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mitgegeben«, antwortete sie, »weil Sie - wenn Sie ihr Bruder Jacques sind - nicht lesen können. Sie hat mir erzählt, daß Ihr Sohn umgekommen ist, daß der Priester ihr geschrieben und es ihr mitgeteilt hat. Sie hat mir beschrieben, wie ich hierherkomme und ...«

      Fleur machte eine kurze Pause und fuhr dann tapfer fort: »... sie hat meine Papiere auf Ihren Namen ausstellen lassen. Ich sollte als Ihre Nichte auftreten, als Jeanne Bouvais. Hier.«

      Sie suchte in ihrer Tasche, zog die Papiere heraus, die sie in den letzten beiden Tagen so oft vorgezeigt hatte, und legte sie auf den Tisch. Sie sahen verknittert und ziemlich schmutzig aus.

      »Ich habe Geld«, fuhr Fleur fort. »Marie hat es mir gegeben. Ich kann Ihnen etwas bezahlen, wenn Sie mich hier wohnen lassen.«

      Die Frau sprach schnell, bevor Jacques etwas erwidern konnte: »Sie sagt die Wahrheit, Jacques, sie kommt wirklich von Marie. Woher weiß sie sonst von François und davon, daß der Pater für uns geschrieben hat. Marie hat sie geschickt.« Sie drehte sich um und blickte Fleur ins Gesicht. »Schwören Sie das? Wollen Sie uns nicht täuschen?«

      »Aber natürlich nicht«, antwortete Fleur hastig. »Ich brauche Ihre Hilfe. Hören Sie, ich will nichts verschweigen. Ich bin Engländerin.«

      Die Frau neben ihr fuhr zusammen. Dann blickte sie zu ihrem Mann hinüber.

      »Engländerin!« rief sie aus und fügte dann hastig hinzu, kaum hörbar: »Mach die Tür zu, Vater!«

      Der Mann bewegte sich langsam. Er versperrte die Tür und schob den Riegel vor.

      »Aber warum sind Sie hier? Warum sind Sie zu uns gekommen?« erkundigte sich die Frau.

      Fleur erzählte ihnen, daß sie wenige Tage vor Kriegsausbruch nach Frankreich gekommen war, um Lucien de Sardou zu heiraten, daß er fiel und daß sie geblieben war, zuerst froh darüber, bei seiner Mutter sein zu können. Dann - nach dem Einmarsch der Deutschen - gab es für sie keine Möglichkeit mehr, nach England zurückzukehren. Sie sprach davon, wie freundlich Marie in all den Monaten zu ihr gewesen war, und vom Tod der Comtesse, von Monsieur Pierres Ankunft und ihrer eigenen Flucht.

      »Und was wollen Sie jetzt tun?« fragte der Mann.

      Fleur erkannte an seinen Worten, daß seine Feindseligkeit vergangen war. Seine Stimme klang gleichgültig, aber nicht mehr so grob.

      »Ich möchte nach England. Ich möchte heim.«

      Ihre Antwort überraschte sie selbst. Es war das erste Mal, daß sie den Gedanken ausgesprochen hatte. Nur so wenige Meilen lagen zwischen ihr und der Freiheit - ganz gewiß gab es eine Möglichkeit, den Kanal zu überqueren.

      Der Mann wandte sich ab und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Sie konnte, seine Schritte in der Ferne verklingen hören. Fragend sah Fleur die Frau an.

      »Es ist schon in Ordnung«, beruhigte sie Madame Bouvais.

      »Heißt das, ich kann bleiben?«

      »Aber natürlich. Marie hat sie geschickt. Kommen Sie - holen Sie Ihre Sachen. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«

      Fleur folgte ihr über eine gewundene Treppe in den oberen Stock.

      Das Zimmer, in das sie gebracht wurde, war niedrig, mit Balken über dem kleinen Fenster. Ein riesiges Bett nahm die Hälfte der Kammer ein; in einer Ecke stand ein Ständer mit einer Waschschüssel und einem Wasserkrug aus Ton. Alles war makellos sauber, und über allem hing ein schwacher Geruch von Heu und würzigen Kräutern, die Fleur nicht kannte. Sie blickte aus dem Fenster und stieß einen überraschten Laut aus. Von hier aus sah sie die Rückseite des Hauses, und zu ihrer Überraschung stellte sie fest, daß es viel größer war, als sie vermutet hatte. Es gab noch zwei große Flügel, die einen Innenhof umschlossen. Fleur bemerkte, daß das Gehöft von dieser Seite gar nicht mehr so verlassen wirkte.

      Hühner kratzten im niedergetretenen Stroh; es gab einen Hund und einen kleinen Jungen, der einen Welpen an einer Schnur hielt; am anderen Ende des Hofes standen Schuppen, und in ihnen konnte Fleur sehen, wie Kühe gemolken wurden.

