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Blondschädel vom Fenster ab und verlor sich wieder in den Anblick der Demoiselle Dullenkopf.

      „Sie wären würdig, eine Preussin zu sein!“ sprach er ernst und langsam. „Das klingt vermessen — jetzt — wo es seit gestern die Raben auf dem Felde ausschreien: Finis Borussiae! . . . Auch mein Gemüt war tief bedrückt und ohne Hoffnung . . . Aber wunderbar: Seitdem ich Sie wiedergefunden habe, habe ich auch neuen Mut in mir gefunden . . .“

      „Oh — ich begreife . .,“ fuhr er fort, „dass Sie verwirrt vor sich auf die Tischplatte niederschauen und schweigen! Wozu sollten Sie erst reden? Ihre Taten sprechen für Sie! . . Glauben Sie mir, Sie unverzagte Patriotin: Was Sie an der Weichsel für mich taten, das taten Sie für Preussen . . . wenn auch leider Gottes umsonst.“

      „Jesus Maria und Josef, Bettinche“, das Märtche Zipfler flog wie ein blonder, kleiner dicker Ball vom Sitz in die Höhe. Ihr Zeigefinger zitterte in der Richtung nach der Heerstrasse. „Merkst’ was, wer da angaloppiert kommt . . .?“

      „Wer denn, um Gottes willen — Märtche?“ Die Demoiselle Dullenkopf stand langsam, ungläubig auf und beschattete mit der Hand die Augen.

      „Er selber . . .“

      „Nein!“

      „Ha doch! Der hat uns hier gerad’ gefehlt!“

      Die Strasse von Tilsit her fegte in geräumigen Sprüngen seines Hengstes ein General der Grossen Armee. Er ritt einen mächtigen, goldbraunen, langschweifigen Mecklenburger, der feurig die sechs Fuss Länge seines Herrn trug und kurz verhalten wie ein flankenzitterndes Steinbild stand. Der Reiter schwang sich, in der Behendigkeit eines Mannes von kaum Mitte Dreissig, mit beiden Beinen gleichzeitig aus Sattel und Bügeln, warf über die Schulter weg den Ordonnanzen die Zügel zu und trat, hoch, breitschultrig, schmalhüftig, ein Kriegsgott selber, vor den Marschall Lacroux hin. Ein dunkler Schnurrbart wirbelte sich in seinem schönen, regelmässigen Gesicht unter der hohen Pelzmütze mit der an goldener Agraffe wippenden Reiherfeder. Reiche Goldverschnürung überglitzerte seine lichtblaue Husarenuniform bis zu der Stickerei auf den goldbordierten purpurnen Reithosen. Noch die Sporen an den spiegelnd schwarzlackierten Kniestiefeln waren von Gold. Rubinaugen glühten aus dem goldenen Löwenkopf seines krummen Damaszenersäbels. Um die linke Schulter schaukelte ihm ein lose umgehängtes echtes Leopardenfell mit zähnefletschendem Rachen.

      Der Marschall Lacroux eilte, ganz gegen seine barsche und kalte Troupierart, dienstbeflissen dem Brigadier der Kavallerie entgegen. Auf der rechten Brust des goldblauen Husaren vor ihm flammte der fünfstrahlige, brillantenbesetzte Silberstern der Grossoffiziere des Ordens der Ehrenlegion. Und unter dem Pantherfell hervor schlang sich ein breites Orangeband von der rechten Schulter zur linken Hüfte, und darüber strahlte, auf dem Herzen, das achteckige Gefunkel eines fürstlichen Hausordens. François Bienassis’, des Geheimagenten, Schattenaugen erkannten, hinter dem Marschall vor, das Grosskreuz des Praunheimschen Familienordens de la noble passion, mit den Donnerkeilen in den Fängen des fliegenden Adlers und der Rundschrift: ,Virtute bellica!’ Der Spion krümmte seinen feisten Leib zu einem untertänigen Diener, während ihn der Marschall vorstellte und hinzusetzte:

      „Ihnen, Monsieur Bienassis, der, wie Ihr Herr und Meister Fouché, alles weiss, ist es natürlich auch bekannt, dass Seine Durchlaucht, Fürst Viktor von Praunheim-Kestrich, wiewohl regierender Fürst des Rheinbundes, doch, um seinem Drang nach soldatischen Lorbeeren zu genügen, als General in der Grossen Armee dem Kaiser dient!“

      „Als Krieger dem Kriegsgott selber!“ sagte der schöne, hochgewachsene deutsche Fürst und streifte sich den weissen Stulphandschuh von der Rechten. „Ihre Befehle, mein Marschall? Sie liessen mich Hals über Kopf aus Tisit rufen . .“

      „. . . weil nur Ihre Gegenwart, mein Fürst, die dringende Frage klären kann, ob dieses hübsche, brünette, junge Frauenzimmer, die eben dort drüben aus dem Krug tritt, eine grosse Dame oder eine Abenteurerin ist!“

      Die Demoiselle Dullenkopf schritt, mit ihrem langen blauen Tuchrock achtlos den Staub aufwirbelnd, rasch, blass, gereizt wie eine Katze, quer über die Strasse auf den Marschall Lacroux zu. Sie funkelte den rauhen Haudegen, vor dem seine Generale und Soldaten zitterten, kampflustig, den Kopf im Nacken, aus ihren braunen Augen an.

