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wann?« wollte sie wissen.

      Er zuckte mit den Schultern und beantwortete ihre Frage mit Küssen.

      In einem solchen Augenblick war es unmöglich, sich vorzustellen, daß das Schicksal sie für lange Zeit trennen würde. Lucien reiste ab, und fast sofort nachdem sie nach Seaford zurückkehrte, brachte sich ihr Vater um.

      Fleur war verzweifelt - so verzweifelt, daß sie fast den Verstand verloren hätte. Sie wollte unbedingt das Haus verlassen, das sie einst als Heim angesehen hatte und das jetzt die Frau bewohnte, die am Tod ihres Vaters Schuld hatte.

      Sie packte in aller Eile, und ohne jemandem ein Wort über ihr Vorhaben zu verraten, überquerte sie den Ärmelkanal. Bleich und erschöpft gelangte sie bei Lucien in dessen Château an.

      Lucien freute sich sehr, sie zu sehen. Wenn er erstaunt über ihren unangemeldeten Besuch war, ließ er sich das ebenso wenig wie seine Mutter anmerken. Seine Miene und seine Worte zeigten keine Spur von Vorwurf.

      Er hielt sie fest in seinen Armen und versprach, daß sie bald heiraten würden. Fleur war überglücklich.

      Genau zwölf Stunden waren sie in dem Château zusammen, bevor Lucien wieder einberufen wurde, was weder Fleur noch seine Mutter besonders beunruhigte. Sie hatten sich kaum um die Gerüchte gekümmert, die über die Schwierigkeiten in den internationalen Beziehungen im Umlauf waren. Erst als Frankreich und England Deutschland den Krieg erklärten, begannen sie sich ernsthaft Sorgen zu machen. Nun begriffen sie allmählich, was diese Einberufung für Lucien und für sie selbst bedeutete: Zwei Wochen nachdem der Krieg erklärt worden war, fiel Lucien de Sardou ...

      Fleur band sich die Uhr ums Handgelenk und stand auf.

      »Ich bin soweit, Marie. Laß uns hinuntergehen.«

      »Möchten Sie Madame noch einmal sehen?«

      »Natürlich.« Fleurs Stimme wurde weicher, »aber zuerst möchte ich ein paar Blumen pflücken - die weißen Rosen, die sie so geliebt hat.«

      Das junge Mädchen und die alte Frau gingen den Flur entlang. Plötzlich hörten sie, daß sich ein Fahrzeug dem Schloß über die Kiesauffahrt näherte. Erschreckt blieben beide stehen. Wer war das? Ängstlich trat Fleur an das Fenster, von dem aus man die Auffahrt sehen konnte. Der Wagen kam langsam näher.

      Fleur ergriff Maries Hand. Der Wagen, der dort vor der Haustür gehalten hatte, gehörte zweifellos den Deutschen.

      Ein uniformierter Soldat stieg aus und riß den Schlag auf. Eine untersetzte Gestalt in dunklen Zivilkleidern verließ den Wagen. Der Mann drehte sich um, um ein paar Worte zu jemandem zu sagen, der noch im Auto saß. Als er dann die Hand hob, konnten die beiden Frauen seine dröhnende Stimme hören: »Heil Hitler!«

      Dann kam das Echo »Heil Hitler!«, und die schrille Türglocke ertönte.

      2

      Mit schlurfenden Schritten durchquerte Marie die Diele und öffnete die Riegel und Ketten der großen Eingangstür. Die Tür knarrte, und der Mann, der im hellen Sonnenschein wartete, trat entschlossen ein, als wäre er schon ungeduldig wegen der Verzögerung.

      »Ich bin Pierre de Sardou«, stellte er sich energisch vor, und seine Stimme, die durch die Diele hallte, war laut und unangenehm.

      »Wo ist die Comtesse?« erkundigte er sich und starrte Marie an, die sich halb hinter der Tür versteckte.

      »Madame ist tot.«

      »So!«

      Der Mann durchschritt die Halle. Fleur, die das Gespräch mitanhörte, hatte den Eindruck, daß die Nachricht ihn nicht sonderlich überraschte - er mußte bereits vom Tod der Comtesse erfahren haben, davon war sie überzeugt. Sie fragte sich, wer es ihm erzählt haben konnte. Der Arzt? Der Priester? Aber sie hätten bestimmt wenigstens Marie gewarnt, daß ein Verwandter unterwegs war.

