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Guardiola. Dietrich Schulze-Marmeling
Читать онлайн.Название Guardiola
Год выпуска 0
isbn 9783730700655
Автор произведения Dietrich Schulze-Marmeling
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Guardiola hat das Glück, dass Cruyff und Rexach mit ihren Spielern gerne diskutieren. Rexach: „Er hatte die Persönlichkeit, mit uns in Dialog zu treten, er hinterfragte die Entscheidungen. Wenn ein Spieler so strukturiert denkt, dann stört das nicht. Niemals.“ Manchmal sei es aber auch ihm und Cruyff zu viel gewesen: „Viele Haken, nur um am Ende so weit zu sein wie am Anfang. Manchmal fragte er Cruyff und mich so oft ‚warum‘, dass uns nichts anderes übrig blieb, als ‚deshalb‘ zu antworten.“
Auch einigen Mitspielern geht Guardiolas Wissbegierde auf die Nerven. So etwa Frankreichs Weltmeister Emmanuel Petit, der im Sommer 2000 zum FC Barcelona kommt, wo er sich von der katalanischen Gemeinschaft um Guardiola ausgeschlossen und schlechtgeredet fühlt. „Dieser Typ macht mir echt Kopfschmerzen, weil er ständig nach dem Warum fragt.“
Als Persönlichkeit ist der junge Guardiola ein Prototyp seiner späteren Spieler. Ronald Koeman: „Er war freundlich, normal, ohne jeden Hauch von Arroganz. Er benahm sich nicht wie ein Star. Ich erinnere mich, dass er einen gebrauchten VW Golf fuhr, als er zur 1. Mannschaft stieß. Drei Jahre später fuhr er noch immer einen VW Golf.“
In der Saison 1990/91 kommt Guardiola auf vier Einsätze in der Primera División, für Barça-Präsident Núñez nur ein „kindischer Scherz“. Sein Debüt feierte er 19-jährig am 16. Dezember 1990 beim Heimspiel gegen Cadiz. Im April 1991 läuft er gegen CD Castellón, FC Sevilla und RCD Mallorca auf. Der FC Barcelona wird erstmals seit fünf Jahren wieder Meister – mit zehn Punkten Vorsprung auf „Vize“ Atlético Madrid.
(*) Bis 1991 hieß die 2. Mannschaft des FC Barcelona noch Barcelona Atlètic, seither FC Barcelona B.
KAPITEL 2
Der Stratege des Dream-Teams
Der Aufstieg zum Führungsspieler / Gewinn der europäischen „Königsklasse“ 1992 / Olympisches Gold im Camp Nou
Seine erfolgreichsten Jahre verbringt der Spieler Pep Guardiola unter dem Trainer Johan Cruyff. Viermal gewinnt er in diesen acht Jahren die spanische Meisterschaft und dreimal den spanischen Supercup. Der größte Triumph seiner gesamten Spielerkarriere ist aber der Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1992.
Es ist der erste Sieg der Katalanen im prestigeträchtigsten der europäischen Klubwettbewerbe, den der Rivale aus Madrid zuvor bereits sechsmal gewonnen hat. Für Günter Netzer ist das Barça-Team dieser Jahre ein Idealfall: „Eine erstklassige Mannschaft darf nicht nur erfolgreich sein. Ich möchte schon auf dem Platz etwas Besonderes sehen. Schöner Fußball darf das Scheitern riskieren. Es darf nur kein Dauerzustand sein. Mit Spielsystemen hat Schönheit im Fußball nichts zu tun. Das Ideal war der FC Barcelona unter Johan Cruyff. Das war Schönheit, Dominanz, Tempo und große Klasse. Da waren physische Fitness und technische Fertigkeiten, mit denen man gar nicht erst darüber nachdenken muss, was mit dem Ball passiert. Das geht, anders als zu meiner Zeit, schon in der Abwehr los. Jeder einzelne Spieler ist dafür verantwortlich. Bei Cruyff mussten die Abwehrspieler stürmen, die Mittelfeldspieler arbeiten und Tore schießen und die Stürmer notfalls auch mal im Mittelfeld aushelfen.“
Der Sieger von 1992 geht als Dream-Team in die europäische Fußballgeschichte ein. Ein Poster der Mannschaft schmückt noch heute die Wände vieler Kneipen und Cafés Kataloniens. Guardiola, Zubizarreta, Koeman, Stoichkov, Laudrup und Co. werden noch immer fast mehr verehrt als die nicht weniger brillanten Champions-League-Sieger von 2006, 2009 und 2011. Das Dream-Team markiert eine zweite Geburt des FC Barcelona, denn es begründet eine bis heute gültige Spielphilosophie.
Der verlängerte Arm des Trainers
In der Saison 1991/92, Cruyffs erfolgreichstem Jahr als Trainer des FC Barcelona, wird Guardiola Stammspieler. Nach 38 Spieltagen der Primera División stehen 26 Einsätze zu Buche. Im Europapokal der Landesmeister ist er bei allen elf Auftritten dabei.
