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Landreise, etwa so verzwickt sein würde, wie mit einem Krokodil über den Vesuv zu reiten.

      In den Zeitungen stand, Freunde Dolomieus, voran der amerikanische Konsul in Messina, hätten durchgesetzt, dass der arme Gelehrte zukünftig als Kriegsgefangener behandelt, aber nicht nach Russland ausgeliefert werden solle. Das Schicksal kam ihnen entgegen. Man hatte schon ganz vergessen, was man einem gewissen Capaci auf dem Schiffe versprochen hatte.

      Ob Lord Nelson wisse, fragte Messer: dass man in Hamburg-Altona heimlich französische Kaper ausgerüstet habe, um die Postschiffe Yarmouth–Cuxhaven abzufangen und den ganzen, seit vier Jahren so hübsch laufenden England-Hamburg-Dienst zu unterbinden?

      Das wäre der Satan! Er hoffe allerdings, von Hamburg mit einer anständigen Fregatte abgeholt zu werden.

      Immer noch riefen am Hafen halbnackte Jollenführer: „Due grossi per vedere le Fregatte moscovite!“ Riefen sie nicht auch seinen Namen? Nein, dem Himmel sei Dank, nicht in Verbindung mit dieser russischen Sechs-Kreuzer-Fregatten-Besichtigung. Und dennoch schade! Keinen Kreuzer für Nelson! Für den Abtrünnigen des Meeres, der an der Mole umherstand wie ein Hosenmatz mit blausilbernen Schiffsjungenträumen.

      Weiss Sir William?

      Und wieder bei Sir William am Krankenlager, wieder, wieder in ihrer Nähe, die alles in ihm besänftigte und neu anfeuerte.

      „Lieber alter Haifisch!“ lächelte Nelson dem armen Gesandten a. D. zu: „Du musst es verstehen, ich habe meine Mutter früh verloren, kam aufs Schiff, zwölfjährig, ein ungelenkes Kind. Emely hat die mütterliche Hand für mich. Und dann, du hast doch wenigstens mal ne Tochter gehabt, das ist sie mir auch. Das musst du nun mal anerkennen, mein Junge!“

      Sir William erkannte es an. Da war nichts anderes zu wollen: „Du könntest mein Sohn sein, und das tröstet mich, du nicht unberühmter Meertiger und Schwerenöter!“ sagte er und sass schon im Bett, und sein Lächeln war bald das alte: Jawohl, er habe eine Tochter gehabt in erster Ehe, sie sei tot, er würde einen freundlichen Ersatz gern begrüssen.

      Und da glaubten die beiden schon zutiefst erschreckten Herzens, dass er ahne, wie es bestellt sei und ein Ersatz ob so oder so nicht gar so ewig fern. Doch als sie ihm vorsichtig auf seine alten Zähne fühlte, stellte sich heraus, dass er entweder ein dreimal durchgegorener Fuchs sei oder aber wirklich nur Lady Emma gemeint habe, die ja seit langem nicht anders wie eine Tochter mit ihm lebte. Und da sie hinter der Tür erwogen, es ihm nun zu sagen, da wuchsen riesengross die englischen Gebäude ritterlicher Ehrbegriffe und die Begriffe der Freundschaft, wie sie ungeschrieben stehen in den europäischen Büchern der Anständigkeit, und sie wussten, dass die Pforten seiner Seele fest in diesen Angeln hingen und dass es grausam sein würde, sie anzusägen, und dass er auch noch zu krank dafür sei.

      Und sie atmeten noch ein wenig auf.

      Mutter Cadogan jedoch sah ihrer Tochter bekümmert und ergeben nach und hatte längst gemerkt, wie Tag um Tag das lange Kleid ein wenig mehr die Fussspitze freiliess. Nie aber würde sie wagen, in Klarheit das zu denken, geschweige denn auszusprechen, was ihr kundiger Waschfrauenblick von einst durchschaute.

      Die berühmte Billington.

      Eines Tages tauchte die Billington in Triest auf, aber nicht als die gefeierte Sängerin, sondern um Sir William, den alten wackeren Mäzen, anzupumpen. Als sie hörte, er sei krank, weinte sie der Lady Emma ellenlange Tränen vor. Sie war teuer aufgedonnert, doch nicht ohne Spuren eines ungeordneten Haushaltes. Ihre Laufbahn war kaum weniger sonderbar als die der Hamilton gewesen. Ihr Vater war Sachse, Theaterhornist, ihre Mutter kleine Soubrette, ihr erster Mann Kontrabassgeiger. Sie war geboren in London-Soho, begann in Dublin mit 16 Jahren, verdiente mit achtzehn am Convent Garden zu London 1000 Pfund, musste neidischem Skandal weichen, kam über Deutschland nach Neapel, jung, schön, war bei den Hamiltons gut aufgehoben, hatte in San Carlo unerhörten Erfolg. Als sie den zweiten Abend gerade ins Theater fahren will, trifft ihren Mann, der zuvor zu fett mit dem Bischof von Winchester gespeist hatte, der Schlag. Die Trauerpause verbringt sie im munteren Neapel, tritt dann unerhört erfolgreich auf in Florenz, Venedig, Triest, Mailand. Hier verheiratet sie sich mit einem Franzosen. Es war kein Jahr her.

