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      Fleur kam aus dem Zimmer, in dem die tote Comtesse de Sardou lag.

      Im Gegensatz zu der stickigen, warmen Atmosphäre im Krankenzimmer war es hier im Flur kühl - die frische Luft belebte sie wie ein Glas kaltes Wasser.

      Sie trat an eines der Fenster und zog die schweren Vorhänge zurück. Die ersten schwachen Strahlen der Sonne drangen durch den weißen Bodennebel, der über den grünen Rasenflächen im Garten lag.

      Fleur seufzte und lehnte die heiße Stirn einen Augenblick lang an die graue Wand. Dunkle Schatten der Erschöpfung lagen unter ihren Augen, aber sie war von einem sonderbaren Gefühl des Friedens erfüllt.

      Am Horizont erblickte sie eine dünne schwarze Rauchwolke, die sich dunkel vom dunstigen Blau des Himmels abhob. Sie wußte, daß sie ein Zeichen der Zerstörung war, die am gestrigen Tag stattgefunden hatte. Die ganze Nacht über hatte das Feuer gewütet - die Folge von Aktionen der Royal Air Force-Flugzeuge, die am frühen Nachmittag im Tiefflug übers Land gezogen waren.

      Sie hatte die Bomben gehört und gespürt, wie sie auf dem Fabrikgelände, nur zwanzig Meilen entfernt, detoniert waren. Französische Arbeiter stellten dort Woche für Woche Hunderte von Lastwagen für ihre deutschen Herren her.

      Das Haus bebte bei der Erschütterung, aber als man ihr erzählte, was geschehen war, murmelte die Comtesse nur: »Das ist gut. Nur die Engländer können uns befreien.«

      »Pst, Madame!« warnte Marie. »Es ist nicht klug, so etwas zu sagen.«

      Aber Fleur lächelte stolz. Ja, es waren ihre Landsleute, die der eroberten französischen Nation die Freiheit bringen würden.

      Als sie jetzt zu der Rauchwolke hinüberschaute, dachte sie an Lucien ... dachte daran, wie er im Triumph durch den Himmel geflogen war ... nur um in seiner brennenden Maschine zu Boden zu stürzen - auch bei dem gestrigen Angriff waren ein paar tapfere Männer gefallen.

      Bei der Erinnerung an Lucien füllten sich Fleurs Augen mit Tränen.

      Seltsam, dachte sie, daß ich in diesem Augenblick um Lucien weine und nicht um seine Mutter.

      Die Comtesse starb, als ob sie ihre letzte Rolle in einem Theaterstück spielen müßte, auch die Kulisse paßte: die feine, aristokratische alte Dame mit dem weißen Haar und den strengen Zügen, das perfekte Porträt einer grande dame, der ernste Priester und der grauhaarige Doktor neben dem Bett. Marie schluchzte hörbar am Fuß des Himmelbettes, in dem Generationen der Familie de Sardou die Welt begrüßt und auch wieder verlassen hatten.

      In dieser Szenerie lag nichts Beängstigendes, es war nicht einmal Verzweiflung und Elend zu spüren gewesen, und jetzt, da es vorüber war, wurde sich Fleur einer unermeßlichen Erleichterung bewußt. Die Spannung, die sie in der Erwartung eines grauenvollen unausweichlichen Ereignisses umklammert gehalten hatte, war plötzlich von ihr gewichen. Nie zuvor hatte sie jemanden sterben sehen, und der Gedanke an den Tod war erschreckend, bis sie herausfand, daß es nichts weiter war als das Schließen der Augen und das Falten der Hände. Aber so friedlich war der Tod nicht immer. Lucien war anders gestorben: sein Ende war vielleicht schnell und sauber gewesen - ganz unerwartet im Kampf, in einem Augenblick des Triumphes.

      Sie hatten erfahren, daß er einen feindlichen Bomber abgeschossen hatte, ehe ihn dasselbe Schicksal ereilte. Lucien - fröhlich, lebhaft, lachend -, der aus dem sonnenhellen Himmel herabgestürzt war auf die Erde seines geliebten Frankreichs.

      Fleur wandte sich vom Fenster ab und ging den Gang entlang zu ihrem Zimmer.

      Selbst nach fast drei Jahren fiel es ihr immer noch schwer, ohne dieses schmerzliche Gefühl des Verlustes, das sie fast körperlich verspürte und das ihr anfangs unerträglich schien, an Lucien zu denken.

      Sie wusch sich das Gesicht und begann das Kleid auszuziehen, das sie die ganze Nacht über getragen hatte.

