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Monat gewütet, und man habe sich noch nicht die Mühe genommen, den Schutt wegzuräumen. Aber dann wird man belehrt, es seien dies doch die Häuser, die im Juli 1720 der Gouverneur Conde de Assumar niederbrennen ließ. Seit diesen 220 Jahren hat sich keine Hand gerührt, weder sie neu aufzubauen noch sie niederzureißen. Alles ist geblieben in Ouro Preto, in Mariana, in Sabará, wie es war zur Zeit der Sklaven und des Goldes. Mit unsichtbaren Flügeln, ohne sie zu berühren, ist die Zeit über die verlassenen Goldstädte dahingefahren.

      Aber gerade dieses Stehenbleiben in der Zeit gibt heute diesen verlassenen Schwesterstädten von Ouro Preto, Mariana, Sabará, Congonhas do Campo und São João d'El-Rei ihren einzigartigen Reiz. Wie sonst in einem Museum hinter gläserner Vitrine ist hier inmitten einer vielfältigen Landschaft das Bildnis der kolonialen Zeit und Kultur derart unversehrt bewahrt wie an keiner anderen Stelle Amerikas und vielleicht noch eindrucksvoller als an jedem anderen Ort; diese alten Minenstädte sind heute das Toledo, das Venedig, das Salzburg, das Aigues-Mortes Brasiliens, bildhaft gewordene Geschichte und dazu noch Geschichte einer eigenartigen nationalen Kultur. Denn – so unwahrscheinlich es klingt – in diesen abgelegenen, damals durch keine Straße mit der Küste, mit der Welt verbundenen Städten, in denen nur wilde, ungebildete, einzig nach Gold und raschem Gewinn gierige Abenteurer sich zusammengerottet hatten, war in der kurzen Zeit der Blüte eine ganz persönliche Kunst entstanden; die Kirchen und Kapellen dieser fünf Städte, von einer einzigen Gilde ansässiger Künstler geschaffen, gehören zu den eigenartigsten Denkmälern der kolonialen Vergangenheit, die der neue Weltteil besitzt, und die gesehen zu haben, auch eine ziemlich umständliche Reise lohnt.

      An und für sich haben diese hellen, schön proportionierten Kirchen, die sich von den Hügeln von Ouro Preto, von Sabará, von Congonhas, von Mariana brüderlich grüßen, keine neuen Linien, keine bodenständige, keine typisch brasilianische Architektur. Sie sind alle in dem sogenannten jesuitischen Barock erbaut und die Pläne wohl aus Portugal herübergekommen; auch an Reichtum der Ausstattung werden sie von den Kirchen São Bento und São Francisco in Rio de Janeiro, an Alter und Ehrwürdigkeit wiederum von jenen in Bahia übertroffen. Was sie sehenswert und unvergeßlich macht, ist die harmonische Art, in der sie sich in eine völlig leere Landschaft hineinkomponieren, und ihre Einzigartigkeit besteht in dem Wunder, daß solche großzügige, kunstvolle Bauten in dieser damals völlig von der zivilisierten Welt abgelegenen Zone überhaupt entstehen konnten – in dem noch heute nicht ganz erklärlichen Wunder, daß innerhalb dieser eilig herangeschwemmten Rotte von Goldgräbern, Abenteurern und Sklavenhorden sich eine kleine Gilde einheimischer Künstler und Werkleute fand, die fähig waren in vollkommener und persönlicher Weise diesen Kirchen diese reiche plastische und malerische Ausschmückung zu geben. Woher sie gekommen und wie sie sich zum Werke gefunden, diese wandernde Gilde, die viele Meilen weit von einer Goldstadt zur andern zog, um dort in organischer Gemeinschaft diese weithin leuchtenden Denkmäler der Frömmigkeit über die gierige Fron des Goldes zu erheben, wird vielleicht für immer ein Geheimnis bleiben; nur eine Gestalt tritt plastisch aus dieser Gruppe hervor, der Plastiker dieses schaffenden Kreises – Antonio Francisco Lisboa, genannt o Aleijadinho, der Verstümmelte.

      Dieser Aleijadinho ist der erste wirklich brasilianische Künstler und schon deshalb typisch brasilianisch, weil ein Mischling, der Sohn eines portugiesischen Zimmermeisters und einer Negersklavin. In Ouro Preto 1730 geboren, zu einer Zeit, da die Stadt noch nichts war als ein Gewirr hastig herangefluteter Menschen, ohne richtige Häuser, ohne steinerne Kirchen und Paläste, wächst er auf ohne Lehrer, ohne Meister und ohne die flüchtigsten Elemente der Bildung. Was den andern an diesem kleinen wilden Mulatten zunächst auffällt, ist seine dämonische Häßlichkeit, die ihm eine Art Bastardbruderschaft zu Michelangelo gibt, dessen Namen er wahrscheinlich nie vernommen, und von dem er niemals ein Werk gesehen. Mit seinen dicken hängenden Negerlippen, seinen großen Schlappohren, seinen entzündeten und immer zornig blickenden Augen, seinem völlig zahnlosen und schiefen Mund, seinem verkrümmten Körper muß er schon in seiner Jugend einen so widrigen Anblick geboten haben, daß – wie die Chroniken schildern – jeder erschrak, der ihm unvermuteterweise begegnete. Dazu kommt noch von seinem sechsundvierzigsten Jahre jene grauenhafte Krankheit, die ihn verstümmelt und ihm erst die Zehen von den Füßen und dann die Fingerglieder wegfrißt. Aber keine Verstümmlung kann den so grausam von der Natur Gezeichneten an der Arbeit hindern. Jeden Morgen läßt sich dieser schwarze Lazarus von seinen beiden Negersklaven in die Werkstatt oder in die Kirchen tragen, und sie stützen ihm den unsicheren Stand seiner verstümmelten Füße, sie binden ihm an die fingerlosen Hände den Meißel, den Pinsel, damit er arbeiten kann, und erst wenn die Dunkelheit niedergesunken ist, führen sie ihn in der Sänfte wieder in sein Haus zurück. Denn der »Aleijadinho« weiß um das Grauen, das von ihm ausgeht. Er will keinen Menschen sehen und von keinen Menschen gesehen werden. Er will nur seine Arbeit, die ihn vergessen läßt an sein dunkles, sein unerträgliches Schicksal, er lebt nur für seine Arbeit und lebt nur für sie und durch sie bis zu seinem vierundachtzigsten Jahr.