      Sie war immer noch hübsch, aber auch schon reichlich rund, ein tröstlicher Anblick für die Hamilton, die sogleich ungeziert fragte: „Kriegen Sie ein Kind, Beste?“

      Elisabeth Billington schluchzte verzweifelt auf: „Natürlich, aber ich will keins von diesem Idioten! Und ich will weg, und es verdirbt mir die Laufbahn, und ich habe doch noch einen Haufen vor, man reisst sich um mich in London“.

      Sie nannte unmässige Honorare, und dass sie in Triest ihre Fäden habe und in Venedig und Tujatee trinke und sich nicht mehr prügeln lassen wolle. Die Hamilton schlug ihr vor, doch gleich mitzukommen, nach England. Sie schrie zurück: In diesem Zustand? Der müsse erst erledigt sein. Und dann müsse sie ihr Landgut unter der Hand verscheuern. Aber dann, dann werde sie kommen, und dann solle die Welt staunen. Ihre Zunge entglitt in den rauhen Ton ihrer Kinderzeit zu Soho, und die Hamilton stand ihr mit Geflissenheit darin nach und sprach gewählter als für gewöhnlich.

      Ihr war rivalig ums Gemüt, aber auch sehr mitleidig: „Das ist eben der Unterschied zwischen Liebe und Nichtliebe!“ sagte sie sanft in bester Betonung mit leichter dramatischer Geste, die der gefeierten Billington wohl zeigen durfte, dass Bühnenbegabung nicht von einer einzelnen gepachtet werden könne, und wenn man zehnmal zehn Jahre jünger war als andere.

      Die Billington hörte nur heraus, dass hier eine Verkleinerung zwischen Ruhm und Ruhm getrieben und ihrer Person zu geringe Beachtung gewidmet werde: „Mensch, Lady!“ trocknete sie derb die Zähren, „Sie haben es leicht mit den beiden kringelwedelnden Katern an der Schürze. Könnte ich dutzendfach haben, aber Scheibe, ich habe darin Pech; die Kerle, die ich heirate, entpuppen nur Dreck, ich muss sehen, sie wieder loszuwerden. Und ich werde auch diesen los, Sie werden es erleben! Und auch das Balg! Mich hindert nichts! Aber kommen Sie durch Sachsen? Grüssen Sie mein Vaterland! Der grosse Bach war Sachse. Sein Sohn unterrichtete meine Mutter, diese mich. Sie sehen, ich habe grosse Tradition!“

      Damit entschwebte die berühmteste Sängerin, die England je hervorgebracht hat. Denn sie hatte inzwischen gemerkt, dass es mit dem Pump nichts sei. Die Hamilton sah ihr, deren Tränen einer strahlenden Siegeszuversicht gewichen waren, mit zwiespältigem Herzen nach und musste die Eifersucht auf das, was nun würde vorbei sein für sie, Ruhm, Beifall und Menge, Rausch der Bühne, ein wenig dämpfen, den Durst, den diese Billington hatte reicher stillen können am Born der Öffentlichkeit und den sie, da war kein Zweifel, in London weiter stillen würde, wenn ihr Mann sie nicht vorher totprügelte oder sie am Genusse des Tujatees verendete. Während dann die arme Emely Hamilton in Piccadilly oder irgendwo in einem langweiligen Zimmer an der Wiege sitzen und Privatarien für Säuglinge zwitschern könne.

      Tujatee? Oder anderweitige Geheimmittel ihrer Mama? Nein, nein, kleine Emmel-Emely! Ihre Laufbahn war dahin und begann neu unter ihrem Herzen. Sie reckte sich auf, sah aus dem Fenster, stolz, verächtlich, sah, wie der mässige Wagen der Sängerin im Strassengewühl unterging.

      Die Königin reist ab.

      Gerüchte gingen um von Unruhen.

      Der Königin von Neapel war deshalb nicht wohl. Der Sarg Caracciolos ging ihr nicht aus dem Sinn. Trotz ihres Fiebers liess sie packen. Ihre Aufgabe lag in Wien, beim Kaiser Franz, der zugleich ihr Neffe, ihr Schwiegersohn und der Schwiegervater ihres Sohnes war. Sie fürchtete Dolchblitzen und den jähen Anblick eines kleinen schwarzen Pistolenloches aus jeder Ecke. Mit grosser Wachmannschaft begab sie sich den Sonntag bussfertig hinauf zur Kapelle der Jesuiten Santa Marie Maggiore. Sie war nicht schuld, dass den Patres Übles widerfahren war in Österreich, und auch ihrem vertrottelten Gatten und Hundezüchter Ferdinand hatte sie nicht alles unterbinden können.

      Sie betete vor der Jungfrau, die da die böse Schlange zertritt. Und die Hamilton war mit ihr oben und betete, obwohl sie gut reformiert war, bedrängten Herzens mit, und weil es sicher nicht schaden könne. Und die Schlange, schien ihr, habe das Gesicht von

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