      »Ich hatte ja keine Ahnung, daß das Haus so groß ist!«

      »Von vorne sieht es klein aus«, stimmte Madame Bouvais zu. »Vielleicht ist das gut so. Die Leute kommen nicht so schnell nach hinten - das gibt uns Zeit, wenn Fremde kommen.«

      Fleur verstand und entdeckte auf einem Tor, nicht weit vom Stall entfernt, ein älteres Kind. Es hockte dort oben und beobachtete den Weg wie ein Wachposten, bereit, alle zu warnen, wenn sich jemand unerwartet näherte.

      »Es ist nett von Ihnen, mich aufzunehmen«, bedankte sich Fleur. »Ich weiß genau, wieviel ich von Ihnen verlange und was es bedeuten würde, wenn man das alles entdecken würde.«

      Madame Bouvais nickte. »Wir riskieren viel, aber mein Mann ist Patriot. Er liebt Frankreich. Es bricht ihm das Herz, wenn er seine Landsleute hungern sieht.«

      »Es war vermutlich falsch, daß ich hergekommen bin«, meinte Fleur, »aber Marie war so sicher, daß Sie mich aufnehmen würden. Ich schäme mich. Ich sollte versuchen, eine Möglichkeit zur Flucht zu finden.«

      »Das ist nicht einfach«, erwiderte Madame Bouvais. »Erst letzte Woche wurde im Dorf jemand entdeckt, der einen verletzten Flieger versteckt hielt. Die ganze Familie und einer ihrer Freunde, der davon gewußt hatte, wurden erschossen.«

      Fleur schauderte. »Ich habe kein Recht, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen«, seufzte sie.

      »Sie müssen vorsichtig sein, das ist alles. Sie sind klug, Mademoiselle, und Sie können viele Leute täuschen.«

      Fleur schaute in einen kleinen Spiegel, der an der Wand hing, und lachte.

      »Ich sehe entsetzlich aus«, rief sie. »Aber ich habe es dieser Aufmachung zu verdanken, daß ich durchgekommen bin, und deshalb muß ich dankbar sein. Marie hat mir das Kleid geliehen.«

      Madame Bouvais trat näher und berührte es.

      »Ich habe es erkannt«, meinte sie. »Es war Maries bestes Kleid. Sie hatte es für ihre Verlobung gekauft.«

      »Was ist passiert?« wollte Fleur wissen. »Sie hat mir erzählt, daß es zu ihrer Aussteuer gehörte, aber sie, hat mir nie gesagt, warum sie den Mann nicht geheiratet hat.«

      »Sie hat es Ihnen nicht erzählt?« wunderte sich Maries Schwägerin. »Die Arme! Vielleicht schämt sie sich. Sie war lange verlobt - ach, schon viele Jahre, ehe ich Jacques heiratete und hierher zog.

      Marie ist seine älteste Schwester, all ihre Geschwister haben vor ihr geheiratet, obwohl sie die Erste war, die sich verlobt hatte. Der Vater des jungen Mannes war ein alter Freund der Familie. Marie und sein Sohn wurden einander versprochen, als sie noch fast Kinder waren.

      Aber dann gab es Schwierigkeiten. Maries Verlobter war Fischer; die Zeiten waren schlecht; Jahr um Jahr wurde die Hochzeit verschoben. Maries Aussteuer war komplett, aber der junge Mann konnte seinen Teil des Handels nicht erfüllen.

      Dann endlich war alles geregelt, und das Datum wurde festgesetzt. Marie war aufgeregt; sie hatte gefürchtet, eine alte Jungfer zu werden, wenn sie noch länger warten würde. Maries Vater war ein Spieler - er liebte das Risiko, verstehen Sie. Er wettete viel: Welches Boot den größten Fang einbringen würde, wessen Hündin als Erste werfen würde, wessen Wagen die größte Ladung über die weiteste Strecke bringen könnte.

      Er war Fischer, Bauer und Bürgermeister von Sainte Madeleine; aber er konnte nicht aufhören zu wetten und zu spielen. Er war wohlhabend gewesen, denn er hatte ein beachtliches Stück Land geerbt; aber er verspielte einen Großteil davon. Nur dieser Hof blieb übrig, und ich glaube, auch den hätte er noch verwettet, wenn er länger gelebt hätte.«

      »Und Marie?« fragte Fleur, die das Ende der Geschichte schon ahnte.

      »Der Vater wettete um Maries Mitgift - eines Abends im Juni. Es ging um ein Rennen, ein Rennen der Boote, wer die Boje am schnellsten erreichen konnte. Der alte Mann war so sicher, daß er gewinnen würde.

      Damals lebte

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