Cruyff sieht in ihm den Spieler, der seine Ideen auf dem Spielfeld perfekt umsetzen kann. Guardiola wird zum Musterschüler des „Königs“. Mit ihm verbessern sich Cruyffs Chancen, Barça einen Fußball nach seinen Vorstellungen spielen zu lassen. „Der einfache Fußball (ist) häufig der schwierigste“, lautet Cruyffs Credo. Guardiola ist der Spieler, der diesen einfachen und zugleich schwierigen Fußball beherrscht und aufs Feld zaubern kann wie kaum ein anderer. „Er konnte den Ball schnell unter Kontrolle bringen und ihn schnell weiterpassen“, erkennt Cruyff. „In einer Weise, dass ein anderer Spieler mit dem Ball etwas anfangen konnte.“
Guardiola agiert als tiefer Spielmacher vor einer Dreierkette oder als Halbspieler vor einer Viererkette. Guardiola ist die Umschaltstation in Barças Spiel – ein „Standspieler“, der den gegnerischen Angriff bremst, um dann schnell den Gegenangriff einzuleiten. Nicht durch schnelles Laufen, sondern durch schnelles, präzises und strategisch kluges Passen, wodurch er die Struktur des Angriffs seines Teams vorgibt. Sein Nachfolger Xavi wird unter dem Trainer Guardiola die Position des „Quarterbacks“ erheblich höher spielen.
Guardiola wird zum Denker und Lenker des Spiels und verlängerten Arm des Trainers auf dem Platz. Cruyff-Assistent Carles Rexach: „Als Cruyff und ich Trainer waren, dachten wir über eine Strategie nach und erklärten sie den Spielern.“ Wenn die Mannschaft die Kabine verließ, hätten sie Guardiola zurückgehalten, um ihm mitzuteilen: „‚Wir werden so und so spielen, aber in der 20. Minute werde ich dir ein Zeichen geben, und du wirst unsere Strategie ändern.‘ (…) Wenn wir die Taktik ändern mussten, dann ging das immer über Ronald Koeman mit seiner Erfahrung und Guardiola mit seiner Vision.“
Der Trainer Cruyff will, dass die Spieler seine taktischen Anweisungen verstehen. Nur wenn sie deren Sinn erkennen, sind sie fähig, die taktische Marschroute optimal umzusetzen. Cruyff ermutigt die Spieler zum Nachdenken über das Spiel, zur Diskussion und zur eigenständigen Analyse ihrer Fehler. So ist es kein Wunder, dass der Trainer und der wissbegierige und diskussionsfreudige Spieler Guardiola bestens zueinanderfinden.
Seine Position im defensiven Mittelfeld ist eine gute Schule für Guardiolas spätere Trainertätigkeit. Wer hier spielt, muss ein Spiel lesen können und ist taktisch wie strategisch permanent gefordert. Wie einst im Spieler Cruyff steckt auch im Spieler Guardiola bereits ein Trainer. Cruyffs Nummer 4 coacht seine Mitspieler – allerdings leiser und weniger gestenreich als einst der „König“.
Juan Manuel „Juanma“ Lillo, Guardiolas späterer Mentor, sieht eine direkte Verbindung zwischen dem Mittelfeldspieler und dem späteren Trainer. In einem Interview mit Dino Reisner und Daniel Martinez erklärt er Guardiolas Wissbegierde und Ehrgeiz zur „logischen Folge seiner Position auf dem Feld. Fast alle Mittelfeldspieler tendieren dazu, das Spiel aus einer globalen Perspektive zu betrachten und zu verstehen. Rein geometrisch müssen sie das ganze Spielfeld erfassen, sie dürfen ihr Gehirn nicht ausschalten, im Gegenteil: Diese Spieler müssen nicht nur ständig denken und überlegen, sondern gedanklich auch stets einen Schritt schneller und weiter sein als alle anderen. Und das alles nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für die Mannschaft, die immer oberste Priorität hat.“
Auch Guardiolas niederländische Mannschaftskameraden beim FC Barcelona sehen einen Zusammenhang zwischen seiner Position im Barça-System und seiner späteren Trainerkarriere. Michael Reiziger: „Er spielte immer vor der Abwehr, und er sah die folgenden drei Spielzüge voraus. Eine typisch niederländische Sache.“ Frank de Boer: „Pep war in Wirklichkeit der Schnellste von uns. Nicht im Rennen, aber im Denken.“ Für de Boer war klar, dass Guardiola mal Trainer werden würde: „Er war schon ein Trainer, als er noch spielte. Er redete ständig, schubste – aber in einer positiven Weise. Er war ein stiller Leader. Einige Spieler waren lautstark, wie ich. Aber Guardiola und Philip Cocu waren leise Anführer. Louis van Gaal und Pep benötigten nur Augenkontakt.“ Und Marc Overmars: