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Ideen. Er hat Fabian erzählt, daß die Papiere, die Sie bereits haben, vernichtet werden müssen.«

      »Aber was gibt er mir stattdessen?« fragte Fleur entsetzt.

      »Ich habe schon alles arrangiert«, erwiderte Marie. »Ecoutez, Mademoiselle, hören Sie mir zu. Ich habe einen Bruder - Jacques. Er hat mich gern und ich ihn auch, obwohl ich ihn seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe. Er lebt in Sainte Madeleine-de-Beauchamps, einem kleinen Dorf nicht weit von Dieppe. Jacques besitzt dort eine Farm. Einige seiner Kinder arbeiten mit ihm auf dem Land, andere sind Fischer. Er hat eine große Familie. Sie werden mit Papieren zu ihm gehen, aus denen jeder, der sie liest, sehen kann, daß Sie seine Nichte sind.«

      »Aber, Marie, woher willst du wissen, daß er mich bei sich aufnimmt?«

      »Er wird Sie bei sich wohnen lassen, weil ich Sie schicke. Er mag die Deutschen nicht - sein ältester Sohn, François, ist beim Kampf in den Ardennen gefallen. Der Pfarrer hat mir geschrieben und mir seinen Tod mitgeteilt, denn Jacques kann nicht schreiben. Er hat sein Leben lang hart gearbeitet und hatte keine Zeit zum Lernen.«

      »Aber angenommen ...«

      »Machen Sie sich keine Sorgen, Mademoiselle. Es wird alles gut, das verspreche ich Ihnen.«

      »Ach, Marie - komm mit mir!«

      »Ich habe schon daran gedacht«, erwiderte Marie. »Aber das wäre nicht klug. Wenn Monsieur Pierre uns suchen sollte, würde er schnell herausfinden, daß ich heimgefahren bin; aber Sie allein kann er nicht finden. Er wüßte nicht einmal, welche Richtung Sie eingeschlagen haben.«

      »Aber die Reisegenehmigung?«

      »Das wird alles arrangiert. Fabian kümmert sich darum. Er wird Monsieur le Maire genau erklären, was nötig ist. Der Bürgermeister wird es verstehen - dieser Mann ist nicht dumm.«

      »Aber er begibt sich damit auch in Gefahr. Ich wüßte nicht, warum er meinetwegen Schwierigkeiten auf sich nehmen sollte!«

      »Er tut es weniger für Sie, Mademoiselle. Er gehört zur Widerstandsbewegung. Er sieht vielleicht aus wie eine Maus, aber er hat das Herz eines Löwen.«

      »Davon hatte ich ja keine Ahnung!«

      »Die Deutschen auch nicht«, antwortete Marie grimmig. »Er ist klein und wirkt verängstigt, und deshalb lassen sie ihn in seinem Amt; sie erteilen ihm Anweisungen und freuen sich über die respektvolle, unterwürfige Art, mit der er verspricht, sie zu befolgen. Aber sie täuschen sich!

      Neulich erst brachten sie einen großen Zug voller Lebensmittel in unseren Bahnhof. Lebensmittel, die sie von unseren Bauernhöfen und Garten gestohlen haben und die jetzt nach Deutschland gebracht werden sollten. Die Wagen liefen nicht glatt, und so holte man Monsieur le Maire und erklärte ihm, daß zehn Männer die Achsen ölen sollten. Monsieur willigte ein.

      ,Und keine Dummheiten', fügten sie noch hinzu. ,Wenn irgendjemand dabei erwischt wird, wie er Sand oder etwas anderes in die Räder streut, dann wird er erschossen, und ebenso seine Familie und alle, die mit ihm arbeiten.'

      ,Wir haben verstanden', erklärte Monsieur le Maire. Dann rief er die Männer und erzählte ihnen vor den Deutschen, wie wichtig diese Aufgabe sei und wie gut sie erledigt werden müsse.

      ,Ihr müßt sehr vorsichtig sein, mes enfants', sagte er, ,und darauf achten, daß eure Hände sauber sind, während ihr diese Arbeit erledigt. Wenn ihr irgendetwas anderes anfaßt als das Schmierfett, dann müßt ihr sofort zu dem kleinen Fluß neben dem Bahnhof laufen und euch waschen.'

      Die Deutschen nickten zufrieden, aber alle, die zuhörten, hätten fast laut gelacht. Denn dieser kleine Fluß, in dem sie sich die Hände waschen sollten, ist der einzige Ort in unserem kleinen Dorf, an dem es Sand gibt - guten, festen Sand.

