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silbernen Tuladöschen gedreht, zwischen die Lippen. Sie hatte sich jetzt, nachdem sie wie gewöhnlich anfangs zwischen mehreren Sprachen geschwankt, entschlossen, deutsch zu reden, in der Erinnerung, dass ihre Schwiegertochter ja eine Reichsdeutsche sei. Für sie selbst, die geborene Russin, die von einem deutschen Gatten, Iwans Vater, geschieden war und dann zwei andere Männer, einen Franzosen und einen Dänen, begraben hatte, war der Begriff der Nationalität im Lauf der Zeit ebenso fragwürdig und unbestimmt geworden, wie bei Petruscha van Bibber.

      „Nein,“ wiederholte sie, „deswegen hab ich dich ja hinaus in die Wüste gebeten — zu einer unnützen alten Frau und zu dem Onkel Petruscha, den du wahrscheinlich ja ebensowenig ausstehen kannst wie ich ...“

      Der alte Herr erwiderte nichts, sondern warf nur Marja einen leidenden und entschuldigenden Blick zu, der etwa hiess: „Du weisst ja, wie sie ist. Sie nimmt nichts ernst, was sie sagt, wir kennen sie ja ...“ Madame Mascha Westrup hatte inzwischen heftig geraucht und versetzte jetzt tiefsinnig: „Ach ja — meine Liebe! Ich bin krank ... sehr krank ... die Ärzte morden mich ... zollweise ... nun, das ist ihr Handwerk ... Gott schuf sie ... zum Glück tu’ ich nicht, was sie wollen ...“

      Sie goss ihrem Gast Tee ein und sagte dabei ganz geschäftsmässig: „Wenn ich tot bin, müsst ihr mich vom Strastnoy Monastir, vom Leidenskloster in der Twerskaja aus, begraben. Seit zehn Jahren bitte ich darum. Aber ihr werdet’s ja doch nicht tun. Ihr ärgert euch zu sehr, dass ihr nichts erbt. Mein Geld reicht gerade noch so weit wie ich ...“

      Seit sie die Fünfzig überschritten — seit einem guten Jahrzehnt, sprach sie mit Vorliebe von ihrem demnächstigen Ende und war auch wirklich krank und wusste es und die anderen wussten es auch und sahen nur noch um Mund und Augen des gealterten Weltkindes durch die scharfe und spöttische Leidensmaske hindurch die Spuren einstiger Schönheit. Aber jetzt lächelte sie schadenfroh über die langen Gesichter ihrer Erben, und frug den Onkel Petruscha, der, obwohl er keine Familie hatte, doch für sehr geizig und für sehr geldgierig galt: „Warum schauen Sie mich denn so kläglich an?“

      „Ich mag nicht, dass man immer vom Sterben spricht!“ versetzte der kleine Holländer verdriesslich, und diesmal lachte sie herzlich. „Was hilft’s? Wir müssen alle ’mal weg ... wir beide sogar recht bald ... und ein anderer wird Ihre blauen Baumwollpaketchen sortieren und es wird sein, als hätten sich der Mynheer van Bibber und die Mascha Nicolajewna Westrup niemals in ihrem Leben geliebt — es ist ja auch ganz gleich ... es wird allmählich langweilig ... meine Bekannten sind teils tot, teils sind es Dummköpfe ... und das einzige ist nur,“ sie wandte sich an ihre Schwiegertochter und während sie die Zigarette weglegte, wurde sie ernst: „Ich hab’ doch nur den einen Sohn — deinen Mann. Wir haben uns ja nie so recht verstanden — er und ich ... er ist ganz auf die andere Seite geschlagen, nach dem Vater, von dem ich mich ja nach wenigen Jahren wieder hab’ trennen müssen — und ich bin eben Russin geblieben — wenn auch ein wenig Deutsch und Französisch und Dänisch auf mich abgefärbt ist — durch die Ehe. Lieber Gott — man ist nicht umsonst von einem Mann geschieden und hat zwei andere begraben. Der Iwan aber ... der ist dir vielleicht zu russisch — mir zu deutsch. Wir haben uns ja auch so wenig im Leben gesehen. Früher eigentlich fast gar nicht. Jetzt nur selten. Aber ich will nicht klagen. Es ist ja meine Schuld. Wenn er kommt, ist er immer respektvoll und küsst mir die Hand und erzählt mir das halbe Stündchen, das er schon anstandshalber da sitzen bleibt, allerhand Nettes von euch und von seinen Baumwollgeschäften ...“

      Sie wurde plötzlich lebhaft und richtete sich halb auf. „Ja — aber nun, erbarmt euch — was ist das nun für eine Geschichte mit seiner neuen Fabrik ...? Alle schütteln darüber den Kopf und zucken die Achseln: Das Unternehmen sei für ihn zu gross. Und wie ich ihm das neulich einmal gesagt hab’, hat er mir das übelgenommen, und ist seitdem nicht mehr gekommen — und weiss doch, dass ich krank bin — dass drei Ärzte mich vergiften ... der Weihrauch ist vielleicht schon im Kessel, den die Popen bei meinem Begräbnis verbrennen werden — und das einzige, was mich jetzt auf der Welt noch manchmal beunruhigt, das ist doch nur der Gedanke an ihn. Er ist ja nun einmal mein einziger Sohn ...“

