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noch Preussen . . . morgen noch Preussen . . . so Gott will . . . Herrgott — lass mich nur rechtzeitig nach Tilsit kommen . . .

      Türme in der Ferne am Weg — ein Schloss zwischen grünen Parkwipfeln . . . fahre, Litauer, fahre! — Das Schloss rückte langsam näher — farbige Punkte davor — schillernd in allen Regenbogenfarben. So buntscheckig waren nur die Husaren. Sie standen in Haufen um die Hufschmiede und liessen sich ihre Gäule beschlagen, in ihren schwarzen Filzmützen mit weissem Reiherflügel und ihren langen, weissen Hosen, die blauen Dolmans über den weissverschnürten roten Pelzen und grünen Schärpen, Schlangenköpfe am Sattel- und Zaumzeug. In ihrer Mitte Christ Wisselinck, der alte gräfliche Schmied. Ein Siebziger. Aber sein Hammer härtete noch hell das heisse, rote Eisen.

      „Tja, ihr Jungs!“ sprach er dabei in seinem heimatlichen pommerschen Platt. „Der Herr Oberst von Lüderitz führte die Cuirassiers und fiel bei Lowositz. Der Herr Oberst Siegfried von Krosigk übernahm die Cuirassiers und fiel bei Collin. Der Herr Oberst von Ziethen übernahm die Cuirassiers und fiel bei Zorndorf. Immer haben die Cuirassiers ihren Namen wieder wechseln müssen. Aber sie sind geblieben. So soll ja woll auch Preussen bleiben! Dat muss der Mensch ja nu in sich haben, dass er nicht kleinzukriegen ist. Sonst geiht dat nicht . . . Ei . . . Juel . . . min Sohn . . . wo kommst du her . .?“

      „Lass mich . . lass mich, Vater!“

      „Nu vertell’ mal . . . wie war die Reise?“

      „Wo ist Seine Exzellenz?“

      „Vorhin nach Tilsit gefahren!“

      „Und die Frau Gräfin?“

      „Sie rührt sich all! Mich dünkt, sie hat dich gesehen! Da schickt sie schon den Jäger und lässt dich holen! Ja — ihr Jungs — Respekt . . . dat ’s nun min Sohn, den empfängt eine hochgnädige Noblesse wie ihresgleichen im Ahnensaal!“

      An der Stirnwand des grossen Raumes, gegenüber der Türe, hing das lebensgrosse Bildnis des verstorbenen Generals Möllenbeck in dem strohgelben, blau ausgeschlagenen Koller und dem weissgefederten, durch ein Eisenkreuz geschützten schwarzen Hut der Zorndorfer Ziethenkürassiere. Darunter stand seine Schwiegertochter, die Gräfin Maria Theres’. Sie hatte in Eile eine Spitzenhaube mit breiten Kinnschleifen über die Lockenwickel ihrer Nachtfrisur geknüpft und einen langfransigen Persianer Schal um ihr meissmusselinenes Morgennegligé geworfen. Ihre Züge besassen, so lange der Kandidat Wisselinck sich erinnern konnte — vom Tage ihres Einzugs als ganz junge Frau von zwanzig Jahren bis heute — immer etwas Zeitloses, die herben Linien einer im Sattel in der Pussta, mit der Pirschbüchse in der Hand in den böhmischen Wäldern aufgewachsenen österreichischen Aristokratin. Nun erschien ihm ihr Antlitz fast männlich in seiner hart-entschlossenen Spannung, und die Leidenschaft einer Frau in Staatsgeschäften darüber.

      „Wisselinck . . . Jesus Maria . . . haben’s den Brief vom Stadion?“

      „Zu dienen, Exzellenz! . . . Ich bin verzweifelt . . . Ich musste diesseits der Weichsel, um nicht in die endlosen Trainkolonnen Napoleons zu geraten, einen Haken über Königsberg und die Nehrung schlagen! Zwei Tage Verlust! Es kann sein, dass der General Stutterheim mit dem förmlichen, österreichischen Bündnisangebot heute noch, gleich hinter mir, in Tilsit einpassiert!“

      „Um so kostbarer ist jede Minute! Ich lass’ Ihnen eben schon den ,Emir’ satteln — das schnellste Ross weit und breit! Reiten Sie’s, als ob es kein Dittchen wert wär’ . . . zum Grafen nach Tilsit . . .“

      „Ich fliege, Exzellenz . . .“

      „Er und andere wollen ihr Letztes tun, die Schmach zu verhindern — auf den faden Goltz und den leichtsinnigen alten Schwätzer, den Kalckreuth, einwirken! Der Schubiak, der Talleyrand, drängt die beiden, den Frieden zu unterzeichnen! Den Frieden — gerad’ jetzt, wo mei’ Österreich endlich — endlich sich auf sein’ Stolz und Ehre besinnt!“

      In der leidenschaftlichen Österreicherin kochte das Blut ihrer Ahnen. In ihrer Stimme zitterte es: Prinz Eugen, der edle Ritter . . . Sie goss eigenhändig dem Kandidaten ein Kristallglas voll Kanariensekt ein und stopfte ihm die Biskuits ihrer Morgenschokolade in die Fracktasche.

