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Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Du bist die Ruh!
Год выпуска 0
isbn 9788711507063
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Aber du brauchst doch nicht gleich wieder mit ihm Freundschaft zu schliessen. Nur versöhnen sollt ihr euch! ...“
Iwan Michels unterbrach seine Wanderung im Zimmer und blieb vor seiner Frau stehen. „Oh Goluptschik!“ sprach er. „Mein Täubchen — das sagst du so! Und wer soll den ersten Schritt tun? Ich? Ich soll zu ihm hingehen und ihm sagen: hören Sie, Alexander Karlowitsch oder lieber Wieprecht oder wie ich ihn nun anreden will ... Sie haben zwar damals, vor vier Jahren, mich ohne Grund und Recht auf das bitterste gekränkt und nie ein Wort der Entschuldigung dafür gefunden ...“
„Aber, Mischa ... was hat er denn schliesslich so Furchtbares getan? Er hat dich nach dem Tode deines Vaters gewarnt, den grossen Neubau der Fabrik zu unternehmen, weil du der kaufmännischen Leitung nicht gewachsen wärest ...“
„Und wie hat er das gesagt! Mit was für Worten hat er mir dies Armutszeugnis ausgestellt, um mich nur recht zu demütigen und zu beschämen? Du kennst ihn nicht! Du hast ihn nie gesehen! Du weisst nicht, wie masslos schroff er in Geschäften sein kann, der sonst, im gewöhnlichen Leben, immer so leichthin und liebenswürdig ist. Er hat mir in aller Ruhe Dinge ins Gesicht gesagt, die ...“
„Das beweist doch vielleicht gerade, dass er es gut mit dir gemeint hat ...“
„Ich danke für eine gute Meinung, die einen so ... zum Hohlkopf, zum armseligen Menschen stempelt. Du hättest ihn sehen sollen, wie er da im Lagerraum gestanden ist, und während er sprach, ein paar Baumwollfäden aus dem Muster gezogen und betrachtet und dabei ganz beiläufig und gleichgültig geäussert hat: ‚Na — jedenfalls, lieber Michels — wenn Sie glücklich Ihr Vermögen bei der Geschichte verpulvert haben — ein Posten hier bei uns, wie Sie ihn früher hatten, soll Ihnen immer offen sein!‘ Da hab’ ich denn doch meine Galoschen gesucht und meine Pelzmütze aufgesetzt und ihm gesagt: ‚Ich danke Ihnen für Ihr Gnadenbrot im voraus und möchte Sie der Mühe überheben, einen Mann, von dem Sie eine so geringe Meinung haben, künftig auf der Strasse zu grüssen!‘ Und er hat nur die Achseln gezuckt und immer seinen Baumwollstapel gezogen: ‚Lieber Michels, es kommen und gehen so viel Leute um mich! Ich halte keinen! Da swidanje! Leben Sie wohl!‘ Und so sind wir geschieden und dabei muss es bleiben!“
Er hatte sich hingesetzt, weniger einen Ausdruck des Zorns, als den einer jahrelang eingewurzelten Kränkung und Verbitterung auf dem bärtigen, derb gesunden Gesicht. Seine Frau war hinter ihn getreten. Sie fuhr ihm mit der Hand leise beschwichtigend über das rotblonde Haar. Dabei erhellten sich wieder seine Züge. Er schaute lächelnd zu Marja auf, mit jenem dankbarfreundlichen Schimmer in den Augen, den er immer für sie hatte. Und nun fing sie an zu reden. „Oh Mischa!“ sagte sie strafend und streichelte ihm weiter den Scheitel glatt. „Du bist und bleibst ein Bär und gehst viel zu schwer und wuchtig durch dies Leben und nimmst alles viel zu tief. Das ist alles gar nicht so schlimm, wie du denkst!“ Sie beugte sich herab und flüsterte ihm ins Ohr. „Du bist nur viel zu empfindlich, Mischa! Das hab’ ich dir schon so oft gesagt. Immer viel zu leicht verletzt! Weil du selbst so ein guter Mensch bist, denkst du, die anderen müssten auch alle so sein, und wenn sie’s dann nicht sind, ziehst du dich von ihnen zurück und trägst es ihnen nach und verschliesst alles in dich hinein und kommst dann mit Entschlüssen heraus, die vielleicht nicht ganz die richtigen sind, weil kein anderer sie mitgeprüft hat. Wirklich, Mischa — du musst dir eine dickere Haut anschaffen! Sonst wird es noch dahin kommen, dass du überhaupt nur noch mit mir und den Kindern verkehrst!“
„Das ist mir auch ganz genug!“ sprach Iwan Michels hartnäckig.
