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dem Fährhaus zu. „Ich glaube doch, dass Napoleon mich empfängt!“

      2

      Vorwärts! Vor fünf Tagen habe ich eine Fahrt über die Weichsel getan, die lausiger war als dies Gesegel durch das Haff! An die Ruder jetzt! . . . Ich lege jedem von euch noch einen Friedrichsd’or zu!“

      Durch die lautlose Morgendämmerung keuchte der Atem der vier Fischer und klatschten die Riemen in dem windstillen Brackwasser der Memelmündungen. Der Fremde stand aufrecht in dem schwerfällig flussaufwärts gleitenden Boot. Er fasste mit einer gewohnheitsmässigen Bewegung unter die drei roten Schulterklappen seines blauen Reitfracks, ob da in der Brusttasche der Brief noch stecke — der siebenfach versiegelte Brief von Wien nach Tilsit . . . Er nahm den schwarzen Zylinderhut von dem neumodisch kurz gekappten Blondhaar und wandte den bartlosen, hartkantig geschnittenen jungen Kopf nach rückwärts. Ganz fern da hinten — vier, fünf Stunden weit — schimmerte noch über die graue Haff-Fläche das Licht von Nidden auf der Kurischen Nehrung, von der er kam, und erlosch in der ringsum schattenden Schilfwildnis des Russ.

      „Platz, trautstes Mannchen!“ Der Musterreiter schubste den einen erschöpften alten Fischer von der Bank, setzte sich, griff selbst nach dem Ruder. Der Kahn ächzte unter seinem wuchtigen Schlag. „Vorwärts!“ Der heisere, leidenschaftliche Schrei der jungen Männerstimme weckte das weisse Gesprengel der Möwen auf dem grauen Wasserspiegel aus dem Schlaf. Die wilden Enten im Röhricht lüfteten den Schnabel unter dem Flügel. Drüben, zur Rechten, vor dem schwarzen Moor des Jbenheimer Forstes, spitzten die Elche, die schattenhaft, gross wie Bauernpferde, im Erlenbruch standen, die langen Eselsohren über den Rammsnasen. Weiter — weiter! Ein Ruck! Der Nachen am Ufer! Ein paar sumpfverlorene, binsengedeckte Holzhütten im Zwielicht! Ein verschlafener Litauer . . . Auffunkelnd die zwinkernden Augen beim Glitzern des Goldstücks, im Schein der Stalllaterne, in des Fremden Hohlhand. Angespannt! Rittlings auf einem Brett mit vier Rädern, auf einem Weg, der keiner ist, in weisses Birkengewimmel und weisse Morgenschwaden über schwarzem Moor hinein! Vorn der Gaul, dann der Litauer, hinten der Fremde. Über Wurzeln! Ins Wasser! Durchs Dickicht! Vorwärts! Nach Tilsit! Nach Tilsit! . . .

      Da . . . ein Dorf . . . Sausgallen? . . Der Litauer nickt: Sausgallen! Zwei Tschakos im Zwielicht . . . Zwei erhobene Gewehrläufe mit schwarz dräuenden Mäulern.

      „Halt! Wer da?“

      „Ein Preusse!“

      „Das kann jeder sagen, der uns von Königsberg her in den Rücken pascht!“

      „Lasst mich durch — im Namen Preussens!“

      Der Leutnant der Feldwache trat rasch aus dem nächsten Bauernhaus, in gelben Hosen und gelben Stiefeln, so wie er geschlafen, nur rasch sich noch die hellgrüne Weste und den hellgrünen Rock mit rotem Aufschlag zuknöpfend.

      „Wer ist Er?“

      „Herr Leutnant . . . Ist der Friede schon unterzeichnet . .?“

      „Noch nicht! Immer noch Waffenstillstand!“

      „Gott sei Dank!“

      „Wer ist Er — frag’ ich!“

      „Einer, der diesen Frieden noch verhindern kann — mit wichtigster Geheimpost unterwegs . . . um Preussens willen — lasst mich durch!“

      Ein kurzes Zögern des Offiziers.

      „Einer der Burschen wird hinten aufsitzen und Ihn auf die grosse Heerstrasse nach Jugnaten bringen. Dort wird man Ihn examinieren! Melde Er, der Secondelieutenant Clausius vom Feldjäger-Regiment Yorck schicke Ihn!“

      Heller Morgen schon über den Höhen von Jugnaten. Goldene Sommersonnenstrahlen über dem preussischblauen Gewimmel der Brigade Rembow. Vor den einander die Zöpfe flechtenden, mit Schweineschmalz einfettenden und weisspudernden Füsilieren, breitbeinig in seinen schwarzen Tüchstiefeln, auf seinen Stock gestützt, der Kapitän vom Dienst, in weisser Weste und weisser Hose, die silberne, schwarzseiden durchwirkte Wachtschärpe um den dunkelblauen Frack geschlungen, den silbern betressten Dreispitz in der Stirne.

