle.

      „Erlauben Sie gefälligst, meine Verehrte,“ wagte ich bescheiden einzuwenden, „welche Frauenbewegung meinen Sie denn? Die nach unten, oder die nach oben? Die in den Morast, oder die aus dem Morast?“ Ein feindlicher Blick aus den grauen Augen traf mich, dessen tödliche Blitze aber glücklich durch ein abermalige Bemerkung des Vortragskünstlers glücklich abgelenkt wurden.

      „Fräulein Pfeiffer meint immer die Bewegung nach dem Standesamt. Wenn’s soweit ist, denkt sie milder,“ witzelte er wieder.

      „Rudi, ich verbitte mir diese Verdächtigung,“ geiferte sie ihn spitz an. „Sie kennen doch meine Überzeugung. Für mich gibt es nur eine heilige Ehe: die aus freier Willenserklärung geschlossene, ohne staatlichen Zwang.“

      „Jemehr ich darüber nachdenke — etwas Grosses liegt darin,“ fiel die Schüchterne ein, die das Sektglas schon hin und her wackeln liess.

      „Dann lassen wir doch einmal unsere eheliche Gütergemeinschaft leben,“ sagte der verflixte Rudi wieder, der, obwohl er als Widersacher dieser äussersten Emanzipationsgelüste auftrat, fortwährend von der holden Weiblichkeit angeschmachtet wurde, am meisten aber von Schnutchen, mit der er, wie ich zu bemerken glaubte, trotz des Gönners unter dem Tisch telegraphierte, was ihn aber nicht abhielt, über dem Tisch den Schwarzen mit ausgesuchter Höflichkeit zu behandeln.

      „Jetzt muss ich aber wirklich gehen,“ flötete die Sezessionslinie dem reifen Pfirsich zu. „Wenn das Mama wüsste!“

      „So bleib’ doch nur, stärker kann’s ja nicht mehr kommen,“ beruhigte sie Frau Überall, aus deren rosigem Gesicht andauernd nur Vergnügen sprach. „Ich weiss nicht, was du willst — es ist doch hier sehr gemütlich und anständig obendrein.“

      Sie blieb auch, denn Schani und der Pikkolo kamen zu gleicher Zeit herein gestürmt, der vertrocknete Wiener mit neuen Pullen, und der Kindskopf mit einem grossen Tablett frisch gewärmter Fleischpasteten, die von drei Paar Jünglingsaugen zuerst durch bohrt wurden, bevor sie auf die Tellerchen gelangten.

      Der Verfasser des berühmten einen Feuilletons schluckte vor Wonne, der Konservatorist verlor seinen Stumpfsinn, der Dichter-Malöhr nahm sich sofort drei davon, und auch der wirkliche Künstlehr, der sich zuletzt nur noch allein etwas vorgesungen hatte, griff mit seinen langen Tatzen schnurstracks auf das Tablett und behandelte die Delikatessen wie Butterbrote.

      „Pimpelchen, wir wollen auch etwas haben,“ muckte die Vollbusige gehörig auf und zog das Tablett zu sich herüber, so dass zwei Sektgläser umfielen. „Solche Wölfe!“

      „Darf ich bitten, freut mich sehr,“ sagte der Gönner wieder zu mir, sah dann aber zu spät ein, dass er nichts mehr an mich zu verteilen hatte. Dafür goss er mir aber gleich zwei Gläser voll Sekt ein, die wie von unsichtbarer Hand gleich nach rechts und links fortgezogen wurden. Ich nahm das nicht übel, vergnügte mich vielmehr über den Anblick der schmatzenden Überweibchen und Übermännchen, denen nun Gelegenheit gegeben war, vorübergehend den Mund zu halten. Die ganze Tafel schwamm in übergeplanschtem Sekt, aus dem der Geruch von verkohlten Cigaretten, von verkleckerten Speiseresten und dem Fettgeruch der Pasteten aufstieg. Die Damen dufteten nach Maiglöckchen, Flieder und Veilchen, und die Dicken schmorten in der Hitze des kleinen Raumes.

      Glühwürmchen hüpfte auf ihrem Stuhl hin und her und summte etwas, was man nicht verstand.

      „Nun, wie denkst du denn über die freie Liebe?“ fragte sie der hübsche Rudi, der die Vergünstigung zu haben schien, sie alle als seine Herzenskinder anzureden.

      „Ich halt’ mir schon die Ohren zu, wenn ich so was höre,“ trillerte sie mit verschämtem Lächeln.

      „Na, dann deklamiere uns doch das Storchlied,“ ermunterte sie die Grosse.

      „Soll ich?“ und einen kleinen Spitz im Kopf, stellte sie sich wie ein züchtiger Backfisch an die Wand, den Zeigefinger an den Lippen und trug das Lied vom Storch vor, der zu früh geklappert hatte.

      „Sollte

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