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Vermittlungsprozessen eingebunden wahrzunehmen und abzubilden. Zum anderen schätzte und praktizierte Ficker zeitlebens den Wert der Kommunikation, des Miteinander-ins-Gespräch-Tretens, sei es nun brieflich oder von Angesicht zu Angesicht. Diese Praxis wurde von ihm – eine entsprechende Gesprächsbasis vorausgesetzt – in bester sokratischer Tradition gepflegt. Auch diesem Prinzip wurde bei der Gestaltung des Tagungsprogramms Rechnung getragen: Die Vielzahl von Stimmen und Diskursen, die im Rahmen der Fachvorträge, der künstlerischen Darbietungen, auf der Fahrt zu Fickers ehemaliger Wohnstätte in Mühlau und zu seinem Grab auf dem Mühlauer Friedhof, auf dem er Seite an Seite mit Georg Trakl begraben liegt, aber auch abseits in den Rand- und Pausengesprächen zu hören waren, trugen zu einer positiv-produktiven Polyphonie bei.

      Nach der Überwindung der nationalsozialistischen Diktatur nahm Ludwig von Ficker seine Vermittlertätigkeit, die er zwölf Jahre nach außen hin unterbrochen hatte, außenwirksam mit der Veröffentlichung der XVI. Brenner-Nummer im August 1946 wieder auf. Er stellt ein paradigmatisches Beispiel für jene Generation von Kulturvermittlern bzw. im Kulturbetrieb Tätigen dar, deren Aktivitäten und Bestrebungen, deren beständige Arbeit an (brieflichen) Netzwerken und transnationalen bzw. transkulturellen Verbindungen in der Nachkriegszeit von deutlicher Wirkkraft waren. In diesem Sinne erschien es für eine Tagung, deren Ziel darin bestand, die Verdienste des Brenner-Herausgebers im größeren Kontext der kulturellen, politischen und sozialen Entwicklungen der Nachkriegszeit abzubilden, nur recht und billig, die Vielfalt der Aktivitäten weiterer kultureller Persönlichkeiten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die kulturelle Bühne (wieder) betraten, genauer unter die Lupe zu nehmen und Netzwerke aufzuspüren, die erst in einer verdichteten Synopse sichtbar werden.

      Der Fokus der Tagung bestand darin, zum einen die häufig nur undeutlich zutage tretende Bandbreite verschiedener durch Vermittlerpersönlichkeiten angestoßener Transferprozesse, die Vielfalt ihrer Aktivitäten sowie die Komplexität ihrer kommunikativen Netzwerke abzubilden. Dabei wurde versucht, Abstand von rein biographischen Deutungsmustern zu nehmen und die Vermittlerfiguren und -persönlichkeiten weniger als autonome Subjekte wahrzunehmen, als vielmehr ihre Tätigkeiten als Manifestationen von im Verborgenen wirkenden gesellschaftlichen Machteffekten im Sinne der diskursanalytischen Positionen Michel Foucaults zu verstehen.

      Literarische Vermittlungen und damit verbundene kulturelle Transferprozesse geschahen und geschehen entlang sozialer, politischer und auch wirtschaftlicher Bruchlinien und Verwerfungen; dies gilt in besonderem Maße für die Phase der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Menschheitsverbrechen des Holocaust und des Vernichtungskrieges waren zwar spätestens im Herbst 1945 mit dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gesellschaftlich präsent, sie wurden jedoch in der Literatur kaum thematisiert. Dennoch bildeten sie, je nach politischem Gepräge in mehr oder minder großer Intensität, ein aufgeladenes diskursives Substrat, das in Österreich andere Folgen nach sich zog als in der Bundesrepublik Deutschland. Dort erreichte die Debatte über die künstlerische Darstellbarkeit des Undarstellbaren eine andere Qualität, als sie in Verbindung mit der kapitalistischen Vereinnahmung jeglicher Kunst im berühmt gewordenen Diktum Theodor W. Adornos gipfelte.

      Der kulturelle Austausch zwischen Vermittlerpersönlichkeiten (der in der Regel bi-direktional und trotz der alliierten Besatzung in den meisten Fällen auch transnational funktionierte) und die daraus resultierenden Wirklichkeitskonstruktionen konnten dabei vielfältige Züge annehmen. Zum einen fanden in den meisten Fällen nationale Transfers statt, die im Nachkriegsdeutschland wie auch in Österreich innerhalb der besetzten Gebiete abliefen. Dabei ist zu beobachten, dass die Grenzen der Besatzungszonen physisch wie ideologisch nicht immer leicht zu überwinden waren. Zu den Schwierigkeiten trugen unter anderem ein sich erst langsam wieder konsolidierendes Postwesen, eine mit unterschiedlicher Intensität durchgeführte Postzensur, sowie Papier- und Rohstoffmangel bei. Vielfach waren Weggefährten der Vermittler*innen verstorben, ins Exil vertrieben oder in den Konzentrationslagern ermordet worden. Auf der anderen Seite finden sich aber auch sehr früh schon Bemühungen der kulturvermittelnden Akteur*innen, Austauschprozesse zu initiieren, zu fördern und auszubauen, die auch vor Nationengrenzen nicht Halt machten.

      Am 13. April 1965 konnte man anlässlich des 85. Geburtstags Ludwig von Fickers in einer im Forum veröffentlichten Würdigung Friedrich Hansen-Löves unter dem bedeutungsschweren Titel Auctor Austriae folgende Zeilen abgedruckt finden:

      Wenn die Rede auf den Herausgeber des Brenner als Lenker, als Fädenzieher im geistesgeschichtlichen Geschehen, als zugleich geschichtsmächtige wie auch Geschichte machende Figur fällt, hat dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumeist Irritationen zur Folge. In Kenntnis der Lebensgeschichte Fickers – wobei diese fünf Jahrzehnte nach seinem Tod nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden darf – und in einen größeren zeitlichen Zusammenhang gestellt, offenbart sich angesichts dieses Gedankens eine Paradoxie: Ficker hatte als ‚Auctor Austriae‘ zwar im expressionistischen Jahrzehnt mit der „einzigen ehrlichen Revue Österreichs“, wie der Fackel-Herausgeber Karl Kraus 1913 den Brenner bezeichnet hatte, auf dem kulturellen Feld reüssiert. Nach dem Ersten Weltkrieg, als er mit der Zeitschrift einen inhaltlichthematischen Neubeginn unter nun explizit christlich-philosophischen Vorzeichen wagte, war er aber nur mehr einem eingeschränkten Kreis von Rezipient*innen bekannt, vor allem deshalb, weil er sich bewusst mit dem stärker auf Ferdinand Ebners Individualphilosophie ausgerichteten Konzept des Brenner bis zu einem gewissen Grad mit voller Absicht aus dem literarischen Geschehen der Zwischenkriegszeit ausklammerte.

      Zudem konterkariert der Blick in gängige Literaturgeschichten die Annahme, dass Fickers kulturpolitisches Wirken von epochemachender Bedeutung gewesen wäre. Ficker wurde und wird darin bis heute – sofern er überhaupt namentlich Erwähnung findet – als institutionelle Persönlichkeit zumeist im Zusammenhang mit der Person Georg Trakls und dessen künstlerischem Schaffen genannt. Die Verdienste, die sich Ficker als Mäzen und väterlicher Freund Trakls erworben hat, sind zwar unbestritten, und auch sein Bestreben, die Lyrik Trakls nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in den Kanon einzuführen, hat Wirkung gezeitigt. Eine rein auf diesen Aspekt verengte

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