      „Ja — ich verstehe von seinen Geschäften so wenig!“ sagte Marja bedrückt. Onkel Petruscha aber räusperte sich und begann mit grosser Bestimmtheit, — denn das war sein Fach:

      „Ich hab’s Ihnen schon oft auseinandergesetzt, Mascha! Aber Sie hören ja nie ordentlich einem Menschen bis zu Ende zu. Die Sache ist die: Was Iwan von seinem Vater geerbt hat, das hat er in die Manufaktur hineingesteckt — und noch bedeutend mehr ... an Schulden ... denn unter einer halben Million kann man heutzutage eine Spinnerei in Moskau nicht einrichten — das alles muss nun herausgewirtschaftet werden. Vor anderthalb Jahren hat er mich gefragt, ob ich ihm das Geld vorstrecken wolle. Ich hab’ ihm geantwortet: Vorstrecken nicht — aber ich bin bereit, mich damit an der Firma zu beteiligen. Ich übernehme die kaufmännische Leitung, du die technische Aufsicht in der Fabrik. — Das schlug er rundweg ab. Er sei lange genug von seinem Vater gegängelt worden. Er wolle nicht schon wieder einen Vormund über sich haben! Nun — dabei blieb’s und wenn wir uns seitdem sehen, dann schütteln wir uns die Hand und reden vom Wetter — aber nicht mehr von Geschäften ...“

      „Aber einen Rat könnte man ihm doch geben!“

      „Erstens hat er keinen verlangt ...“ Der grämliche, kleine Baumwollagent hüstelte dabei trocken, mit einer leichten Empfindlichkeit über diese unverdiente Nichtachtung. War doch seine Warenkenntnis in der ganzen Branche berühmt. „Und zweitens würde es nichts helfen. Es gibt Leute, die nur durch Schaden klug werden. Zu denen wird er, wenn mich nicht alles täuscht, auch gehören. Die Geschichte wächst ihm über den Kopf — in einer Zeit wie jetzt ... wo wir alten, ausgepichten Kaufleute an der Börse kaum mehr aus und ein wissen ...“

      Und nach einer Weile fügte er seufzend hinzu: „Ich warte auch nur noch, bis diese Krisis vorüber ist. Dann ziehe ich mich endgültig zurück — nach Hause — nach den Niederlanden. Ich fürchte nur, in Scheveningen wird es mir auf die Dauer zu windig sein. Ich schwanke jetzt zwischen Delft und Utrecht.“

      Dies holländische Projekt kannte man. Darauf antwortete niemand mehr. Es trat ein kurzes Schweigen ein. Mascha Westrup lag auf dem Sofa und rauchte und schüttelte leise, wie eine Fliege abwehrend, den Kopf über die Grillen des Alten und seine finanziellen Sorgen. Sie persönlich war in Geldsachen stets der Leichtsinn selbst gewesen und hatte das Vermögen zweier Männer — des Franzosen und des Dänen — durchgebracht, ohne sich darüber ein graues Haar wachsen zu lassen. Der Silberglanz auf ihrem Scheitel, der kam von anderen Dingen — vom Gram darüber, dass sie ihr Leben nicht noch einmal von vorn anfangen konnte, wie sie es so gerne genau ebenso noch einmal getan hätte.

      „Nun — mit Gott, Petruscha!“ sagte sie unvermittelt und hielt dem alten holländischen Deutschrussen, der noch gar keine Anstalten zum Aufbruch gemacht hatte, die Hand zum Lebewohl hin. Daraufhin erhob sich Petruscha van Bibber und verabschiedete sich in umständlicher Weise — die Höflichkeit und Behutsamkeit selbst. Er war nicht böse auf Madame Westrup, dass sie ihn wegschickte. Das hatte sie den Menschen ihrer Umgebung allmählich abgewöhnt. Draussen auf dem Flur dauerte es noch eine geraume Zeit, bis er mit Hilfe der Hausmädchen in all seinem Pelzwerk, Schals und hohen Filzstiefeln verpackt war. Dann hörte man vor dem Fenster, wie er den Kutscher ermahnte, nicht wieder so unvernünftig schnell zu fahren, und endlich wurde es wieder ganz still in der tiefen Ruhe des winterlich verschneiten Parkes um das einsame Haus und in diesem selbst. Man hörte förmlich die Dämmerung, den langen dunklen Abend kommen und auf leisen Sohlen durch die niederen menschenleeren Zimmer schleichen und ihren launischen Luxus behutsam mit grauen Schleiern verhüllen.

      Mehr noch als sonst hatte Marja ihrer Schwiegermutter gegenüber, die sie so selten sah, eigentlich kaum kannte, das Gefühl des einander ewig Fremd- und Fernseins. Das waren zwei zu verschiedene Welten — die grosse, in der jene gelebt und geliebt — die kleine, die sie selbst umfing — es lag zu viel dazwischen, als dass man sich je verstehen konnte. Und Marja wollte das auch eigentlich gar nicht. Sie in ihrer heiteren Ruhe empfand ein Unbehagen vor einem Leben, vor solchen Erinnerungen, wie sie jetzt wohl hinter der blassen, übergrauten Stirne da drüben wohnen mochten.

      Auf dieser Stirne vertieften sich die Furchen. Mascha Westrup

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