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Thüni Grieg in der Schlucht.«

      Halb in Groll, halb in Furcht und Scham flieht die Gemeinde vor ihrem Pfarrer. Er liest den Anschlag an der Kirchenthüre, sein weißes Haupt zittert, er stammelt: »Jetzt muß ich Wort halten!« Weinend schleicht der alte trostlose Mann ins Pfarrhaus zurück. »Sie haben sich dem Baalspfaffen ergeben, sie haben sich von der heiligen Kirche gewandt, wohlan, so muß ich mein Wort halten.«

      Kapitel Zwanzig

      Mann, Weib und Kind sind durch die Nebel des kalten Herbstmorgens, der schon an den Winter mahnt, über den Stutz hinab thalaus geeilt, aber Kaplan Johannes ist nicht mehr bei ihnen.

      Sie mögen Thöni Grieg selbst suchen, das Entsetzen wird um so größer sein, wenn sie ihn finden.

      Der Garde weilt beim Presi: »Binia retten, was auch geschehen sei, auf eine blutige That darf keine blutige That folgen. Und die Gier des Verrückten trachtet nach dem Kind. Gebt sie in meine Obhut – Presi – ich bürge für sie. – Aber rasch – rasch –«

      Der Presi spürt die bittere Not der Stunde: »Wohin wollt Ihr mit ihr, Garde?«

      »Ich geleite sie auf den Berg, daß sie zu Josi gehe. Dort ist sie sicher; wenn er will, kommt keine Maus in seinen Gang, und bis am Morgen ist auch schon Mannschaft zum Schutz beider an den Weißen Brettern. – Presi, telegraphiert in die äußeren Gemeinden um Hilfe.«

      Der Presi will es thun – er kommt kreideweiß aus der Postablage zurück – der Draht ist abgeschnitten.

      »Dann holt Eusebi die Mannschaften – ein paar Stunden später sind sie doch da – nur ein Verbrechen darf nicht geschehen – eher mögen unsere Häuser zerstört werden.«

      In dem sonst so schwerfälligen Garden lebt und bebt alles, die klugen und guten Augen unter den buschigen Brauen sprühen Feuer, er ist wieder jung.

      »Ja, zu Josi!« klingt das Stimmchen der erschrockenen Binia fein und traumhaft und ihre Finger spielen, ohne daß sie es weiß, mit dem Tautropfen, den sie aus der Kapsel des Halskettchens geholt hat. »Komm mit mir, Vater, es ist mir so angst um dich, wir wollen uns nicht trennen.«

      Sie kniet vor ihm, er aber antwortet fast streng: »Heute gehört der Presi in die Gemeinde, das weißt du, Kind!« Dann in überströmendem Gefühl: »Geh, Binia!

      – Auf Wiedersehen, Herzensvogel – grüße mir Josi.« Er reißt sie an seine Brust: »Liebe Bini – sollte es anders kommen – sollte ich morgen nicht mehr leben – doch wenn nur du lebst – ich habe einmal einen sonderbaren Traum gehabt – aber ich glaube nicht mehr daran – geh zu Josi – geh in Gottes Namen.«

      Mit sanfter Gewalt löst der Garde die schluchzende Binia aus den Armen des Vaters: »Ich will dich führen, Binia! – Komm – komm.«

      Vater und Kind nehmen Abschied wie für die Ewigkeit.

      Der Garde führt Binia im kalten, dichten Nebel durchs öde Dorf gegen die Alpen empor. Er redet herzlich zu der Schwankenden, die doch tapfer geblieben ist: »Und nun, Binia,« fragt er, »was für eine Bewandtnis hat es mit der furchtbaren Anklage, die gegen dich und Josi erhoben wird –« Da beichtet sie dem alten Freund, wie sie dem Vater gebeichtet hat.

      »Binia!« sagt der Garde stillstehend und faßt ihre beiden Hände: »Jemand anders als du könnte es mir nicht vorgeben, daß der betrunkene Thöni selber in die Glotter gelaufen ist – aber wenn es einen Menschen giebt, dem ich glaube, so bist du es, denn du hast, wo andere gestrauchelt wären, immer den Mut der Wahrheit besessen.«

      Sie sehen sich in die Augen, der Garde und Binia. O, sie hat es wohl gefühlt, daß der Vater ihrer Erzählung nicht ganz vertraute, und nun ist sie endlich glücklich, daß wenigstens der Garde sie in ihrem tiefen Elend versteht.

      Noch zuckt ein Strahl der Hoffnung, daß alles gut kommen werde, durch ihre Brust, da aber taucht Kaplan Johannes gespenstisch aus dem Nebel auf und lacht sein gräßlichstes Lachen: »Wir tanzen doch, Jungfrau – wir tanzen an den Weißen Brettern!«

      Irrsinnige Gier lodert in seinen Blicken.

