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rotgeschwollenen Augen die Höhe und sieht, wie der Vater eben das zierliche Wasserrad einsetzt, das den Werkhammer hebt und auf ein Brett fallen läßt, so daß sein Schlag das ganze Thal durchtönt.

      Ein Fahnenzeichen gegen den Stutz empor, Männer, die am Eingang der Leitung stehen, öffnen die heligen Wasser. In wenigen Augenblicken werden sie durch die neuen Kännel fließen. Bald wird der Merkhammer das erste Zeichen geben.

      Eine ungeheure Spannung hat sich des Völkleins bemächtigt, vor der Kapelle kniet niemand mehr als die Wildheuerin Fränzi und Vroni.

      »Wollt Ihr's nicht hören?« fragt eine Nachbarin, aber so lange Seppi an den Weißen Brettern ist, darf man in der Fürbitte nicht müde werden. Und Fränzi und Vroni beten.

      Da horch: »Tick tack, tick tack.« Mit wachsender Schnelligkeit kommt's aus der Höhe, der Merkhammer schlägt, andere Hämmer, die weiterhin in die Leitung eingeschaltet sind, erheben ihr Spiel, das Echo ist erwacht, das Thal hat seine Musik wieder, eine einförmige Musik, die doch wie ein Psalm in die Ohren klingt. Sie bedeutet Erlösung aus dem Schrecken, Segen und Fruchtbarkeit.

      Wie der Müller berauscht vor Freude aufhorcht, wenn nach langer Trockenheit sein Rad wieder klappert, so lauschen die Leute von St. Peter dem Hackbrettspiel der heligen Wasser und drücken sich vor Freude die Hände.

      »Ja, Seppi Blatter ist ein Mann! – Es lebe der neue Garde!«

      Der alte Pfarrer hebt segnend sein Kreuz gegen die wiederhergestellte Leitung empor, das Glöcklein, das einen Augenblick zu bimmeln aufgehört hat, setzt wieder ein. es ruft zum Dankgottesdienst, und die Berge leuchten, vom Abendrot umspielt, wie Lichter der Andacht.

      Am schönsten leuchtet Josis Gesicht!

      Hoch an den Weißen Brettern sind nur noch zwei oder drei Stricke zu lösen und die Arbeit, die gefahrvolle, ist glücklich gethan. Bald wird man auf den Felsentafeln nur noch die Linie der Kännel sehen.

      Der Gottesdienst geht seinen Weg, da gellt ein einzelner Schrei: »Seppi!«

      Der Schrei verzehn- und verhundertfacht sich – ein dunkler Körper fällt und wird größer im Fallen, er gleitet wie ein Schatten die Weißen Bretter hinab.

      Seppi Blatter ist am Ende seines Werkes abgestürzt. Der Gottesdienst schweigt.

      Josi ist brüllend wie ein Stier aufgesprungen und will sich in die Glotter stürzen, in der sein Vater vor seinem Blick verschwunden ist. Da halten ihn im letzten Augenblick starke Arme zurück. »Gottloser Bub!« Er beißt, er kratzt, er schlägt um sich, aber die junge Kraft erlahmt, röchelnd liegt der Knabe im Gras.

      Was war die Ursache des Sturzes? – Hunderte haben hinaufgeblickt, aber wenige wissen etwas Sicheres zu sagen. Der Glottermüller, der wieder das Fernrohr geführt hat, versichert, Seppi habe bis zum letzten Augenblick frei stehend gearbeitet, da schwankte er, faßte das Seil, das ihn in die Höhe ziehen sollte, es senkte sich ein wenig, er ließ es los, im gleichen Augenblicke aber wurde es von der Mannschaft, die den Ruck Seppis für ein Zeichen genommen, in die Höhe gezogen, die Schleife am Ende des Taues legte sich dabei um das Bein, das er in die Luft gestellt hatte, die Arme des müden Mannessuchten den oberen Teil des Strickes zu spät, da schleuderte ihn das steigende Seil, das ihn am Fuß gepackt hatte, in die Tiefe.

      Von allen, die Zeugen des Unfalls gewesen waren, war keiner so blaß wie der Presi.

      Der Schein an den Bergen war erloschen, nur noch die letzten Streifen der Abendröte beleuchteten die traurige Heimkehr der Leute von St. Peter. Sie führten eine an Gott und Menschen irre Familie in ihrer Mitte, und im Schimmer der Mitternachtssterne kam ein zweiter dunkler Zug, dem Kaplan Johannes mit einem Kienspanfeuer, das auf einer Pfanne brannte, den Weg erleuchtete.

      Dieser Zug trug die Leiche Seppi Blatters, des Helden der heligen Wasser.

      Kapitel Fünf

      Die Wasser rauschten und die Merkhämmer schlugen.

