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Der Mann aus Rio. Axel Rudolph
Читать онлайн.Название Der Mann aus Rio
Год выпуска 0
isbn 9788711445068
Автор произведения Axel Rudolph
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
„Gern. Und ich hoffe, daß ich die Bitte hinzufügen darf, Sie wiederzusehen. Wohin darf ich schreiben?“
Irgendeine fingierte Adresse angeben? Im letzten Augenblick erinnert sich Ellen glücklicherweise noch ihres Auftrages. Dr. Holk wird wütend werden, wenn er hört, daß sie die glücklich eingeleitete Bekanntschaft kurzerhand wieder abgebrochen hat. Und etwa gar noch einmal Herrn Bruhn aufsuchen, selber zu ihm kommen — nein, das wäre entsetzlich!
„Schreiben Sie mir hauptpostlagernd,“ sagt sie zitternd. „Ich heiße Ellen Vinge. Leben Sie wohl, Herr Bruhn!“
„Auf Wiedersehen, Fräulein Vinge!“ Peter Bruhn lächelt glücklich und unbeschwert hinter dem Mädchen her, das wie gehetzt aus dem Hotel auf die Straße hinauseilt. „Hauptpostlagernd!“ Wie ein kleines Mädchen! Oder hat sie vielleicht nur darum ihre Anschrift verschwiegen, weil sie nicht mehr mit ihm zusammenkommen will? Das wäre dumm! Peter Bruhns Selbstbewußtsein ist nicht allzu groß, aber er grübelt im Augenblick doch vergebens daüber nach, warum ein junges Mädchen ihn wohl so energisch ablehnen sollte, daß sie ihn nicht wiedersehen mag. Und doch scheint es der Fall zu sein. Je länger er darüber nachdenkt, um so klarer erscheint es ihm, daß die Kleine gar nicht daran denkt, einen postlagernden Brief von ihm abzuholen, und diese Vermutung wirft einen dunklen Schatten auf seine Freude. Kurz entschlossen, ist er schon im Begriff, Ellen Vinge nachzugehen und sie noch ein Stück zu begleiten, als er zum Glück eben noch sieht, wie vor dem Hotel eine ältere Dame an das Mädchen herantritt und eifrig auf die Erstaunte einredet.
Frau von Gejerstramm! Peter Bruhn bleibt hinter der Glastür stehen und beobachtet aufmerksam die kleine Szene da draußen, ohne selbst gesehen werden zu können.
*
Sie ist nicht lang, diese Szene. Frau von Gejerstramm hat verärgert beobachtet, daß Herr Peter Bruhn mit dem jungen Mädchen zum Tanztee gegangen ist. Sogar getanzt haben die beiden. Fest entschlossen, das Geschäft sich nicht aus den Händen winden zu lassen, ist Frau von Gejerstramm vor dem Hotel auf und ab gegangen. Das Glück scheint ihr hold zu sein, denn Ellen Vinge kommt richtig aus dem Hotel ohne Begleitung. Sie fährt erschrocken zusammen, als die würdige Dame plötzlich neben ihr steht.
„Verzeihen Sie, liebes Fräulein. Wenn ich nicht irre, sah ich Sie vorhin zusammen mit meinem Bekannten, Herrn Bruhn.“
„Ja, das stimmt ... aber ich ...“
„Sie brauchen mir nichts zu sagen, Kind.“ Frau von Gejerstramm schiebt ohne weiteres ihre Hand unter den Arm des Mädchens. „Ich bin im Bilde. Wenn Sie sich mir anvertrauen, sind Sie in drei Monaten Frau Bruhn. Unter Garantie!“
„Danke. — Das — mach’ ich lieber alleine.“ Ellen hat unwillig ihren Arm gelöst, aber Frau von Gejerstramm denkt nicht daran, ihr Opfer so leichten Kaufs entkommen zu lassen. Man sieht es ihrem entschlossenen Gesicht förmlich an: Sie wird Ellen Vinge nicht von der Seite weichen, bis sie Namen und Anschrift der erfolgversprechenden „Klientin“ herausbekommen hat. In ihrer Verlegenheit steigt Ellen, dem Schofför schnell ein beliebiges, ihr gerade einfallendes Ziel angebend, in eine Autotaxe.
Peter Bruhn flucht auf seinem Beobachtungsposten leise in sich hinein. Verdammt auch! Jetzt hat diese Frau es ihm glücklich unmöglich gemacht, Ellen Vinge zu erreichen. Jetzt steht er da mit seinem „Postlagernd“ und starrt ziellos und unschlüssig in die Reihen der vorübersausenden Autos. Der Wagen mit Ellen Vinge ist längst jenseits des Kongens Nytorv in die Bredgade eingebogen und verschwunden.