      „Ich beglückwünsche Sie, mein Marschall!“ versetzte sie atemlos und erbittert. „Ihre Strategie führt mich hier mit dem einzigen Mann der Grossen Armee zusammen, den ich vermeiden musste, wegen dessen ich diese Verkleidung als kleine Putzmamsell wählte . .“

      „Es war der einzige Weg für mich, festzustellen, Madame, ob der hohe Name, den Sie sich beilegten . . .“

      Der Kaiserlich französische Brigadier der Kavallerie, Fürst zu Praunheim-Kestrich, stand hochaufgereckt, ein farbenprächtiger, schnurrbärtiger, in der Sonne glitzernder Mars, breitbeinig auf seinen mächtigen Türkensäbel gestützt. Er lächelte ironisch und mass die kleinbürgerlich gekleidete junge Frauensperson vor ihm mit einem spöttischen Blick seiner dunkeln Augen.

      „Die Dame spricht die Wahrheit, mein Marschal!“ sagte er. „Es ist meine Kusine Eliza aus dem bisher regierenden Hause Praunheim-Krähenstein, Freie Gräfin und Standesherrin des ehemaligen heiligen römischen Reiches deutscher Nation!“

      „Meiner Treu, Euer Gnaden!“ Der Marschall Lacroux, der einstige Lyoner Metzgergeselle, führte, vor den erstaunten Augen der Grossen Armee, galant wie ein Marquis der alten Zeit, die Fingerspitzen dieser kleinen Bürgerin an seine Lippen. „Wer könnte Ihnen leichter Ihren Wunsch, vor Napoleons Auge zu treten, erfüllen als hier der Fürst, Ihr Vetter? Er steht bei dem Kaiser in hoher Gunst!“

      „Das hiesse allerdings den Bock zum Gärtner machen!“ sagte die junge Reichsgräfin von Praunheim mit zornfeuchten Augen. „Vor meinem Herrn Vetter hier suche ich ja gerade Zuflucht bei dem allmächtigen Mann, dessen Wille Europas und Deutschlands Landkarte neu ordnet! Im Namen meiner unterdrückten Familie will ich bei ihm, dem erhabenen Protektor des Rheinbunds, gegen diesen Herrn Vetter Klage erheben, der sich nur durch den Adel seines Namens von dem Schinderhannes und anderen Räubern am Rhein unterscheidet!“

      „Mässigen Sie sich, Kusine! Sie sprechen von einem General Frankreichs!“

      „Dieser Herr Vetter — allezeit Mehrer seiner Lande auf Kosten seiner eigenen Verwandten — würde alles aufgeboten haben, um mich von hier fernzuhalten, hätte er geahnt, dass ich auf dem Marsch war und die Wahrheit mit mir! Die Wahrheit, wie es im Hause Praunheim zugeht, vor die Ohren des Kaisers der Franzosen! Jetzt werden Sie leider nicht Ihre prahlende Uniform zwischen den grossen Mann und mich drängen können, mein armer Vetter Viktor! Jetzt ist der Kaiser auf dem Weg hierher . . .“

      „Man hört schon die fernen Hochrufe!“ murmelte, vorsichtig zurückhaltend, um es vorläufig mit keinem der beiden Häuser Praunheim zu verderben, der Ex-Abbé und Ex-Jakobiner François Bienassis. „Man steht schon die Staubwolke auf der Strasse!“

      Die Heerstrasse war weithin zu beiden Seiten — überschwemmt von den weissen, blauen, roten, grünen Farbenwellen der aus den Biwaks herangeströmten Regimenter. Viele Tausende von Armen fuchtelten in der Luft und schwangen ebenso viele Tausende von Tschakos und Czapkas, Helmen und Bärenmützen, Zweispitzen und Kalpaks. Ein tausendstimmiges Jubelgeschrei lief gleichmässig mit der staubwirbelnden Wagenreihe mit, verklang hinter ihr und schwoll vor ihr bei ihrem Näherkommen an — stärker — immer stärker . . .

      Da . . ein Blitzbild aus dem Morgenland — vorbeiflitzend in ihren Turbanen, wie ein bunter Papageienschwarm, die Mamelucken, dann ein trabendes Gewimmel goldener Fangschnüre, roter Rossschweife, blitzender Kürassiere . . . dahinter — langsamer rollend — jetzt — bei dem Marschall Lacroux haltend, ein offener, achtspänniger Wagen.

      Die Gräfin Praunheim-Krähenstein hastete an den starr auf den Sattelpferden sitzenden grüngoldenen Kutschern vorbei. Sie stand vor der Feldequipage Napoleons. Sie fasste, die Ellbogen spreizend, ihren Tuchrock rechts und links mit den Fingerspitzen. Sie sank in einer ehrfurchtsvollen Verbeugung zusammen. Sie machte nicht das alltägliche französische Kompliment, sondern — nach dem Wiener Hofzeremoniell des alten Deutschen Reichs — die feierliche spanische Reverenz

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