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und zwinkern sie nur mit kleinen Petroleumlichtern zwischen dem Gebüsch. Und immer wieder der steile Weg hinauf über Stufen und Steine und Stiegen, halsbrecherisch oft und selten sauber, denn zwischen den Hütten treibt sich das sonderlichste Getier herum, Ziegen und hagere Katzen, räudige Hunde und knochige Hühner, das Spülwasser rinnt und tropft trüb ohne Unterlaß den Felsen hinab – fünf Minuten von einem Luxusstrand oder einem Boulevard meint man inmitten eines polynesischen Urwalddorfes oder in einem afrikanischen Kral zu sein. Man hat das Summum an Primitivität gesehen, die niederste Form des Hausens und Lebens, eine Form, die man in Europa oder Nordamerika kaum mehr für glaubhaft gehalten. Aber sonderbar – der Anblick hat nichts Bedrückendes, nichts Abstoßendes, nichts Aufreizendes, nichts Beschämendes. Denn diese Neger fühlen sich hier tausendmal glücklicher als unser Proletariat in seinen Mietskasernen. Es ist ihr eigenes Haus, sie können dort tun und lassen, was ihnen beliebt, abends hört man sie singen und lachen – sie sind hier ihre Herren. Kommt ein Grundbesitzer oder eine Kommission, die sie vertreibt, um hier eine Straße oder ein modernes Wohnviertel anzulegen, so ziehen sie gleichmütig auf einen andern Berg. Nichts hindert sie, das dünne Haus gleichsam auf ihrem Rücken mitzunehmen. Und dann: weil sie hoch auf den Bergen liegen, an den unzugänglichsten Kanten und Ecken, haben diese Favellas den schönsten Blick, den man sich denken kann, denselben Blick wie die kostbarsten Luxusvillen, und es ist dieselbe üppige Natur, die hier ihr winzigstes Stückchen Grund mit Palmen überhöht und mit Bananen großmütig speist, jene wunderbare Natur von Rio, die es der Seele verbietet, schwermütig und unglücklich zu sein, weil sie unablässig tröstet mit ihrer weichen, beschwichtigenden Hand. Wie oft bin ich diese glitschigen, lehmigen Stufen hinaufgeklettert in diese Negerdörfer, und nie habe ich hier einen unfreundlichen, einen unfreudigen Menschen gefunden. Ein sonderbares, ein unvergleichliches Stück Rio wird mit diesen favelasverschwinden, und ich kann mir die Hügel von Gávea, den alten Morro kaum denken ohne diese kleinen, dem Felsen kühn aufgeklebten Dörfer, die mit ihrer Primitivität daran erinnern, wie vieles an Zuviel wir haben und fordern, und daß selbst im Minimum der Existenz wie in einem Tautropfen sich die ganze Vielfalt des Lebens zusammenfassen kann.

      Auch eine andere Kuriosität von Rio wird bald dem zivilisatorischen Ehrgeiz und vielleicht auch der Moral zum Opfer fallen – wie in so vielen Städten Europas, in Hamburg, in Marseille: der eine Straßenzug, von dem man nicht spricht, die Mangue, der große Liebesmarkt, das yoshivara von Rio. Daß doch auch hier noch in letzter Stunde ein Maler käme, um diese Straßen festzuhalten, wenn sie abends unter den Sternen mit grünen, roten, gelben, weißen Lichtern und wehenden, fliehenden Schatten schimmern, ein phantastischer, ein orientalischer Anblick, wie ich ihn kaum ähnlich im Leben gesehen, und überdies noch geheimnisvoll durch die aneinandergeketteten Geschicke! Fenster an Fenster oder vielmehr Tür an Tür stehen und warten hier wie exotische Tiere hinter den Gitterstäben tausend oder sogar fünfzehnhundert Frauen aller Rassen und Farben, jeden Alters und jeder Herkunft, senegalische schwarze Negerinnen neben Französinnen, die ihre Altersrunzeln kaum mehr überschminken können, zarte Inderinnen und feiste Kroatinnen auf die Kunden, die in unaufhörlichem Zug vor diesen Fenstern vorüberspähen, um die Ware zu prüfen. Hinter ihnen schimmert in bunten Farben die Ampel und erhellt mit magischen Reflexen den rückwärtigen Raum, in dem sich das hellere Bett aus den Schatten hebt, ein rembrandtisches clair-obscur, das diesen täglichen und überdies erschreckend billigen Betrieb beinahe mystisch macht. Aber das Überraschendste, das zugleich Brasilianische bei diesem Markte ist die Stille, die Gelassenheit, die ruhige Disziplin; während in den Gassen von Marseille, von Toulon in solchen Straßen alles dröhnt von Lachen, Geschrei, Hochrufen und tollgewordenen Grammophonen, während die betrunkenen Gäste dort wild und gefährlich durch die Gassen gröhlen, bleibt hier alles bildhaft und leise. Ohne sich zu schämen, mit südländisch-ehrlicher Unbefangenheit wandern die jungen Leute an diesen Türen vorbei, um manchmal wie ein rascher Strahl Licht in ihren weißen Anzügen dort zu verschwinden. Und über all diesem stillen, heimlichen Geschehen steht der Himmel mit seinen Sternen; auch dieser abseitige Winkel, der sich in anderen Städten, seines Geschäfts irgendwie schamvoll bewußt, in die häßlichsten und verfallensten Quartiere drückt, hat in Rio noch Schönheit und wird ein Triumph der Farbe und des vielfältigen Lichts.

