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umstrittene Personalpronomen αὐτοῦ ursprünglich ist, dann wäre hier eindeutig auf einen Jünger Jesu verwiesen. Doch selbst wenn man annimmt, dass αὐτοῦ nicht ursprünglich sein sollte, dann würden diese Jünger höchst unwahrscheinlich einer anderen „Schule“ (z.B. der Pharisäer?) zugehören. Denn der Kontext spricht relativ deutlich für einen Jesusjünger.6 Unabhängig davon, wie man αὐτοῦ textkritisch bewertet:7 der Text legt die Deutung nahe, dass dieser „andere Jünger“ bereits vor seiner Bitte, vorher (d.h. laut ἀκολούθει μοι in V.22: bevor er Jesus nachfolgt) seinen Vater zu begraben, ein „Jünger“ war.8 Stimmt aber diese Deutung, dann hat Jesus ihn in V.22 zu einer anderen „Qualität“ von Jünger-Sein aufgefordert. Der wahrscheinlichste Unterschied zwischen den beiden Jüngerschaftsarten bestünde darin, dass die einen „sesshafte“ und die anderen „nicht-sesshafte“ Jünger sind.9 Doch unabhängig davon, ob diese Deutung und die Schlussfolgerung stimmen oder nicht: es bleibt offen, ob der „andere der Jünger“ Jesu Ruf gehorsam gefolgt war oder nicht, und wenn ja, ob er einer der Zwölf war. Doch im Zusammenhang von 8,21 lässt sich außerdem darüber streiten, ob die Formulierung ἕτερος δὲ τῶν μαθητῶν zum Ausdruck bringt, dass der vorher auftretende γραμματεύς (8,19) ebenfalls ein „Jünger“ ist. BA übersetzt ἕτερος mit „d. andere“ und gibt dazu zwei Bedeutungen an: 1. „Zahl“, wozu 1.a „v. zweien, e. bestimmte Person od. Sache e. andern entgegenstellend“ und 1.b „v. mehreren“ gehören. Bei 1.a findet sich unter α.
„(irgend)ein anderer“ unsere Stelle Mt 8,21.10 Ebenso bei LN: ἕτερος in Mt 8,21 findet sich unter 58.37: „pertaining to that which is other than some other item implied or identified in a context“. Es wird dort mit „another of the disciples“ übersetzt. Die zweite Bedeutung von ἕτερος ist laut BA: „
ein anderer, andersartiger v. vorhergehenden äußerlich od. innerlich verschiedener“.11 Dem entspricht bei LN ἕτερος unter 58.36: „pertaining to that which is different in kind or class from all other entities.“ Würde man in Bezug auf das Vorkommen in 8,21 von der zweitgenannten Bedeutung bei BA und LN ausgehen, also entgegen ihrer Zuordnungen, dann wäre die Person „andersartig“ oder „verschieden“. Hierbei wäre zu überlegen, was die Vergleichsgröße der „Andersartigkeit“ bzw. „Verschiedenheit“ sein könnte: unterscheidet sich diese Person vielleicht von den anderen, den „üblichen“ Jüngern? Dafür könnte die unmittelbar folgende Genitivkonstruktion τῶν μαθητῶν sprechen. Die Andersartigkeit würde also in der „Qualität“ bzw. in der Art und Weise der Jüngerschaft bestehen. Dafür könnte man nicht nur die Parallele zu 8,19f, sondern auch 8,21f anführen: er möchte zuerst seinen Vater beerdigen und erst danach Jesus nachfolgen. Jesus dagegen beabsichtigt mit seiner Antwort in V.22 die Prioritäten dieses Mannes in seinem bisherigen Jünger-Sein zu verändern. Zwar ist es bei dieser zweitgenannten lexikalischen Bedeutung „andersartig“ zwar nicht wahrscheinlich, aber dennoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass der γραμματεύς in V.19 einer der „üblichen“ „Jünger“ war, möglicherweise sogar als Beispiel eines typischen Jüngers funktionieren soll. Dann aber wäre durch einen Vergleich von V.19f und V.21f neu festzustellen, worin genau die Andersartigkeit besteht: ist z.B. einer der beiden ein „besserer“ Jünger als der andere?12 Aber: sowohl BA als auch LN ordnen ἕτερος in 8,21 der anderen lexikalischen Bedeutung zu. BA der ersten Bedeutung „Zahl“, konkret unter 1b. „v. mehreren“. Für ἕτερος als Zahl spricht m.E. insbesondere, dass in 8,19 mit εἷς ebenfalls eine Zahl vorkommt, die bezeichnenderweise unmittelbar vor γραμματεύς steht:
ein Schriftgelehrter kommt zu Jesus. Diese Kombination von εἷς und ἕτερος hat die Funktion zwei Elemente zusammen- bzw. einander gegenüber zu stellen:13 der eine Schriftgelehrte und der andere von den Jüngern (vgl. zu dieser Kombination 6,24; hier austauschbar auf Gott oder Mammon bezogen). Zieht man außerdem Lk 18,10 und Apg 23,6 als Parallelen hinzu, könnte man schlussfolgern, dass in 8,19.21 auf der einen Seite der Schriftgelehrte steht und auf der anderen Seite einer der Jünger. ἕτερος könnte man dann theoretisch durch ein zweites εἷς ersetzen (so z.B. in 20,21; das entspräche der Konstruktion ὁ μέν – ὁ δέ). Demnach würde der Schriftgelehrte nicht ebenfalls