      „Hat Er Pässe?“

      „Nur ein halbes Dutzend falsche!“

      „Warum fälscht Er seine Ausweise — he, Monsieur?“

      „Weil ich sonst niemals lebendig durch die Polackei gekommen wäre — Tag und Nacht unterwegs — mit einer Post, an der das Schicksal Preussens hängt . . .“

      „Weise Er diese Post!“

      „Ich lasse sie nicht aus der Hand, Herr Kapitän! Ich darf sie nur in die Hand des Grafen Möllenbeck geben!“

      Der Hauptmann der Rembow-Füsiliere las, in der erhobenen Rechten des andern, zwischen den riesigen, roten Staatssiegeln die Aufschrift: „An Seiner Majestät in Preussen Geheimen Rat, Mitglied des Generaldirektoriums, Envoyé Extra-Ordinaire a. D., des Grafen Josias von Möllenbeck Exzellenz, auf Mariengarten.“ Sein Ton wurde achtungsvoller. Er frug:

      „Von wem stammt dieses Memorial?“

      „Von der eigenen Hand Seiner Erlaucht, des Herrn Kaiserlichen Ministers des Äusseren Grafen von Stadion in Wien!“

      „Wo soll Er es abgeben?“

      „Im Schloss Mariengarten — auf dem Weg nach Tilsit — zwei Stunden von hier!“

      „Ist Er dort bekannt?“

      „Ich bin dort geboren und aufgewachsen! Mein Vater ist Hufschmied auf dem gräflichen Herrschaftshof!“

      „Eines Hufschmieds Sohn . . . als Postenreiter . . . in hoher Staatsaffaire . . . hm . . . hm . . . Wer ist Er selber . . . Wie ist Sein Name?“

      „Ich heisse Juel Wisselinck und bin Kandidat beider Rechte an der Universität in Königsberg!“

      „Eines Hufschmieds Sohn . . . hm . . . wie ginge das wohl zu? . . . Expliziere der Herr Kandidat mir das, wenn es beliebt!“

      „In der Bataille von Zorndorf, im Siebenjährigen Krieg, rettete mein Vater, ein Pommer, als Fahnenschmied bei den Ziethen-Kürassieren seinem Rittmeister, dem Grafen von Möllenbeck, dem Vater der jetzigen Exzellenz, das Leben, indem er mehrere Baschkiren aus dem Sattel hieb, und wurde selbst dabei durch eine Blessur am Bein für immer lahm. Der Graf machte ihn zum Dank zum Hofschmied im Schloss Mariengarten und stand, als mein Vater mit seiner gnädigsten Permission heiratete, bei mir, seinem einzigen Sohn, Gevatter. Ich bin der Pate Seiner Exzellenz, die vor. elf Jahren, als General im Ruhestand, das Zeitliche segnete.“

      „Ah . . . das ändert den Fall!“

      „Hochdero Sohn, der jetzige Graf Möllenbeck, hat mir die väterliche Gunst als Vermächtnis bewahrt. Er liess mich, nachdem ich einige Zeit als Hofmeister auf adeligen Gütern konditioniert, meine juristischen Studien in Königsberg fortsetzen. Bei dem jetzigen betrübten Zustand Preussens bot ich, da meine geringe Herkunft mir den Offiziersstand verbietet, irgendwie meine bescheidenen Dienste an, zu denen mich auch meine Körperfertigkeiten eines Dorfbuben, als wie Klettern, Schwimmen, blanke Gäule reiten, qualifizieren mögen! Der Herr Graf entschlossen sich, mich, auf dessen Unscheinbarkeit kein Verdacht fiel, nach Wien zu senden, der Heimat der Gemahlin Seiner Exzellenz . . .“

      „Der geborenen Gräfin Lommetsch . . Oh . . ich weiss es wohl!“ sagte der Hauptmann der Füsilierbrigade Rembow. „Ich bin der Distinktion gewürdigt, den Herrn Minister Möllenbeck, diesen scharfsinnigen und adligen Kopf und Vorbild aller preussischen Tugenden, von Person zu kennen. Empfehle der Herr mich ihm zu Gnaden — vom Hauptmann von Wittelsburg — und setze Er seine Reise fort, so schnell es geht . . .“

      In tausend Rinnen zerfahren von den Geschützrädern, den Pulver- und Mehlkarren, ein Löchergewirr durch die Nagelsohlen von Tausenden — die Heerstrasse von Memel nach Tilsit. Krähengeflatter und tote Gäule am Weg — umgestürzte Planwagen im Graben — von Pferdehufen zerstampftes Getreide: Ein jetzt im Waffenstillstand unsichtbarer Riese, ragend, mit gespreizten Beinen, grinste der Krieg auf die lachende Landschaft zu seinen Füssen, auf den jungen Mann

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