      Mit herzlicher Teilnahme wurde Seppi Blatter bestattet. Vom Morgen an stand der Sarg neben der Thüre des Häuschens, wo der Verunglückte mit den Seinen friedlich gewohnt hatte. Auf dem Totenbaum lag der Federhut, das Schwert und die Binde des Garden. Ein silberner Becher stand auf dem Sarg. Als die Leidtragenden kamen, hob ihn jeder, trank einen kräftigen Schluck und sprach: »Lebe wohl, Seppi Blatter, möge es dir wohl thun in der Ewigkeit!« Und wenn zwei oder drei aus dem Becher getrunken hatten, so füllte ihn der Weibel wieder mit goldenem Hospeler nach.

      O, man durfte sich den Hospeler schon mit andächtigen Sinnen zu Gemüte führen. Die Begierde nach eigenem Wein hatte St. Peter in die Fron der heligen Wasser gebracht. Im Feuer des Trunkes kreiste das Blut der Gestürzten.

      Als der Presi erschien und zum Becher griff, schielten alle mit verhaltener Neugier nach ihm. Sie meinten, es müßte sich etwas Besonderes begeben. Aber der stolze, kraftvolle Mann hob den Becher mit Würde und fester Hand und trat mit ruhiger Gelassenheit in ihren Kreis. Der Garde war viel bewegter; die nervige eiserne Hand bebte, als er Seppi Blatter Lebewohl sagte. Ihm war, er müsse sich die grauen Haare zerraufen, weil er ihn nicht von seinem plötzlichen Entschluß zurückgehalten hatte.

      Man brachte die Gedenktafel, die Kaplan Johannes im Auftrag der Gemeinde gemalt hatte, und legte sie auch auf den Totenbaum. In frischen Farben leuchtete die Inschrift:

      »An den heligen Wassern ist bei Reparatur erfahlen und wohl versehen mit den hl. Sakramenten gleich tot gewesen der ehrsame Seppi Blatter von St. Peter. Gewählt worden zum Garden. Hat aber nicht angetretten. Sein Lebenslauf ist 40 Jahr und 7 Tag. R.I.P.

       Mein lieber Freund, ich bitte dich,

       Geh nicht vorbei und bett' für mich.«

      Jetzt trug man Seppi Blatter zu Grabe. Als sich die Gemeinde vom Kirchhof verlief, gingen nur wenige, die an der Beerdigung teilgenommen hatten, in den Bären. Dem Presi war's recht. Er wollte noch nach Hospel hinausreiten und sattelte eben das Maultier. Er hatte plötzlich das Bedürfnis, Frau Cresenz recht bald als Hausfrau in den Bären zu führen. Mit der alten Susi war's nicht mehr gethan, ihr Kropf wurde ihr je länger je hinderlicher bei der Arbeit, sie pfiff daraus wie eine ungeschmierte Säge und ob sie fast nicht zu Atem kam, keifte sie gleichwohl an einem Stück.

      Er wollte mit Cresenz über den Hochzeitstag reden.

      »Susi, wo steckt denn Bini wieder?« rief der Presi.

      »Sie hat sich wieder irgendwo versteckt. Verhext ist das Kind – verhext!« jammerte Susi, »und sie war sonst ein so liebes, artiges Vögelchen, das den ganzen Tag gehüpft ist. Wer hat es ihm nur angethan?«

      »Ihr seid ein Kalb; Susi, bringt mir Binia nicht mit dem Hexenzeug ins Geschwätz, sonst seid Ihr den letzten Tag im Haus!«

      Damit ritt der Presi davon, Susi heulte: »Nichts mehr sagen darf man, nichts! Wie ein Schuhlumpen ist man geachtet. Gewiß bleib' ich nur wegen des Kindes.«

      Schon ein paar Tage aber versteht sie Binia nicht mehr. Seit der Wassertröstung sitzt das Mädchen irgendwo in einem Winkel des Hauses, immer da, wo man sie nicht sucht, zerrt mit den Fingern der einen Hand an den Fingern der anderen, beißt in die Fingerspitzen und starrt mit den großen dunklen Augen ins Leere, wie wenn sie etwas sehen würde, was nicht ist, etwas Grauenhaftes, Entsetzliches! Susi hatte sie mit der Wallfahrt zur Lieben Frau an der Brücke geschickt, aber am Mittag kam das Kind in der warmen Sonne schlotternd zurückgelaufen, nicht in die Stube, nein, es rannte die Treppen hinauf bis unter das Dach. Als Susi es suchen ging, da saß es mitten unter altem Gerümpel des Estrichs, einen zerlumpten Rock seiner Mutter selig um das eigene Kleid gelegt. Es wimmerte leise, leise. Nur etwas verstand Susi, was das Kind immer wieder vor sich her stammelte:

      »Die Hand wird ihm aus dem Grab wachsen!«

      »Sage, Vögelchen, du unglückliches, wem wird die Hand aus dem Grab wachsen. Wer sagt es?«

      Da warf die Kleine das Köpfchen mit dem ganzen Jähzorn zurück, den sie vom Presi geerbt hat: »Susi, das ist schlecht

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