„Feuer gefällig, Herr?“ Peter Bruhn wendet sich und bemerkt erst jetzt wieder, daß er eine unangezündete Zigarette immer noch in den Fingern hält. Der Mann, der ihm hinter der gehöhlten Hand einen Streichholz reicht, sieht nicht besonders vertrauenerweckend aus. Sixpence, unsauberer Kragen, fleckiger, zerknautschter Anzug — ein Bummler, der ganz danach aussieht, als habe er die Nacht da drüben auf den Bänken um das Reiterstandbild zugebracht. Peter Bruhn erinnert sich flüchtig, den Mann schon ein paarmal gesehen zu haben. Ein Eckensteher, der sich vor dem Hotel d’Angleterre ein paar Groschen zusammenschnorrt, indem er — erwünscht oder unerwünscht — die Türen der vorfahrenden Autos diensteifrig aufreißt. Eine plötzliche Ideenverbindung läßt in Peter Bruhn eine Hoffnung aufkeimen. „Sagen Sie mal, haben Sie vielleicht zufällig gehört, welches Ziel die junge Dame dem Schofför angab, die eben hier fortfuhr?“
„Die Kleine, die erst noch mit der weißhaarigen Dame sprach?“ lächelte der Mann augenzwinkernd. „Nee, gehört hab’ ich nichts. Die Alte schrie zu laut. Aber erfahren kann ich’s leicht, wenn’s Ihnen etwas wert ist, Herr.“
„Wie wollen Sie das erfahren?“
„Der Schofför,“ grinst der Eckensteher gemütlich. „Der dicke Hansen. Den kenn’ ich so genau wie meine Mutter. Ich kenn’ überhaupt alle Schofföre. Und mit dem dicken Hansen hab’ ich mal auf der Nörrebo-Wache gesessen. Der hat seinen Standort oben am Triangel, Österbro. Brauch’ nur da ein bißchen herumzulungern und ihn abzupassen.“
Die Hoffnung in Peter Bruhns Augen verstärkt sich. „Das wäre famos. Ich möchte sehr gern wissen, wohin die Dame gefahren ist, ich meine: ihre Adresse möcht’ ich gerne haben.“
„Gemacht, Herr. Aber bis Österbro hinaus ist ’ne ordentliche Strecke. Ich bin kein Marathonläufer, Herr. Bis ich zu Fuß da rauskomme, bin ich bis an die Ellenbogen verschlissen. Und mit der Straßenbahn kann ich nicht fahren. Vorhin hatt’ ich noch einen Fuffziger, aber den hab’ ich verloren. Ich hab’ ’n böses Loch im Stiefel.“
Bruhn zieht lächelnd ein Zweikronenstück aus der Tasche. „Hier haben Sie Vorschuß. Wenn Sie mir Nachricht bringen können, mach’ ich den Fünfer voll, verstanden?!“
„Klar, mein Herr!“ Der Mann schnappt das Geldstück und zaubert es mit behendem Schwung in seine Rocktasche. „Besten Dank. Morgen früh um zehn bin ich wieder hier. Wenn Sie dann mal rausschauen wollen — ich verkehre nicht gern im Hotel d’Angleterre.“
Peter Bruhn sieht dem Mann lächelnd nach, der gemütlich in der Richtung der nächsten Straßenbahnhaltestelle davonschlendert, und überlegt einen Augenblick, ob er da eben richtiggehend von einem Eckensteher geneppt worden ist oder nicht.
Frau von Gejerstramm sitzt an einem Kaffeetisch, als Peter Bruhn in das Hotel zurückgeht. Aber sie hat Menschenkenntnis genug, um zu wissen, daß sie jetzt den Mann nicht anreden darf, wenn sie sich nicht eine entscheidende Absage holen will. Außerdem hat sie Zuwachs bekommen. Ihr Neffe Lothar und die Dame, die Frau von Gejerstramm als eine „große Partie“ bezeichnet, sind ebenfalls aus dem Hotel gekommen und haben an dem Tisch Platz genommen.
„Wer ist eigentlich der Gentleman?“ sagt die Dame, die von Frau von Gejerstramm mit Frau Smith-Lessons angeredet wird, Peter Bruhn interessiert nachblickend. „Sie saßen ja vorhin mit ihm zusammen in der Halle.“
„Einer meiner Klienten,“ bemerkt Frau von Gejerstramm würdevoll und entzieht mit vorwurfsvollem Seitenblick ihrem Neffen das dritte Stück Sahnentorte, das er sich eben auf den Teller gelegt hat.
„Ein guter Kopf.“ Frau Smith-Lessons paßt ihre geschmeidige Figur nachlässig der Lehne des Korbsessels an. „Warum stellen Sie mir den Herrn nicht vor?“
„Herr Bruhn ist bereits vergeben, Frau Smith. Eine sehr glückliche Partie. Für Sie, meine Teure, habe ich etwas Besseres in Aussicht.“
„Danke, ich weiß.“ Frau Smith wirft einen gelangweilten Blick auf ihren Tischnachbar.
Frau von Gejerstramm seufzt tief. Unglaublich, wie schwer es die Leute einem machen! Frau Smith-Lessons wäre so gerade die richtige Frau für Lothar gewesen, und der Junge ist rein verschossen in sie. Aber Frau Smith scheint sich für Herrn Peter Bruhn zu interessieren. Und der wieder bändelt mit einem kleinen Mädel an, das ... Kinder, Kinder, warum macht ihr eigentlich euch selbst und einer erfahrenen Frau das Leben so sauer!
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