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die allgemeinen Jüngerschafts-Unterweisungen treffen auch Jünger-typische Figuren (z.B. die kanaanäische Frau, der Hauptmann von Kapernaum, usw. Hierzu zählt Brown auch Joseph von Arimathäa, s.o.) keine direkten Aussagen über die konkrete Figurengruppe „Jünger“. Allein die Zwölf seien die Jünger, und selbst wer sich Jünger-ähnlich verhalte, gehöre dennoch nicht zur Jüngergruppe.20 Weil die Zwölf bzw. „die Jünger“ wie ein „single character“ auftreten, können i.E. Einzelfiguren – z.B. durch ihr Verhalten – die gesamte Gruppe repräsentieren. Das zeige sich z.B. bei den drei Jüngern in der Verklärungs- oder Gethsemane-Szene (17,1ff; 26,36ff), aber auch sonst bei Petrus, dessen Verhalten Mt parallel zu den Zwölf zeichne, so dass er stets die gesamte Zwölfergruppe repräsentiere.21

      Uta Poplutz stellt in Erzählte Welt: Narratologische Studien zum Matthäusevangelium22 zwei Merkmale eines Jesusjüngers fest: Berufung und Nachfolge. Und sie deutet namentlich genannte Einzelfiguren (z.B. Petrus), die aus der Gruppe hervortreten, als Repräsentanten und Typen eines „Jüngers“ (ausführlicher dazu im Anhang [online], Exkurs 3). Innerhalb einer exegetischen Skizze bestimmt Poplutz im Zusammenhang mit Mt 10 das Verhältnis der Jünger zu den Zwölf. Im expliziten Anschluss an Luz und Bultmann argumentiert sie, dass Mt die Identifizierung beider von Mk übernommen hatte und dass an keiner Stelle des MtEv eine Person außerhalb des Zwölferkreises „Jünger“ genannt werde. Deswegen kann sie schlussfolgern:

      „Aus diesem Grund lässt sich die Figurengruppe der μαθηταί im Matthäusevangelium mit dem Zwölferkreis gleichsetzen. Zwar gibt es selbstverständlich andere Figuren – unter ihnen auch viele Frauen – die man als Jünger resp. Jüngerinnen Jesu identifizieren kann, aber der Zwölferkreis ist im Matthäusevangelium als Figurengruppe über weite Strecken mit οἱ μαθηταί αὐτοῦ identisch.“23

      Bemerkenswert ist, dass Poplutz das Verhältnis zwischen dem Titel „Jünger“ und den Qualitäten eines Jünger-Seins diskutiert. So zählt sie viele jüngertypische Figuren auf, wie die erwähnten Frauen, die aber allesamt Randfiguren sind, und nicht mit der Figurengruppe „Jünger“ zu verwechseln sind, auch wenn sie manchmal ein vorbildlicheres Jünger-Verhalten an den Tag legen als die namentlich bezeichneten „Jünger“.

      1.3.2 Kritische Anfragen an die narrativkritischen Deutungen der zwölf Jünger

      Ebenso wie in den formkritischen und redaktionskritischen Mt-Studien steht auch in den narrativkritischen Studien der Zwölferkreis im Zusammenhang mit dem Jüngerkreis. Und auch hier haben einige Mt-Forscher die Jünger mit den Zwölf identifiziert. Die Gründe für eine solche Identifizierung lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Erstens die Rezeption redaktionskritischer Ergebnisse. Und zweitens einzelne Argumente auf der Grundlage des Endtextes. Im Folgenden sollen die Schwächen dieser zwei Gruppen aufgezeigt werden.1 Aufgrund fehlender Relevanz für unsere Fragestellung soll an dieser Stelle auf eine kritische Bewertung etlicher Grundannahmen der narrativkritischen Methodik verzichtet werden.2

      Die Rezeption redaktionskritischer Ergebnisse. Es fällt auf, dass die wenigen narrativkritischen Studien, die den Zwölferkreis überhaupt thematisieren, die redaktionskritische (!) Verhältnisbestimmung von „Zwölf (Jünger)“ und „Jünger“ aufgreifen und beide als „identisch“ oder „synonym“ beschreiben. Obwohl das m.W. an keiner Stelle eindeutig ist, erwecken Kingsburys Ausführungen in seiner narrativkritischen Studie Matthew as Story den Eindruck, dass er die Zwölf und die Jünger als austauschbare Größen versteht. Diese These hatte er in seiner früheren Studie zu Mt 13 begründet, in der er noch einen redaktionskritischen Ansatz verfolgt hatte. Bevor Jeannine Brown ihre These, dass „die Jünger“ und die Zwölf identisch seien, mit Argumenten anhand des Endtextes begründet, verweist sie auf Luz und Wilkins, mit denen sie ihre These teilt. Doch sowohl Luz als auch Wilkins sind v.a. aufgrund redaktionskritischer Beobachtungen zu diesem Ergebnis gelangt. Ebenso bezieht sich Uta Poplutz bei ihrer Verhältnisbestimmung, nämlich, dass beide von Mt „gleichgesetzt“ bzw. „identisch gemacht“ wurden, explizit und zustimmend auf Bultmann und Luz. Das erste von ihren vier Argumenten für diese Verhältnisbestimmung ist redaktionskritisch: Mt habe die Identifizierung von Mk mehr oder weniger selbstverständlich übernommen. Angesichts dieses Befundes stellt sich m.E. die kritische Frage, ob es konsequent ist, einerseits gezielt narrativkritisch zu arbeiten und andererseits redaktionskritisch erarbeitete Thesen aufzugreifen. Wäre es nicht konsequenter, entweder ausschließlich den Endtext auszulegen oder aber bei allen Exegesen redaktionskritische Ergebnisse einzubeziehen, was dann aber eine kompositionskritische Methodik wäre?