      Ehe der Garde sich auf ihn stürzen kann, verschwindet er so rasch, wie er aufgetaucht ist, im Nebel.

      Binia zittert und der Garde muß sie wohl oder übel noch ein gutes Stück begleiten.

      Da dringt das helle Tageslicht durch das Grau – es liegt unter ihnen – eine blasse Sonne scheint durch weiße Wolken – über das Gebirge ziehen dunklere Streifen und Bänke her – es rüstet zum Schneien – aber in der Felsenhöhe winkt der sichere Hort.

      »Fürchte dich nicht, Binia,« mahnt der Garde, »gewiß geht eher St. Peter unter, als daß deinem Haupt ein Leid geschieht.«Hoch oben trennen sie sich. – Binia geht langsam, Schritt für Schritt, sie steigt in die falbe, schweigende Einöde – sie ist auf der Flucht – ihre Lippen zittern: »Zu Josi!«

      Einen Augenblick noch sah ihr der Garde nach, dann wendete er sich in Selbstvorwürfen: »Der Mensch meint, er mache ein Ding gut, und er macht es böse. – Es wäre in diesem Augenblick viel wert, wenn das Dorf wüßte, was für ein Verbrechen Thöni Grieg an Josi begangen hat,« – –

      Eusebi ist auf dem Weg nach Hilfe und der Garde eilt zu den Dörflern hinaus, die die Leiche in der Glotter suchen. Vielleicht bringt er sie im letzten Augenblick zur Vernunft.

      Im Bären aber kämpft ein alter, einsamer Mann, er kämpft wie der angeschossene Adler, der jäher als je zuvor gegen den Himmel steigt. Er kämpft wie die Forelle an der Angel, die auf den Grund des Wassers schießt und sich in Schlamm und Kies verbohrt. Aber der Adler fällt rauschend in die Hochgebirgstannen, die Forelle verliert die Kraft und muß aufwärts steigen.

      Der Presi weiß es: er ist der Adler – er ist die Forelle – seine Stunde ist da.

      Er sitzt und betet – er blickt über sein Leben – er sieht alle seine Missethaten gegen Fränzi und Seppi Blatter – gegen die selige Beth – gegen Josi – gegen Binia – und er hat Thöni auf dem Gewissen. Eine furchtbare Angst um Binia überfällt ihn. Sie ist wohl sicher in Josis Felsenwerk – aber er hätte sie nicht gehen lassen sollen – in seiner grenzenlosen Verlassenheit gewinnt der alte Traum Macht über ihn – und er weiß jetzt, wer der dritte ist, der am Haupt seines Kindes rühren wird – es ist der schreckliche Kaplan, der den Haß gegen ihn und eine verbrecherische Leidenschaft für das Kind in einer Blutthat ertränken möchte.

      Er sollte jetzt der Presi sein – er sollte handeln – sollte reden – aber die Kraft versagt. – Das Dorf ist totenstill – er weiß nicht, was draußen an der Glotter geschieht – wie Vinia ihr Ziel erreicht. – Die Furcht lähmt ihn und kein Mensch kümmert sich um ihn.

      Doch, die bebende Vroni steckt den Kopf herein und harrt den langen Tag als Samariterin bei ihm aus.

      Sie kommen so furchtbar lange nicht, die den toten Thöni bringen. Mittag. – Abend. – Da naht endlich der traurige Zug, in dessen Mitte die Leiche auf einer Bahre liegt.

      Die Männer des Gebirges haben die Hüte gezogen, finster und gemessen schreiten sie und reden nichts.

      Noch einmal ist ihr furchtbarer Entschluß, den sie nur im höchsten Taumel des Schreckens faßten, erschüttert worden.

      Denn der Garde hat geredet, er hat allen, die sehen wollten, den falschen, entsetzlichen Brief Thönis gezeigt, und das Mitleid mit dem, der in der Glotter lag, ist dahin. – Hätte ihn Josi erschlagen, man könnte nichts dawider haben.

      Nein, sie können Binia nichts thun – selbst das entstellte Gesicht Thönis, den man unter unendlichen Mühen aus den Tiefen der Glotter geholt hat, giebt ihnen den Mut nicht mehr.

      Da ziehen die Sprengschüsse Josis lang hinhallend durch das Gebirge und die Donnerschläge von den Weißen Brettern jagen die Furcht neu in die vom Totenfund erregten Herzen, die wie unter dem Bann einer höheren Fügung stehen. Morgen schlägt der Hammer – morgen fallen die Lawinen von der Krone – morgen geht

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