      Erschütternde Tragödie eines Künstlers, in dessen düsterer Seele vielleicht ein wahrhaftes Genie verschlossen war, und dem ein böswilliges Schicksal versagte, seine letzten, seine eigentlichen Möglichkeiten zu entfalten. Vielleicht war in diesem verstümmelten Mulatten tatsächlich ein Bildhauer trächtig, dessen Werke der ganzen Welt gegolten hätten. Aber in ein abgelegenes Bergdorf mitten in tropische Einsamkeit verschlagen, ohne Lehrer, ohne Meister, ohne mithelfende Kameraden, ohne Kenntnis, ja ohne Ahnung der großen Vorbilder kann dieser arme Bastard nur mühsam und auf unsicheren Wegen sich wirklich gültiger Leistung annähern. Einsam wie Robinson auf seinem Eiland in der kulturellen Wildnis seines Goldgräberdorfs hat Lisboa nie eine griechische Statue gesehen, nie selbst eine Nachbildung Donatellos oder eines seiner Zeitgenossen. Er hat nie die weiße Fläche des Marmors gefühlt, er kennt nicht die fördernde Hilfe des Erzgießers; nie steht ein Mitbruder ihm zur Seite, ihn die Gesetze der Kunst zu lehren und die von Generation zu Generation überlieferten Geheimnisse der Werktechnik. Wo die andern sich fördern durch Zuspruch, sich steigern durch ehrgeizigen Wettbewerb, steht er allein in einer seelenmörderischen Einsamkeit und muß suchen, erarbeiten, erfinden, was die anderen seit Jahrhunderten längst fertig und vollendet vorgefunden. Aber der Haß gegen die Menschen, der Abscheu vor seiner eigenen widrigen Gestalt treibt ihn tiefer und tiefer in die Arbeit hinein und auf qualvoll langsamem Wege sich selber entgegen. Während seine ornamentalen Plastiken nur geschmackvoll, nur handwerklich kunstvoll sind, aber in den Figuren im leeren Schema des Barock beharren, erreicht er im siebzigsten, im achtzigsten Jahr eigenes persönliches Format. Die zwölf großen Statuen in pedra de sabão, in jenem merkwürdigen weichen, aber der Zeit standhaltenden Seifenstein, welche den Stiegenaufgang der Kirche von Congonhas krönen, haben trotz all ihrer technischen Fehler und Unbeholfenheiten volle Wucht und Gewalt. Genial in die Szenerie hineinkomponiert, atmen sie hier im Freien (während sie in der Gipsrepoduktion in Rio de Janeiro starr wirken) in starker Bewegung; eine wilde Seele offenbart sich in ihren herrischen und ekstatischen Gesten. Mühe und Qual eines dunklen und verstümmelten Lebens ist in ihnen zum Kunstwerk oder zumindest zu Kunstwirkung erlöst.

      Auch die andern – zum Teil namenlosen – Künstler jener Kirchen hatten unermeßliche Schwierigkeiten zu überwinden. Es waren nicht die Quadern zur Stelle, um den Gebäuden die volle Wucht zu verleihen, nicht der Marmor, nicht die Werkzeuge, um ihn zu behauen; aber sie hatten das Gold, und sie hatten es im Überfluß. Sie konnten die hölzernen Balustraden, die Rahmen, das Schnitzwerk aufleuchten lassen in dem kostbaren Erz, und so strahlen diese Altäre in schimmerndem Glanz. Man kann es sich denken, wie die ersten Ansiedler, die in kümmerlichen Hausungen wohnten, die kaum ein Bett hatten und nichts außer ihrem Kleid, ihrem Dolch und ihrem Spaten, stolz waren, daß plötzlich diese weißen Kirchen mit aller Pracht der Bilder und Werke ihnen eine Ahnung von überirdischer Schönheit in ihr wildes und zügelloses Leben brachten. Bald wollten auch die schwarzen Negersklaven nicht zurückstehen. Auch sie wollten ihre Kirchen, in denen die Heiligen dunkelfarben sein sollten wie sie selbst, und sie brachten ihre geringen Ersparnisse, sich gleichfalls eine solche Herrlichkeit zu erbauen. So entstand auf dem anderen Flügel von Ouro Preto die Kirche Santa Ifigenia, gestiftet von »Chico Rei«, einem Negersklaven, der in Afrika Fürst seines Stammes gewesen und durch besonders glückliche Goldfunde sich und die Sklaven seines Stammes freigekauft. Dieser Kranz von Kirchen leuchtet heute mitten im einsamen Bergland und über den verschollenen Städten ein einziger Anblick

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