      Sie betrachtete Monsieur Pierre de Sardou. Er war nicht so klein, wie sie vermutet hatte, als sie ihn vom Fenster im oberen Stock aus gesehen hatte, aber er neigte zur Korpulenz, und es war schwer zu glauben, daß er ein Blutsverwandter von Lucien sein sollte. An seiner Erscheinung oder seiner Haltung war nichts Aristokratisches, seine Arroganz und sein befehlsmäßiger Ton schienen eher angelernt als angeboren zu sein.

      Jetzt blickten sie seine dunklen Augen an, und sie hatte das Gefühl, als wäre er von ihrer Anwesenheit unangenehm überrascht.

      »Und das ist...?« fragte er und wandte sich an Marie, nicht an sie.

      »Monsieur Luciens Frau.«

      Fleur spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie rührte sich nicht von der Stelle und wartete darauf, was passieren würde.

      »Seine Frau?« stieß Monsieur Pierre hervor. »Aber warum hat man uns keine Heiratsanzeige geschickt? Man hat uns nur von seinem Tod unterrichtet.«

      Keine der beiden Frauen erwiderte etwas. Monsieur Pierre kam mit langen Schritten auf Fleur zu.

      »Stimmt es, was sie sagt, daß Sie Luciens Frau sind?«

      Fleur holte tief Luft.

      Dann log sie mit einer Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte: »Ja, ich bin Luciens Frau.«

      »Madame!«

      Sie fühlte, daß er ihre Hände ergriff und an seine Lippen zog.

      Plötzlich sprach er in einem freundlichen Ton.

      »Sie müssen mir meine Überraschung verzeihen. Ich hatte ja keine Ahnung! Ich dachte, daß meine Tante, die Comtesse, allein mit ihren Dienern hier lebte, aber wie ich sehe, habe ich mich geirrt. Verzeihen Sie mir, wenn ich frage - ob aus Ihrer Ehe Kinder hervorgegangen sind?«

      Fleur empfand plötzlich das unsinnige Verlangen, ihn ins Gesicht zu schlagen. Sie bemerkte, daß in seinem Lächeln und im Ausdruck seiner Augen etwas lag, das seine Fragen nicht nur verabscheuenswert, sondern gefährlich machte.

      Fleur war so unvorbereitet in diese verworrene Situation gestolpert, daß es ihr jetzt schwerfiel, emotionslos zu reagieren, aber sie zwang sich zur Vorsicht, denn sie spürte die Feindseligkeit, die ihr Pierre de Sardou entgegenbrachte.

      »Ich habe keine Kinder.« Sie sprach leise. »Möchten Sie nicht in den Salon kommen? Vielleicht hätten Sie nach der Reise gern eine Tasse Kaffee?«

      »Vielen Dank, ich habe gerade erst zu Mittag gegessen.«

      Fleur ging voraus in den Salon. Als sie die Tür öffnete, fiel ihr Blick auf Maries Gesicht, und sie erkannte, daß die alte Frau auch Angst hatte und sie warnen wollte.

      Die Nachmittagssonne fiel durch die Jalousien und zauberte goldene Streifen auf den Aubusson-Teppich. Die Streifen erinnerten an Gitter - Gefängnisgitter.

      »Sind Sie schon lange hier?«

      »Lange, ja.«

      »Ich kann nicht verstehen, warum meine liebe Tante mich nicht über ein so interessantes Ereignis wie Luciens Hochzeit unterrichtet hat. Ich hätte gern ein Geschenk geschickt.«

      »Wir haben erst kurz vor Luciens Tod geheiratet«, erklärte Fleur steif.

      »Das erklärt natürlich Einiges. Der Schock ... meine Tante hat bestimmt sehr gelitten, und doch hat sie die Beileidsschreiben so tapfer beantwortet - ich habe erst einen Brief erhalten. Sie schrieb ziemlich ausführlich von Lucien und lobte stolz seinen Heldenmut - seltsam, daß sie seine Frau nicht erwähnt hat. Sie muß es vergessen haben - die Trauer kann natürlich der Grund dafür sein, aber es ist dennoch merkwürdig, Madame, das sehen Sie doch gewiß selbst. Meine Tante war in familiären Angelegenheiten sehr genau, wie Sie selbst bemerkt haben werden. Wann ist sie gestorben?«

      »Heute morgen um halb sieben. Würden Sie sie gern sehen?«

      »Dazu ist noch genügend Zeit. Ich bleibe heute nacht natürlich hier. Die Beerdigung findet morgen statt?«

      »Übermorgen.«

      »So.

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