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überraschend. Denn jede der einzelnen besiedelten Buchten, deren Summe erst ihren Strand ergibt, ist durch Bergketten getrennt – es sind gleichsam die Rippen des Fächers, die hier jedes Bild vereinzeln und doch zusammenhalten. Endlich zeigt sich der geschwungene Strand, bezaubernder Anblick: eine weite Strandpromenade, von den Wogen ständig beschäumt, mit Häusern und Villen und Gärten, deutlich unterscheidet man schon das Luxushotel und ansteigend die Hügel empor die waldumrandeten Villen – aber Irrtum! Es ist nur der Strand von Copacabana gewesen, einer der schönsten der Welt, nur eine neue Vorstadt, nicht die eigentliche Stadt. Noch muß man den Pão de Açúcar, den Zuckerhut, umsteuern, der den Blick sperrt, dann erst sieht man die Stadt in der Bucht, dicht und weiß vorblickend zum Strand und wirr sich auflösend in die begrünten Höhen. Man sieht die neuangelegten Strandgärten und den Flugplatz, der eben dem Meer abgewonnen war: gleich wird man landen und seiner Ungeduld Genüge tun. Aber nein! Es war wiederum ein Irrtum und dies nur die Bucht von Botafogo und Flamengo, nochmals muß das Schiff weiter steuern, noch ein anderes Blatt dieses göttlichen, in allen Farben leuchtenden Fächers aufgeblättert werden, noch muß man vorbei an der Marineinsel und jener kleinen mit dem gotischen Palast, wo Kaiser Pedro zwei Tage vor seiner Absetzung ahnungslos den letzten Ball gegeben. Und jetzt erst grüßen die Turmhäuser, eine einzige vertikale Masse, jetzt erst zeigen sich die Docks, jetzt erst kann das Schiff anlegen und man ist in Südamerika, ist in Brasilien, ist in der schönsten Stadt der Welt!

      Diese einstündige Einfahrt in Rio ist ein Erlebnis einziger Art und in ihrem unwiderstehlichen Eindruck nur jener in New York zu vergleichen. Aber New York grüßt härter, energischer: wie ein nordischer Fjord wirkt es mit seinen aufgetürmten eisweißen Kuben. Manhattan ist ein männlicher, heroischer Gruß, der steil aufgestoßene menschliche Wille Amerikas, ein einziger Ausbruch zusammengefaßter Kraft. Rio de Janeiro aber bäumt sich einem nicht entgegen – es breitet sich auf mit weichen, weiblichen Armen, es empfängt in einer weit ausgespannten zärtlichen Umarmung, es zieht an sich heran, es gibt sich mit einer gewissen Wollust dem Blicke hin. Alles ist hier Harmonie, die Stadt und das Meer und das Grün und die Berge, all das fließt gewissermaßen klingend ineinander, selbst die Hochhäuser, die Schiffe, die bunten Lichtplakate stören nicht; und diese Harmonie wiederholt sich in immer anderen Akkorden: anders ist diese Stadt, von den Hügeln gesehen, und anders vom Meer, aber überall Harmonie, gelöste Vielfalt in immer wieder völliger Einheit, Natur, die Stadt geworden ist, und eine Stadt, die wie die Natur wirkt. Und vieldeutig und unerschöpflich, großartig und großmütig, wie sie einen empfängt, weiß sie einen zu halten; von der Stunde der Einfahrt an weiß man schon, das Auge wird nicht müde werden und der Sinn nicht satt an dieser einzigartigen Stadt.

      Kürzer, aber vielleicht noch verwirrender ist der Eindruck, wenn man mit dem Flugzeug ankommt. Da überschaut man zum ersten Male die wirkliche Anlage der Stadt – wie sie hingebettet ist an den Rand der Berge, die sie bewachen, wie sie gleichsam sich auflöst in die Landschaft. Man schwingt über Berge und Berge herab, und plötzlich sieht man die Weite dieser Bucht, die in ihrer riesigen blauen Schale diese weiße Perle einschließt. Man sieht die scharfen, wie mit dem Messer gezogenen Diagonalen der Avenidas, die sie durchschneiden, den blinkenden Strand, nicht breiter wie das Weiße, das eine goldfarbene Orange umschließt, und dann weit ins Land hinein sich ergießend die hellen Kiesel der Villen und Häuser, und all dies abgezeichnet gegen ein doppeltes Blau, den stahlblanken Azur und das Wasser, das ihn spiegelt. Und dann scheinen die Berge, da das Flugzeug die Kurve nimmt, plötzlich zu verschwinden, jetzt ist es die Stadt, die mit ihren weißen Häusern als eine einzige steinerne Wand einen grüßt, und schon sieht man das schwirrende Band der Autos an den Strandstraßen, die Badenden im Meer, man spürt das Leben, das einen erwartet, die Farben, die einem entgegenglühen. Und noch einmal, zweimal, dreimal schwingt sich das Flugzeug niederer und niederer, daß es beinahe das Dach von São Bento streift. Und dann knirschen die Räder, man ist auf flachem Boden, auf der schönsten Erde der Welt.