„Für dich vielleicht — aber nicht für deine Fabrik da draussen. Da können wir dir nicht helfen. Jetzt werd’ nicht böse, Mischa, und bleibe ruhig sitzen und höre: Ich an deiner Stelle — ich würde einfach einmal bei Gelegenheit zu Herrn Wieprecht hingehen und ihm die Hand geben und sagen: Nun wollen wir die letzten vier Jahre auslöschen! Und dann ist’s gut!“
Ihr Mann erwiderte nichts. So fuhr sie fort: „Sympathisch ist er mir auch nicht — nach allem, was ich von ihm gehört habe. Ich möchte ihn nicht kennen lernen und hier in meiner Wohnung haben. Aber wenn du rein geschäftlich wieder mit ihm zusammenkommst — das kann dir doch nur von Nutzen sein. Weisst du, was ich täte: ich führe an deiner Stelle gleich heute nachmittag hin!“
Iwan Michels war aufgestanden. Seine Frau bat ihn eigentlich so selten um etwas. Sie war zu klug, die Liebe, mit der er sie umgab, zu missbrauchen. Deswegen war es ihm schwer, ja unmöglich, ihr einen Wunsch direkt abzuschlagen. So suchte er das Gespräch abzulenken. „Nun — nun, Dorogája!“ sagte er und sie merkte, dass er sie diesmal nur ‚meine Teure‘ statt wie sonst ‚mein Seelchen‘ nannte. „Das geht nicht so rasch ... das will bedacht sein. Heute nachmittag bleib’ ich jedenfalls hübsch daheim bei dir und den Kindern ...“
„Ich fahr’ aber jetzt gleich weg, Mischa!“
„Wohin willst du denn?“
„Nach Petrowski-Park hinaus!“
„Zu meiner Mutter?“
„Ja. Sie hat mir geschrieben, ich möchte sie recht bald einmal besuchen! Du weisst: solch eine Aufforderung ist bei ihr eine Seltenheit.“
„Nun — da geh’ ich mit!“
„Nein — Mischa — diesmal scheint mir: es ist besser, ich fahre allein zu deiner Mutter, und du begleitest mich bis zum Smolensker Bahnhof und nimmst von da einen Schlitten zu Herrn Wieprecht.“
Sie trat dabei schon in den Vorflur, wo die Pelze hingen, und während sie in die Galoschen schlüpfte, die ihr das knieende Hausmädchen hinschob, fuhr sie fort: „Sei vernünftig ... tu’s mir zu lieb! Wenn du dann Abends zurückkommst, ist alles gut!“
Ihr Mann wurde nicht unwillig, eher traurig, dass sie ihm keine Ruhe liess. Und er wusste, wenn sie einmal ihren Kopf daran gesetzt hatte, dann gab sie nicht so leicht nach. Er wickelte sie sorgfältig in den Pelz und schlüpfte dann selbst in die Bärenhaut, in der er vorhin gekommen — und während er sich die schwarze Lammfellmütze auf den rotblonden Kopf stülpte, sagte er, bei allem Trotz ein wenig unsicher: „Und wenn mich Sascha Wieprecht nun mit den Händen in den Hosentaschen empfängt — so wie er gewöhnlich in seinem Kontor umhergeht — mir nicht einmal die Fingerspitzen zum Willkommen reicht — mir sozusagen die Türe weist — wie stehe ich dann da?“
„Erstens wird er das nicht tun — denn du sagst ja selbst: er ist anders wie die anderen — und steht über solchen Dummheiten — und selbst wenn: dann hast du einfach dein möglichstes getan, um versöhnlich und vernünftig zu handeln — und bist die Geschichte, die dich doch im stillen schon so lange drückt, auch los, so oder so ...“
Sie stiegen die Treppe hinab und währenddessen murmelte er unschlüssig: „Nun — ich werd’ es mir noch durch den Kopf gehen lassen!“ Aber sie unterbrach ihn sofort: „Das wirst du nicht mehr, sondern heute noch tun, um was ich dich bitte und was das einzige Vernünftige ist. Das siehst du doch selbst ein!“ Und er wusste nicht, wie er weiter sich des Besuches wehren sollte. Denn dass jener ihn wirklich schroff abweisen könnte, das glaubte er in Wirklichkeit selbst nicht. Dazu nahm Alexander Wieprecht die Menschen seiner Umgebung gar nicht ernst genug. Blieben sie weg — gut! Kamen sie wieder — auch gut! Ihn, den viel Gefürchteten und viel Bewunderten, brachte das nicht aus seiner Gemütsruhe.
Unten hatte der „Schweizar“, der Haushüter, bereits das Tor geöffnet und stand mit abgezogener Mütze da. Ein Hauch eisiger Winterkälte