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Frau Susanne mit ganz merkwürdiger Bestimmtheit; „nein, meine liebe Frau Schwiegermutter, ich habe nur die Wahrheit gesagt. Die Brücke zwischen uns beiden ist abgebrochen. Mein Mann hat es ja nicht gerade nötig, darauf zu warten, bis gewisse Leute kommen und sich bei uns Hüte kaufen, aber es ärgert einen doch, wenn man sieht, wie man gerade aus Bosheit zu einem Konkurrenten geht, der bereits dreimal Bankerott gemacht hat.“

      O, diese Schwiegertöchter! Weshalb hatte Frau Henriette auch solche Söhne, die sich solche Frauen nehmen mussten?! Die alte Dame stieg also wieder zum zweiten Stockwerk hinauf, um im geheimen ihre Angriffe direkt beim Herrn Buchhalter, den sie immer für höchst vernünftig gehalten hatte, zu beginnen. Nach fünf Minuten war sie dann wieder unten und zog den Herrn Hutfabrikanten beiseite. Der hatte merkwürdig dasselbe Achselzucken gelernt wie Herr Ferdinand. „Liebe Mama, — meine Frau! — Ich kann dazu nichts machen.“

      Frau Henriette war untröstlich. „Ihr wollt Männer sein?“ sagte sie schliesslich mit der grössten Entrüstung und gebrauchte dann einen Vergleich mit einem gewissen Küchenobjekt, das im nassen Zustand dazu dient, die Tische zu reinigen. Zu allerletzt führte sie das schwerste Geschütz in den Kampf: „Aber die beiden Kleinen, bedenkt doch die beiden Kleinen; sie werden die Sünden ihrer Väter vergelten.“ „Ach so, die Kinderchen! Hm, hm —.“ Der Herr Buchhalter kratzte sich hinterm Ohr, und dem Herrn Hutmacher ging dieser Gedanke im Kopfe herum. Die Grossmutter hatte allerdings recht, darin musste eine Wandlung geschaffen werden.

      Nun begann für die beiden Kleinen ein neues Leben. Sie durften jetzt jeden Nachmittag zur Grossmutter, um wie früher gemeinschaftlich zu spielen und ein Herz und eine Seele zu sein. Wie sonst durften sie Hand in Hand, gar lieblich gekleidet, vor der Grossmutter einherstolzieren, die es sich nicht nehmen liess, das Enkelpärchen nach ihrer Wohnung zu geleiten und sie des Abends wieder den Eltern zuzuführen. Und wenn sie nun so im Schatten der Häuser die lange, abgelegene Vorstadtstrasse entlang trippelten, in der auf der anderen Seite die glühende Hitze des Sommers lagerte, die die lange Häuserreihe zu einer öden dumpfen Masse machte, die gleichsam den Dunst der Millionenstadt ausatmete, dann geschah es wiederum, dass die Leute sich nach ihnen umblickten und über die drolligen Wesen ihre besonderen Betrachtungen anstellten.

      Den ganzen Sommer hindurch wurden diese täglichen Gänge zur Grossmutter gemacht; die Kinder fühlten sich über die Massen glücklich, so dass jedes von ihnen schliesslich traurig wurde, wenn eines Tages die alte Frau Leineweber nicht wie gewöhnlich ins Zimmer trat, oder schlechtes Wetter es nicht gestattete, die Sehnsucht der kleinen Herzen nach den Spielwinkeln in Grossmütterleins trautem Heim zu befriedigen. Dann wurden sie merkwürdig still, suchten die Fenster zu erreichen und lange Blicke auf die Strasse zu werfen, nach der Richtung hin, wo sonst immer zur bestimmten Stunde das grüne Kleid, der altfränkische Hut mit den breiten schwarzen Bändern und das grossgeblümte Schaltuch sichtbar wurden. Aber die Zwietracht zwischen ihren Eltern währte noch immer, — es schien fast, als hätte die Zeit den Riss erweitert. Herr Ferdinand Leineweber kaufte nach wie vor seine Hüte bei dem verhassten Konkurrenten seines Bruders; Herr Johannes Leineweber drehte wie gewöhnlich beim Anblick des Buchhalters den Rücken und warf verächtlich die Ladentür ins Schloss; und Frau Julie schwelgte in der gesteigerten Buntheit ihrer Toilette, während Frau Susanne sich die erdenklichste Mühe gab, bei jedesmaliger Begegnung eine Miene zu zeigen, als beneidete sie ihre Schwägerin nicht darum, machte sich aber im geheimen gründlich über sie lustig. Eines Nachmittags wollte es der Zufall, dass die Frau Hutmacher die Absicht hatte, gerade um dieselbe Zeit ihrer sorgsamen Schwiegermama einen Besuch zu machen, in der die Frau Buchhalter es sich vorgenommen hatte. Man musste doch einmal sich selbst davon überzeugen, was für nützliche Dinge die Kinder bei Frau Henriette trieben. Just ein paar Augenblicke danach, als Madame Susanne die Wohnung ihrer Schwiegermutter betreten hatte und gerade dabei war, um eine lange Sehnsucht zu befriedigen, das Söhnchen ihrer Todfeindin auf das innigste zu herzen und zu küssen, klingelte es, und Madame Julie kam hereingerauscht; sie warf sofort ihrer Schwägerin einen wütenden Blick zu, der energisch erwidert wurde. Dass man sich auch hier gerade treffen musste! Es fand sich ein Anknüpfungspunkt, der den Streit vom Zaune brechen liess und feurige Kohlen auf der Grossmutter ehrwürdiges Haupt häufte.