      Die Männer begriffen natürlich, und während sie ihre Aufgabe verrichteten, gehorchten sie seinen Anweisungen und liefen häufig, um sich zu waschen. Dieser Zug hat nichts anderes als viele Hände voll von unserem guten, festen Sand nach Deutschland gebracht!

      Ja, Monsieur le Maire ist nicht so einfältig, wie er aussieht. Sie können ihm vertrauen. Aber nun müssen wir uns beeilen, Mademoiselle. Sie müssen fortgehen, sobald der Tag anbricht.«

      Fleur kletterte aus dem Bett.

      »Wie spät ist es?« wollte sie wissen.

      »Fast vier Uhr. Und sehen Sie! Ich habe Ihre Sachen schon gepackt.«

      Sie hob die Kerze hoch und deutete auf ein dunkles Bündel in der Ecke des Zimmers. Daneben standen ein Korb und eine alte Stofftasche, wie sie die französischen Bauern immer bei sich trugen, wenn sie verreisten.

      »Aber das Kleid!«

      »Mademoiselle werden verzeihen, es ist mein eigenes! Ich habe es vor vielen Jahren gekauft«, erklärte Marie.

      Ihre Stimme klang ein bißchen traurig. Als Fleur das Kleid nun aufnahm und es genauer betrachtete, bemerkte sie, daß es fast neu war, altmodisch, aber gut verarbeitet.

      »Aber Marie, das kann ich nicht annehmen - dein bestes Kleid.«

      »Es ist jetzt sowieso zu klein für mich, ich habe es nie viel getragen.«

      »Warum nicht?«

      »Es gehörte zu meiner Aussteuer.«

      »Und du hast nie geheiratet? Was ist denn passiert?«

      »Das ist eine lange Geschichte«, wehrte Marie ab. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Kommen Sie, Mademoiselle, Sie müssen sich anziehen.«

      Fleur spürte, daß sich hinter ihren Worten eine Tragödie verbarg, und doch war ihr klar, daß Marie recht hatte. Jetzt war nicht die Zeit für Erinnerungen, sie mußte das Château verlassen, ehe Monsieur Pierre erwachte.

      Ich muß den ersten Zug nehmen, überlegte sie, der um fünf Uhr dreißig abgeht.

      Sie kam sich sonderbar vor, als sie sich im Spiegel betrachtete. Marie hatte ihr geholfen, das enge Mieder zuzuknöpfen. Dann hatte sie das Haar aus der Stirn gebürstet und es mit einem schlichten, schwarzen Strohhut bedeckt. Fleur wirkte erstaunlich jung und gleichzeitig unauffällig - ein junges Bauernmädchen, das unterwegs war, um seine erste Stelle als femme de chambre anzutreten.

      »Wie wirst du Monsieur Pierre meine Abreise erklären?«

      Marie zuckte mit den Schultern.

      »Er wird dich zur Verantwortung ziehen«, gab Fleur zu bedenken. »Das kann ich nicht zulassen, Marie.«

      »Könnten Sie ihm einen Brief hinterlassen?«

      »Ja, das ist eine gute Idee. Ich werde ihm schreiben, daß ich ein Telegramm erhalten habe. Jemand aus meiner Familie könnte erkrankt sein.«

      Fleur ging zum Schreibtisch und setzte sich, um eine kurze Nachricht zu verfassen.

      »Monsieur«, begann sie ganz einfach, entschlossen, sich nicht einmal um Höflichkeit zu bemühen, »ich habe die traurige Nachricht erhalten, daß meine Cousine indisponiert ist. Ich muß sie unverzüglich aufsuchen. Ich bedaure zutiefst, daß ich bei der Beerdigung nicht anwesend sein kann, aber meine Gedanken und Gebete werden Madame begleiten.«

      Sie unterschrieb den Brief nicht. Sie wollte Luciens Namen, auf den sie niemals einen Anspruch gehabt hatte, nicht noch einmal zu einer Lüge benutzen.

      Sie schob die Nachricht in einen Umschlag.

      »Ich werde ihn erst mittags übergeben«, versprach Marie.

      »Sei vorsichtig, Marie. Du darfst ihn nicht mehr verärgern als nötig.«

      »Ich habe keine Angst. Ich bin alt - es ist nicht wichtig, was mit mir geschieht. Aber Sie sind jung.«

      Sie hörten die Uhr in der Halle schlagen.

      »Sie müssen fort«, drängte Marie. »Fabian wartet auf der hinteren Auffahrt auf Sie. Er wird Ihnen Ihre Papiere übergeben. Und noch etwas, Mademoiselle.«

      Aus

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