      Kapitel Acht­und­zwanzig

      Das alte Rio

      Um eine Stadt, um ein Kunstwerk, um einen Menschen wirklich zu verstehen, muß man ihre Vergangenheit, ihre Lebensgeschichte, ihre Entwicklung kennen. So geht mein erster Weg in jeder neuen Stadt zunächst zu den Fundamenten, auf denen sie sich erbaut hat, um ihr Heute aus dem Gestern zu begreifen. Nichts natürlicher, als daß ich in Rio zunächst den Morro do Castelo, den historischen Hügel suchte, wo sich vor vierhundert Jahren die Franzosen verschanzt hatten, und auf dem die siegreich stürmenden Portugiesen dann den eigentlichen Grundstein ihrer Stadt gelegt. Aber vergebens die Suche. Der historische Hügel ist abgeräumt. Kein Stein, keine Scholle Erde ist mehr davon zu finden. Das Terrain ist längst nivelliert, und breite Straßen erheben sich auf dem abgeflachten Boden. Merkwürdiges Phänomen. Das alte Rio ist verschwunden und das neue steht auf einem völlig anderen Grund als die Stadt des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts. Wo heute die asphaltierten Straßen laufen, war ursprünglich nur Sumpf gewesen, von kleinen Flußläufen durchzogen, ungesund und unbewohnbar, und die ersten Ansiedler hatten sich auf die Hügel hinaufgerettet. Erst allmählich konnte Terrain dem Sumpf und dem Meer abgewonnen werden, indem man das Land zwischen den Hügeln austrocknete, die Flußläufe zuschüttete oder kanalisierte und gleichzeitig durch Aufschüttung die Ufer immer weiter in die Bucht hineinschob. Dann wiederum fielen die Hügel, die den Verkehr hemmten. So hat sich in dreihundert Jahren die Stadt eigentlich völlig umgestülpt, und alles oder fast alles Historische ist dieser ungeduldigen Verwandlung zum Opfer gefallen.

      Es ist kein großer Verlust, denn im sechzehnten, im siebzehnten und weit bis ins achtzehnte Jahrhundert war Bahia die Hauptstadt Brasiliens und Rio zu arm, zu gering für Kunstbauten und prunkvolle Paläste. Selbst als zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts der portugiesische Hof hier seine Residenz aufschlug, fanden die unfreiwilligen Gäste keine würdige Unterkunft. So reicht alles Historische bestenfalls in die Kolonialzeit zurück, und ein Haus von hundertfünfzig Jahren genießt hier schon im Gegensatz zu Bahia die Reverenz der Ehrwürdigkeit. Von dieser kolonialen Zeit, ihrem Stil und ihren Lebensformen bekommt man am besten ein Bild in den wenigen in ihrer Echtheit noch unveränderten Gassen um die Alfândega in Rio. Sie sind noch typisch portugiesisch und wirken angenehm in ihrer anspruchslosen Bescheidenheit. Einstöckig und zweistöckig, einstmals wohl bunt getüncht, haben sie keine andere Zier als das schön gehämmerte eiserne Spitzenwerk der Balkone; zurückgesunken nach einstiger Vornehmheit dienen sie ausschließlich mehr den kleinen Geschäften. Zu ebener Erde stehen die Läden, die Armazéns mit ihren Warenlagern offen, man blickt frei auf die aufgestapelte Ware, und meist riecht man sie schon zuvor, denn diese engen Gassen um den Hafen, die letzten unveränderten aus der Kolonialzeit, schwelen von einem fettig warmen Dunst von Fischen, Obst und Gemüsen. Es bedürfte nicht der ausgezeichneten Schilderungen Luís Edmundos in seinem Buch über Rio zur Zeit der Vizekönige, um zu ahnen, wie schauerlich verpestet und stickig diese engen Durchlässe gewesen sein müssen in einer Zeit, da Menschen und Vieh gemeinsam die Gasse bevölkerten und die primitivsten Gesetze der Hygiene noch nicht beachtet wurden. Auch die wenigen öffentlichen Gebäude aus den Zeiten der Kolonie, die Palais und Kasernen, sind hastig und billig ohne Plan und Ambition gebaut und stellen bestenfalls wohlfeile Kopien der portugiesischen dar. Jedes sentimentale Klagen um das »alte Rio« ist also eigentlich nur Angelegenheit von ein paar alten Leuten, die unbewußt ihre eigene Jugend beklagen. In Wirklichkeit hat Rio mit allem, was es wegräumte, wenig oder nichts verdorben. Von der Kolonialzeit verdienen einzig ein paar Kirchen, vor allem die wunderbar gelegene der Glória und São Francisco sowie der Aquädukt mit seinen nobel geschwungenen Linien geschützt zu werden und allenfalls als Wahrzeichen die eine oder die andere dieser kleinen farbigen Gassen. Denn ein großes Denkmal seiner Vergangenheit ist als Wahrzeichen unvergänglich: die Kirche und das Kloster von São Bento.

      Diese Kirche von São Bento hat sich vom Wandel der Jahrhunderte gerettet, indem sie sich tapfer und einsam vom ersten Tage an auf einem Hügel verschanzte; so blieb dieses Bauwerk, 1589 begonnen, das einzige imposante Denkmal des sechzehnten Jahrhunderts, und vergessen wir nicht: ein Kunstwerk aus dem sechzehnten Jahrhundert ist für die neue Welt so alt wie für uns der Parthenon und die Pyramiden. Allein auf seiner Höhe, den Blick noch nicht verstellt von den Hochhäusern zu seiner Tiefe, frei nach allen Seiten schauend, bedeutet es ein wundervolles Stück Schönheit

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