      Sie war noch nicht halb ausgezogen, als es an der Tür klopfte. Es war Marie. In der Hand hielt sie ein Glas, das eine weißliche Flüssigkeit enthielt.

      »Was ist das?« wollte Fleur wissen.

      »Monsieur le Docteur schickt es. Sie sollen es trinken und schlafen. Sie brauchen den Schlaf, ma pauvre - wie wir alle.«

      Müde ließ Fleur die letzten Kleidungsstücke zu Boden fallen, zog das weiche Seidennachthemd über den Kopf, das Marie ihr hielt, und schlüpfte zwischen die nach Lavendel duftenden, handbestickten Laken.

      »Trinken Sie das, ma petite«, zwang Marie sie sanft, und gehorsam schluckte Fleur das Mittel.

      Es schmeckte ein wenig bitter, und unwillkürlich verzog sie das Gesicht, als sie Marie das leere Glas zurückgab und sich dann in die Kissen kuschelte.

      »Ich werde später wieder nach Ihnen sehen, Mademoiselle.«

      Marie zog die schweren Vorhänge vor das offene Fenster, ging leise hinaus und schloß die Tür hinter sich. Fleur schloß die Augen. Es war wohltuend zu fühlen, wie sich die Muskeln entspannten, wie ihre Glieder in das weiche Federbett sanken. Sie spürte, wie der Schlaf in warmen Wellen von ihr Besitz ergriff ... zurückwich ... näher kam ... jedes Mal ein bißchen mehr das Bewußtsein umhüllte ...

      Sie wachte auf und sah, daß Marie mit einem Tablett an ihrem Bett stand, auf dem eine Tasse dampfenden Kaffees und ein paar Kekse zu sehen waren. Fleur rieb sich die Augen und setzte sich auf.

      »Ich habe wunderbar geschlafen, Marie. Wie spät ist es?«

      »Fast drei Uhr.«

      »So spät schon? Du hättest mich nicht so lange schlafen lassen sollen.«

      Marie lächelte. Ihre alten Augen waren vom Weinen verschwollen, aber Fleur fand, daß sie weniger mitgenommen aussah als einige Stunden zuvor.

      »Was ist passiert?«

      »Wir haben Madame in die Kapelle gebracht und sie dort aufgebahrt - übermorgen ist die Beerdigung.«

      Fleur setzte sich auf und kostete den Kaffee. Dann stieß sie einen leisen Schrei aus.

      »Aber Marie! Das ist unser bester Kaffee - aus unserem Vorrat - und Madames Kekse!«

      »Warum nicht?« entgegnete Marie trotzig. »Wofür sollen wir das alles aufbewahren? Für die Deutschen? Oder für die Cousins, die nicht einmal kommen konnten, um ihren letzten Segen zu erhalten? Nein! Lassen Sie sich die Sachen schmecken, Mademoiselle; die Comtesse würde wünschen, daß Sie sie bekommen. Die anderen sollen sich mit dem Rest begnügen.«

      Marie spie die Worte fast aus. Ihre alten Hände zitterten.

      »Wir dürfen Madames Verwandte nicht verurteilen, ohne sie gehört zu haben«, erklärte Fleur vorwurfsvoll. »Vielleicht konnten sie nicht kommen - es ist schwierig, eine Einreisegenehmigung in unser Gebiet zu bekommen.«

      »Sie haben es niemals auch nur versucht«, behauptete Marie. »Die ganze Zeit nicht, seit Monsieur Lucien gestorben ist. Aber jetzt, da sie sicher sein können, daß es was zu holen gibt, werden sie sich hier ganz rasch wie die Geier versammeln, Sie werden schon sehen.«

      »Wie meinst du das? Der Doktor hat sie schon vor Wochen von Madames Krankheit in Kenntnis gesetzt, aber wir haben keine Antwort erhalten. Hast du gehört, daß jemand hierher unterwegs ist?«

      Marie schüttelte den Kopf.

      »Aber sie werden trotzdem kommen«, beharrte sie.

      »Und nur du und ich sind da, um sie zu empfangen!« Nachdenklich stützte Fleur ihr Kinn in die Hand. »Ich muß fort, Marie. Die Deutschen kann man ja noch täuschen, aber die Familie wird sich nicht so leicht hinters Licht führen lassen.«

      »Aber wohin wollen Sie gehen, Mademoiselle?«

      »Ich weiß es nicht.«

      Fleur streckte die Hand aus und nahm einen der süßen, gezuckerten Kekse, die sie während all dieser Monate des Hungers für die Comtesse aufbewahrt hatten.

      Aber wenn Marie auch Kekse und Brandy und andere kleine Delikatessen verstecken konnte, Menschen konnte sie nicht verstecken, und Fleur

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