      Werden wirklich auch die alten bondes, die offenen Trambahnen verschwinden und durch geschlossene »moderne« Wagen ersetzt werden? Es wäre unermeßlich schade, denn sie geben den Straßen einen sausenden, schmetternden Glanz. Welch ein Anblick, dessen man nie müde wird, diese überfüllten offenen Wagen, wo an den Trittbrettern die Männer wie Bündel weißer Trauben überhängen! Und nachts, wenn sie fahren, das Licht innen ergossen über die schwarzen, braunen, hellen Gesichter – es ist immer, als ob ein Blumenbouquet farbig vorbeigeschleudert würde! Und wie angenehm, in ihnen zu fahren! An den heißesten, den schwülsten Tagen kauft man sich in ihnen für einen Cent die schönste, die erfrischendste Brise und sieht dabei – im Gegensatz zu den Sargkästen der geschlossenen Automobile – rechts und links in die Straße, in die Geschäfte, in das Leben hinein. Nirgends kann man besser Rio, das wirkliche Rio erforschen, nicht im Cookautomobil und im Privatwagen, als in diesem Gefährt des kleinen Volkes; nur dank derbondes (sowie meiner Beine) glaube ich heute Rio wirklich zu kennen. Und ich brauche mich dieser Vorliebe nicht zu schämen, denn auch der Kaiser Dom Pedro II. liebte diese in ihren Gleisen scharf hinschmetternden, altmodischen Wagen so sehr, daß er sich einen eigenen zu seinen demokratischen Spazierfahrten reservierte. Welcher Fehler, wollte man diese ein wenig lärmende und wacklige Romantik verschwinden lassen, um das zu haben, was alle andern haben, und damit etwas zu verlieren, was Rio allein gehört: seine farbige, unbesorgte Lebendigkeit!

      Kapitel Drei­und­dreißig

      Gärten, Berge und Inseln

      Nachts, wenn man an das Fenster tritt und das Meer liegt still und keine Brise geht, dann spürt man es an dem weichen, satten, mit geheimnisvollen Ölen und Harzen durchsüßten Atem der Luft, daß man in Rio immer inmitten von Bäumen und Gärten ist. Man begegnet ihnen überall. Nie eine Minute ohne einen Blick auf Grün. Die Straßen sind vielfach mit Palmen bestanden, um jedes kleine Haus quellen dichte Büschel, mit Blumen und sonderbaren Früchten durchsprenkelt, und je mehr man sich vom Meere entfernt, um so üppiger entfalten sich die Parks, und manche der Villen verschwinden fast völlig in ihrer andrängenden Umfassung. Immer sieht man auf Grün und überall. Manchmal weitet es sich zu breiten Gärten, wie auf der Praça Paris und Praça da República, aber innerhalb der Stadt ist es immer noch gezähmte, gebändigte, gehütete Natur. In Trijuca aber schon wirft sie sich ungestüm wie ein Ozean heran, ein dicht verschlungenes Gewirr von Bäumen und Sträuchern und Lianen, es ist, als ob – so wie beim Meere die Wellen wetteifern, zuerst an den Strand zu gelangen – diese Stämme und Gipfel miteinander ringen und kämpfen würden, um aus dem grünen Dickicht hinauf an die Sonne sich durchzustoßen. Wald ist hier nicht wie bei uns dämmernder Durchblick, sondern dunkle kompakte Masse, und wenn man versucht, in ihn einzudringen – nur einige Schritte – so fühlt man sich gefangen, isoliert wie unter einer Taucherglocke; der Atem spürt die fremde und zusammengedrängte Luft wie den schwülen feuchten Atem eines riesigen und gefährlichen Tiers; man hat – eine Stunde von der Stadt – an die Zone des Urwalds gerührt.

      Darum ist der Botanische Garten Rios, – der nach Aussage aller Fachleute (ich bin es nicht) auch der reichhaltigste der Welt sein soll – ein solches Wunder und eine solche Wohltat. Hier ist alles, was der Urwald enthält, ohne seinen Schrecken, seine Endlosigkeit, seine Unwegsamkeit, seine Gefahr. Hier sind alle Bäume, alle Pflanzen, alle Phänomene der Tropen in ihren großartigsten Exemplaren, und man kann sie mühelos bewundern. Schon die eine gigantische Palmenreihe des Eingangs ist ein wunderbares Bild, die Triumphallee, die sich ein König – König João VI. – vor anderthalb Jahrhunderten errichtet hat, und die so herrlich symmetrisch und aufrecht steht wie die Säulenreihe eines tausendjährigen griechischen Tempels. Man hat unzählige Palmen gesehen, hier in Brasilien und anderorts, und meint doch nie gewußt zu haben, wie herrlich majestätisch, wie wahrhaft königlich eine Palme sein kann, ehe man diese sah – kerzengrade, wunderbar rund der Stamm mit seiner arabisch-feinmaschigen Panzerhaut und hoch dann, o, ganz hoch, viel höher als man jemals den Blick erhoben, die Krone. Und rings herum, zur Rechten, zur Linken dann die Vasallen, herberufen aus allen

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