      „Du hast schuld an allem,“ rief ausser sich Frau Julie ihr zu und: „Du hättest mir sagen können, dass dieses zanksüchtige, unausstehliche Weib heute bei dir einen Besuch machen würde,“ schleuderte Frau Susanne ihr höchst indigniert ins Gesicht. Dann drehten sich die beiden Frauen wie auf Kommando um und verliessen hintereinander mit den Worten: „Ich betrete deine Wohnung nicht mehr!“ entrüstet die Behausung. Zum Glück vergassen sie die Kinder.

      „Oh, ihr werdet wiederkommen, aber anders,“ sagte die Grossmutter sanft, so dass sie es noch hören konnten. Dann beruhigte sie durch liebevolle Worte die Kleinen, die dicht aneinander geschmiegt immer noch laut weinend auf einer Hutsche im äussersten Winkel des Zimmers hockten.

      Nun kam wieder eine traurige Zeit für Lottchen und Fritzchen, und mit dieser traurigen Zeit kam der Herbst mit seinen Regenschauern, nasskalten Winden und Stürmen. Seit Wochen schon blieben die Fragen der Kleinen: „Mama, kommt denn Gomama nicht?“ von den hartherzigen Müttern unbeantwortet. Und während jedes der Kinder wiederum seine neugierigen Blicke hinunter auf die jetzt so hässlich und unangenehm aussehende Strasse warf, dachte es an zwei herzige Augen, die roten Lippen und kleinen, weichen Händchen eine Treppe höher oder eine Treppe tiefer.

      „Ich weiss nicht, was dem Kinde fehlt,“ meinte eines Morgens plötzlich der Herr Hutmacher zu seiner Frau; und der Herr Buchhalter in der höheren Etage konnte sich nicht enthalten, am Abend desselben Tages bedenklich den Kopf zu schütteln und etwas Ähnliches zu der teueren Hälfte seiner Ehe zu sagen, nur dass er noch hinzusetzte: „Der Junge ist so merkwürdig still, — das ist nicht ganz richtig.“

      Nach Tagen fürchtete jedes der Ehepaare Leineweber wirklich das Ärgste um sein Kind. Das Fragen nach der Grossmutter, in dem für den stillen Beobachter sich auch die Sorge um den unentbehrlichen Spielgenossen barg, nahm zuletzt eine Art rührender Melancholie an, die für den Seelenarzt der Kinder von grossem Bedenken gewesen wäre. Es blieb weiter nichts übrig, als dass die Männer sich auf den Weg machten, um die Mutter für die ihr von den Frauen angetane Beleidigung um Verzeihung zu bitten und sie zu bewegen versuchen, ihre Schritte zu ihren Enkeln zu lenken. Diesmal brachte der Zufall die beiden Brüder in die Situation ihrer Frauen. Der Buchhalter hatte die Tür vom Korridor aus gerade geschlossen, als der Hutmacher pustend die Treppe heraufkam. Einen Augenblick standen sich beide lautlos gegenüber, und der Blick des einen traf den des anderen. Es schien, als ahnte jeder, was den anderen hierher geführt habe. Die Nähe der Mutter, der sie so viel zu verdanken hatten, eine gewisse wohlige Atmosphäre, die sie plötzlich zurückversetzte in jene Zeit, wo sie Jahre hindurch in bester Eintracht hier aus- und eingegangen waren und kein Wort der Zwietracht über ihre Lippen kam, stimmten sie weich. Und in dieser einen Sekunde des stummen Anschauens hatten beide die Empfindung, als dürften sie nicht vorübergehen, als wäre jetzt der geeignete Augenblick, sich hier die Hände entgegenzustrecken und durch einen herzigen Druck derselben allem Hader ein Ende zu bereiten. Aber keiner wollte den Anfang machen, der eine wartete auf das erste Wort des anderen, und als jeder seine Erwartung getäuscht sah, war die Minute der Empfindung vorüber.

      Herr Ferdinand Leineweber erhob trotzig den Kopf und ging kalt und kerzengerade wie ein wächsernes Licht die Treppe hinunter; und Herr Johannes Leineweber wand seinen beleibten Korpus mit ungewohnter Geschmeidigkeit um seinen hageren Herrn Bruder herum und zog mit einer Anstrengung an der Klingel, als müsste er sich durch diese Kraftprobe für die unangenehme Begegnung entschädigen.

      „Ich bin alt und schwach, und meine Füsse sind morsch,“ meinte die Grossmutter; „ich kann den Weg zu euch nicht mehr oft machen; aber schickt die Kinder her, und sie werden wieder fröhlich und guter Dinge sein. Ihr seid also wie zwei Fremde an euch vorübergegangen? Oh, ihr werdet anders wiederkommen.“

      Und wirklich, die Mutter sollte recht behalten. Als Gott den guten Engel der Kinder schuf, der sie während der Zeit ihrer Hilflosigkeit in unsichtbarer Gestalt umschweben solle, um sie vor Gefährnissen mancher Art zu bewahren, sie wie eine gute Mutter zu beschützen und zu beschirmen, sagte er: Nichts ist vollendet in der Welt. Das Gute würde nicht mehr gut erscheinen, wenn nicht auch das Böse vorhanden

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