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sein, denn verstehen heißt schänden, heißt beleidigen. […] Gewiss, ich bringe Ihnen den Skandal, ich bin der Skandal. Ich habe Sie aus der luftleeren Sakristei herausgeholt, in der Sie sich wie eine Ratte in ihrem Käse eingeschlossen hatten. (Unerhört! Welche Frechheit, arme Mutter!) Heute sind Sie noch einigermaßen salonfähig. Doch in ein, zwei Jahren werden Sie nichts mehr sein als ein Herr Professor (auf Deutsch). Werden Sie was! Setzen Sie die Kühnheit Ihres Vokabulars in die Tat um! DIE ENTSCHEIDUNG! (153) [Bei Marcel ist noch keine Spur der späteren Versuche, Heideggers Vokabular mit der LTI oder Carl Schmitts Dezisionismus zu assoziieren.]

      Diese Passage ist aufschlussreicher für Marcels Haltung als die Parodie der Sprache Heideggers vom Typ „Die Birne birnt…“, obwohl Marcel ausgehend von der Tautologie „Das Ding dinget“ den „gesunden Hausverstand“ sprachlicher Natur gegen die Hybris des Philosophen und seiner Nachahmer verteidigt. Besonders amüsant ist dabei, dass der Enthusiasmus für die sprachlichen Neuerungen auf Widerstand trifft. Florestans Frau versucht ein „La pêche pèche…“: „Der Pfirsich pfirsicht“, was aber auch bedeuten kann „Der Pfirsich sündigt“. Dolch reagiert auf diese „Impertinenz“ so:

      Ich gebe darüber hinaus zu bedenken, dass der Pfirsich wie vielleicht auch die Marille eine exotische, unserem Boden und unserer Sprache fremde Frucht ist und darum in einem viel geringeren Grad als die Birne, der Apfel, vielleicht auch die Pflaume … diese Wesenhaftigkeit, diese Dingheit besitzt, an der mir als Ontologisten besonders gelegen ist. Das sind Import- oder Lehnfrüchte. Die Sprache ruft es in Erinnerung oder kündigt es an. Denken wir daran, dass wir immer von der Sprache zur Sache gehen müssen. Denn die Sprache ist wie ein Tabernakel, in dem die Wesenheiten aufbewahrt sind. (80)

      Man begreift, dass Heidegger die Komödie „unerquicklich“ gefunden hat, während die „Mistkäfer“, zu denen ich mich zählen muss, gelacht haben. Es bleibt noch zu bedenken, dass Gabriel Marcel 1958 das seit 1987 zentrale Thema des Kampfs um Heidegger in Frankreich gänzlich ausklammert, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Heideggers Denken zum Nationalsozialismus. Ihm geht es nur um die Verteidigung der Vernunft und eines katholischen Realismus. Die Schlussszene ist dafür exemplarisch: Die kultische Dimension Florestans, die von der Florestan Forschungsgesellschaft gepflegt wurde, wird durch ein Paar Patschen entmystifiziert, die Frau Melitta, seine Witwe, für Florestan gestickt hat und mit denen sie jetzt ihre kalten Füße wärmen will. Die Patschen und die Dimension Florestan sind für den Philologen inkompatibel. Der Pater erklärt jedoch: „Sogar in dieser Gesellschaft hat sich wahre Zärtlichkeit inkarniert, nämlich in den Patschen. Dagegen finde ich in der anderen Dimension nichts als Eitelkeit und Wahn. […] Der gesunde Menschenverstand und die Liebe lassen sich nicht ungestraft trennen.“ Frau Melitta behauptet: „Florestan hat nie etwas anderes gesagt.“ Der Pater hat das skeptische letzte Wort: „Vielleicht, vielleicht, gnädige Frau, aber ich werde heute Abend für die unsterbliche Seele Gustav Affenreiters beten.“ (158)

      In der Wacht am Sein hat der katholische Priester das letzte Wort. Gabriel Marcel war 1929 zum Katholizismus konvertiert und wurde zu einem herausragenden Vertreter des „katholischen Existenzialismus“, der sich in seinen Essays unentwegt mit führenden Vertretern der französischen Philosophie auseinandersetzte, allen voran Sartre und Camus. In der Wacht am Sein versucht am Beginn der junge Franzose Denis bis zum Professor vorzudringen, wird aber abgewimmelt. (Heidegger ist auf einem Waldspaziergang). Er provoziert die Sekretärin und den katholischen Priester, der hinter dem „Seyn“ ein Pseudonym Gottes sieht, folgendermaßen: „Sie werden mich nicht daran hindern, dass sich die Avantgarde der jungen französischen Philosophie um den Professor Dolch als den bekanntesten Vorkämpfer des zeitgenössischen Atheismus schart.“ (11) Eine kaum verdeckte Anspielung auf

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