      Endtextbasierte Argumente. Jeannine Brown führt als Argumente für die These, dass mit „die Jünger“ die „Zwölf“ gemeint seien, erstens die Formulierung „zwölf Jünger“ an und zweitens die Beobachtung, dass mit „die Jünger“ durchgehend die Zwölf gemeint seien, so z.B. in Mt 19,28. Das aber sind keine logisch zwingenden Argumente. Denn die Formulierung „zwölf Jünger“ besagt zwar, dass die in 10,2-4 aufgelisteten zwölf Personen „Jünger“ genannt werden, aber sie besagt nicht, dass auch außerhalb dieses Kontextes mit „die Jünger“ notwendigerweise immer die Zwölf gemeint sind. Das gleiche gilt für Browns zweites Argument. Es mag stimmen, dass im Kontext von 19,28 nur die Zwölf mit dem Ausdruck „die Jünger“ gemeint sind, aber damit ist nicht belegt, dass das an sämtlichen Stellen des MtEv der Fall ist. Brown führt zwei weitere grammatische Argumente an. Erstens: „Jünger“ ohne Artikel bezeichne einen Jünger im allgemeinen Sinne (sogenannte „ideal disciples“; so z.B. 10,24f42; 13,52) und „Jünger“ mit Artikel bezeichne aufgrund seiner starken Referentialität die Zwölf (sogenannte „actual disciples“). Diese Unterscheidung ist m.E. zwar sachgemäß und förderlich, aber die jeweilige referentielle Stärke (d.h. ob auf einen unbestimmten oder einen bestimmten Jünger Bezug genommen wird) wird nicht nur vom vorhandenen oder fehlenden Artikel, sondern auch und besonders vom Kontext angezeigt. Das zweite grammatische Argument lautet: der Evangelist habe bei Joseph von Arimathäa (27,57) das Verb μαθητεύω eingesetzt, weil das Substantiv μαθητής für die Zwölf reserviert sei. Gegen dieses Argument wurde bereits eingewandt, dass Substantiv und Verb zu demselben semantischen Feld gehören und deswegen beide nicht getrennt werden dürfen. Ein weiteres Argument lautet: Personen, die sich Jünger-ähnlich bzw. wie ein „ideal disciple“ verhalten (z.B. die kanaanäische Frau, der Hauptmann von Kapernaum usw.), gehören dennoch nicht zum Jüngerkreis, weil ausschließlich die Zwölf zum Jüngerkreis Jesu gehören. Browns Argument, dass ein bestimmtes Verhalten nicht unbedingt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe anzeigen muss, ist richtig. Und dennoch: Browns Argument entkräftet die gegenteilige These, ist aber kein Beweis für ihre eigene These, dass nur die Zwölf die „Jünger“ Jesu sind. D.h.: es ist durchaus möglich, wenngleich nicht notwendig, dass Personen, die sich Jünger-ähnlich verhalten, zum Jüngerkreis gehören und vom Evangelisten als „Jünger“ bezeichnet werden, – der Text lässt beide Möglichkeiten zu. Ähnliches lässt sich zu Poplutz sagen: sie führt abgesehen vom redaktionskritischen Argument drei Argumente für die These ins Feld, dass die Jünger und die Zwölf identisch seien. Erstens: Niemand außerhalb des Zwölferkreises werde „Jünger“ genannt. An dieser Stelle wäre eine Diskussion zum Verb μαθητεύω wünschenswert gewesen. Zweitens: Zwar gebe es im MtEv eine ganze Reihe von „jüngertypischen Figuren“, die teilweise ein vorbildlicheres Jünger-Sein verkörpern als die Zwölf. Aber dazu meint sie: „All diese ,kleinen Leute‘ tangieren unsere Antwort auf die Frage nach der Benennung der Jüngergruppe als Figuren im Matthäusevangelium nicht, sondern festigen die Beurteilung, dass die μαθηταί mit den δώδεκα zu identifizieren sind.“3 M.E. ist das einerseits insofern korrekt, als dass möglicherweise tatsächlich niemand aus der Reihe der jüngertypischen Personen „μαθητής“ genannt wird (wobei „ein anderer Jünger“ in 8,21 wahrscheinlich eine Ausnahme bildet; dazu s.u. I,2.2.2). Andererseits hätte erwogen werden müssen, dass nicht jeder, der ein wichtiges jüngertypisches Merkmal erfüllt, damit auch alle notwendigen Merkmale erfüllt, die ihn zu einem „Jünger“ machen. Desweiteren hätte Poplutz für die Bestimmung der Figurengruppe der Jünger das Verhältnis zwischen einem gruppentypischen Verhalten und dem nomen appellativum „Jünger“

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