zu den Jüngern gehören. Diese Deutung ist zwar möglich, aber weniger wahrscheinlich. Denn wenn man wie BA – m.E. zu Recht – ἕτερος in 8,21 als Zahl deutet, nämlich als Bezeichnung des zweiten Elements, was sich z.B. durch „der Zweite“ übersetzen ließe, dann besteht die Möglichkeit, dass die Genitivkonstruktion τῶν μαθητῶν nicht nur auf das zweite Element („der Zweite der Jünger“), sondern auch auf das erste Element bezogen ist („der Erste der Jünger“). Diese Lesart, dass auch der Schriftgelehrte einer der Jünger war, wirkt „natürlicher“.14 Allerdings werden neben grammatischen auch einige inhaltliche Argumente gegen die Deutung, dass auch der Schriftgelehrte ein Jünger sei, angeführt. Erstens: im MtEv sei die Haltung der Schriftgelehrten Jesus gegegenüber meistens negativ. Das trifft zwar zu, aber obwohl der Wunsch des Schriftgelehrten, Jesus überallhin nachzufolgen, den Leser überraschen und zunächst stutzig machen mag, gibt es im näheren Kontext keine stichhaltigen Indizien dafür, auch nicht in Jesu Antwort V.20, dem Schriftgelehrten „falsche“ Motive zu unterstellen. Eine negative Bewertung der Figurengruppe „Schriftgelehrte“ darf nicht dazu führen von vornherein auszuschließen, dass Einzelpersonen von der Mehrheit abweichen können.15 Zweitens können die inhaltlichen Unterschiede zwischen V.19f und V.21f gegen das Jünger-Sein des Schriftgelehrten angeführt werden: zunächst die Anrede διδάσκαλε (so der Schriftgelehrte in V.19) statt κύριε (so der andere Jünger in V.21),16 und dann Jesu Aufforderung ἀκολούθει μοι an den „anderen der Jünger“ in V.22, die hingegen beim Schriftgelehrten fehlt.17 Aber das Fehlen von Jesu Aufforderung ist wenig aussagekräftig. Denn selbst wenn Jesus den Schriftgelehrten nach dem Hinweis auf die Heimatlosigkeit berufen hätte, wüsste man dennoch nicht, ob der Schriftgelehrte die Berufung angenommen hätte.18 Stärker ist das Argument, dass die Anrede Jesu mit διδάσκαλε meistens von „verdächtigen“ Personen ausgeht, nämlich von: Pharisäern (9,11; 12,38; 22,3619), Schriftgelehrten (12,38), Eintreibern der Doppeldrachme (17,24), dem reichen Jüngling (19,16), Herodianern (22,16) und Sadduzäern (22,24).20 Häufig leitet diese Anrede Jesu (kritische) Fragen zu Lehrthemen ein.21 Doch dieses Gegenargument kann relativiert werden. Erstens: Jesus selbst betrachtet sich als διδάσκαλος: in 10,24f redet er zwar allgemein von einem Lehrer – Schüler-Verhältnis, aber im Zusammenhang der Aussendungsrede ist das auf ihn und die zwölf Jünger bezogen; in 23,8 stellt er sich als exklusiver Lehrer seiner Jünger dar, und in 26,18 sollen die Jünger ihn so bei demjenigen vorstellen, der ihnen den Raum für das Passahmahl zur Verfügung stellt. Zweitens: Dass Jesus ein „Lehrer“ ist, geht nicht nur aus diesen Stellen hervor: der Evangelist bezeichnet Jesu Tätigkeit als „lehren“, das Volk erkennt es als solches an und die Pharisäer und Herodianer sind sich dessen ebenso bewusst.22 Demnach ist es nicht ungewöhnlich, dass gerade ein „Schriftgelehrter“ Jesus als διδάσκαλε anredet. Einerseits sieht der Schriftgelehrte in Jesus einen „Fachkollegen“. Andererseits ist Jesus für ihn mehr als das, da er Jesus überall hin nachfolgen, also gewissermaßen in Jesu „Schule“ gehen, möchte. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass an 13,51f deutlich wird, wie Jesus „Schriftgelehrsamkeit“ in seinem Jüngerkreis nicht nur toleriert, sondern positiv würdigt (vgl. auch 23,34).23 Und zu κύριος ist zu sagen: Die Bezeichnung κύριος beschreibt im MtEv, dass eine Person „Herr-schaft“ über eine andere Person oder eine bestimmte Sache hat, wobei die Anrede κύριε den eigenen Gehorsam dem Herrn gegenüber normalerweise impliziert.24 Nichtsdestoweniger zeugt diese Anrede eben nicht immer nur von einer richtigen Einsicht und lobenswerten Einstellung zum „Herrn“.25 Man kann als
Fazit zu 8,19.21 festhalten: erstens spricht der sprachliche Befund etwas stärker dafür, dass auch der Schriftgelehrte ein Jesusjünger war. Zweitens gibt es keine zwingenden inhaltlichen Gegenargumente. Doch selbst wenn dieses Fazit zum Schriftgelehrten stimmt und er tatsächlich ein „Jünger“ war, so lässt der Text dennoch zwei Fragen unbeantwortet: war der Schriftgelehrte schließlich Jesus in eine heimatlose Jünger-Existenz gefolgt oder nicht? Und wenn ja: gehörte der Schriftgelehrte vielleicht zum Zwölferkreis?
Drittens
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