      „Trinken’s, Wisselinck! Essen’s im Sattel! . . Da kommt der ,Emir’ aus dem Stall! . . . Reiten’s mit dem Urian um die Wette! Sie finden den Grafen in Tilsit bei dem Salzburger — dem Mehllieferanten der ostpreussischen Inspektion von der Infanterie. Sie kennen ihn schon . . . den Magenhöfer . . . in dem grossen Haus am Flachsmarkt . . Reiten’s! . . . Jesus Maria . . . hilf!“

      Staubwirbelnd stob der Vollblüter den Weg dahin. Über seine Ohren weg flogen seines Reiters Augen voraus in die Memelniederung, leuchteten blau und heiss auf wie der Himmel über ihnen: Da vorne wuchsen aus grünem Land und gelbem Feld und dunklem Forst drei Türme nebeneinander auf . . . die Kirchtürme von Tilsit . . . Lauf — Emir — lauf . . . die Strasse vor dir ist leer . . . schon dicht an der Waffenstillstandsgrenze. Da, beim Herauskommen aus dem Fichtengehölz, auf dem Hügel hinter Annuschen, das letzte Flattern eines grauen, preussischen Offiziersmantels. Trotz der Kriegsruhe kampfbereit, die Pulverflaschen an weissledernen Schulterriemen, hinter ihm die Bombardiers an den Kanonen der reitenden Artillerie-Kompagnie. Der junge Leutnant Tiedecke oben wandte das fanatische, von zehn Monaten Kampagne braungebrannte, von zwei Blessuren gespenstig abgezehrte, bartlose Antlitz dem blauen Reiter unter zu:

      „Halt — Wisselinck! . . . Wohin? Nach Tilsit? Wollen Sie zugucken, wie man dort Preussen hundsföttisch zum Schindanger schleift? Sie kommen just zu Pass!“ Der wilde Artillerist wies nach dem altersgrauen, fernen Gemäuer, das sich plump über das niedere Dächergewirr des Städtchens reckte. „Dort, im Schloss, versammelt sich eben, was keine Ehre mehr im Leib hat, zu Bonapartes schwarzer Messe! Heute feiert der Höllensohn seinen Triumph! . . . Aber wartet nur, ihr dicken Epauletten, ihr Ordenssterne über Hasenherzen dort drüben in Piktupönen!“

      Vor dem wenige Flintenschüsse entfernten Kirchdorf Piktupönen glitzerten im Sonnenschein die polierten Kürasse über den Scharlachröcken der Gardes du Corps — ein Zeichen, dass Preussens Majestät selbst mit seinem Gefolge dort weilte. Zwei Reiter — der eine im hohen, schwarzen weissbebuschten Tschako der Grenadiere, der andere im hellblauen Tuchrock und den weissen Hosen der Auer-Dragoner — galoppierten vom Dorfeingang dem Reiter im blauen Frack entgegen. Schon von weitem schrie der Grenadier, die hohle Rechte am Mund:

      „Kandidat Wisselinck? . . . Sie kennen mich?“

      „Zu dienen, Herr Major von Wolfersbütt!“

      „Seine gräfliche Exzellenz hat befohlen, Ihnen, falls Sie durchpassieren sollten, ohne einigen Verzug einen Geleitschein nach Tilsit zu behändigen . . . wenn’s beliebt, Baron Vockendorf“ — und weiter, während der Kapitän von den Dragonern auf dem Sattelknopf den Passepartout unterfertigte: „Die Königin wohnt drüben im Pfarrhaus in Piktupönen. Der König im Häuschen ihr gegenüber. Er bleibt keine Nacht in Tilsit. Von diesem litauischen Nest aus müssen wir zusehen, wie Preussen zugrunde geht!“

      „Noch nicht, Herr Major!“ Der Reiter jagte davon, durch das leere, neutrale Land zwischen den lagernden Heeren, windumpfiffen, der Memelbrücke zu. Er trabte hinüber. Die Eisen hallten dumpf auf den Bohlen, wie Hämmer auf einem Sarg. Flösse schliefen unten auf dem Fluss. Ein Geruch von Heringen und Leder stieg aus dem Gewimmel der verankerten Kähne. Getreidehaufen wölbten sich in ihren offenen Bäuchen, Flachs- und Hanfballen. Mitten auf dem Strom lagen zwei Fahrzeuge, durch eine gezimmerte Plattform miteinander verbunden. Mit Purpur ausgeschlagen, ragte auf ihr ein einsamer, von allen Menschen verlassener Pavillon.

      Die kohläugigen, schwarz-schnurrbärtigen italienischen Grenadiere in blauen Schwalbenschwänzen und weissen Gamaschen am anderen Ende der Brücke schüttelten zu dem Französisch des Kandidaten Wisselinck finster ihre riesigen Bärenmützen. „No capisco!“ Aber sie liessen den Preussen doch weiter! Nur weiter! Im Galopp, über die Katzenköpfe des Pflasters! Um die Ecke! Vor das Haus des von Salzburger Emigranten stammenden Gross-Negocianten in Commerz-Produkten Magenhöfer. Im Hof die Zügel dem Reitknecht des Grafen Möllenbeck. Ein Handwink des Mannes: „Exzellenz sind oben!“ . . .

      In vier Sätzen die geschnörkelte

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