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schien, als wollte er versuchen, wie weit er bei Marja gehen könne. Sie erwiderte ihm nichts und er sagte, wieder geschäftsmässig und trocken, zu ihrem Mann: „Nur vor einem warne ich Sie heute schon ... das ist unser ehrenwerter Charles T. Etzel — der Garnmakler. Ich sah Sie dieser Tage mit dem Gentleman aus Neuyork in einem Schlitten fahren ... tun Sie das lieber nicht wieder ...“

      Marja entsann sich des glattrasierten, mit Schmissen bedeckten Mephistogesichts, das, von einem kostbaren Biberkragen umhüllt, diesen Nachmittag einen Augenblick an der Triumphpforte vor ihr aufgetaucht war, und sie versetzte schnell: „Nicht wahr ... den Eindruck hatt’ ich auch ... das ist eine unheimliche Persönlichkeit?“

      „Wenn er bloss das wäre, gnädige Frau!“ Ihr Gast nahm sich gleichmütig eine neue Zigarette. „Das würde mich keine Sekunde hindern, mit ihm Geschäfte zu machen. Aber er ist ein dummer Kerl und das ist mir weit unheimlicher. Vor solchen Leuten hab’ ich eine kindische Angst. Wie der Kunde das erste Mal zu mir kam, da versuchte er, mir zu imponieren — mit seinem frischgeölten Mundwerk. Denn anderes Betriebskapital besitzt er nicht. Anfangs amüsierte mich diese Unschuld vom Lande mit Monokel und Lackstiefeln. Aber dann wurde er mir zu naiv und ich warf ihn hinaus. Seitdem ist er gar nicht gut auf mich zu sprechen ...“

      Er stand auf und bot Marja den Arm, um sie zu Tisch in das Speisezimmer zu führen, dessen Türe das Mädchen geöffnet hatte. Dabei sagte sie, wider Willen erkältet durch seine Art, sich zu geben und zu sprechen — eine Art, die ihr doch immer wieder wie etwas Gemachtes, rein Äusserliches erschien: „Aber Sie sind à la fortune du pot gekommen, Herr Wieprecht. Sie müssen vorlieb nehmen.“

      Wieprecht lächelte nur zur Antwort. Es war etwas eigentümlich Vertrauliches darin — etwas verstohlen Werbendes — auch in seinen Augen — etwas, was seinen allgemein verbreiteten Ruf bestätigte. In ihr regte sich ein Widerstand dagegen — ein Unwille. Sie dachte sich: Mit was für Frauen mag der wohl verkehren! — und dachte dann weiter: Gottlob — ich brauch’ ihn ja nur diesen Abend neben mir zu haben. Dann ist’s überstanden ...

      „Und wo sind denn Ihre Kinder, Marja Genrichowna?“ frug er mit einem suchenden Blick über die Tafel, während sie sich setzten.

      „Die schlafen schon,“ versetzte sie kurz, obwohl das nicht wahr war. Sie spielten noch im Hinterzimmer. Aber sie wollte sie ihm nicht zeigen.

      Und nach kurzem Kampf fügte sie hinzu: „Und bitte ... nehmen Sie es nicht übel ... aber nennen Sie mich nicht Marja Genrichowna ...“

      „Aber Ihr Mann sagte mir doch, dass Sie eigentlich Margot hiessen und er und alle hier Sie Marja nennen ...“

      „Ja — und dass mein Vater Heinrich hiess ... gewiss ... — Aber ich liebe nun einmal die russische Art der Anrede nicht. Ich kann mich nicht daran gewöhnen. Es klingt mir zu vertraulich. Ich bin nun einmal eine Deutsche ...“

      „Wie Sie befehlen, gnädige Frau!“ versetzte Alexander Wieprecht ernsthaft. Er war nicht im Geringsten beleidigt. Iwan Michels aber ergänzte mit vollen Backen und seinerseits jetzt sehr wohlgelaunt, wie immer vor Tisch, wenn sein Auge auf Schnäpschen, Kaviar und geräuchertem Fisch ruhte. „Eine Norddeutsche, Wieprecht! — Nehmen Sie noch ein Gläschen ... Gott liebt die Dreizahl ... wot ... da sehen Sie nun zu, wie Sie sich mit meiner Frau vertragen ... das sind andere Leute — die Reichsdeutschen ... da müssen wir russischen Bären uns zusammennehmen!“

      Er lachte und schlürfte in behaglichster Feierabendstimmung die Suppe und biss in sein Pastetchen. „Das hätten Sie mal auf der Hochzeit sehen sollen — in Deutschland — da waren die Verwandten meiner Frau ... lauter Richter und Geistliche und Professoren mit ihren Frauen — auch ein paar Offizierchen und Studentchen und junges Volk — was die für Augen gegen die Marja hin machten, als ich ihnen präsentiert wurde und sie gleich nach unserem Brauch auf die Backen küssen wollte ... Da konnt’ man förmlich lesen: Also das ist dein künftiger Gatte — dieser wilde Mann aus Moskau — ein Kerl, der nichts gelernt hat als Garn zu spinnen ...? Aber erbarm dich, Seelchen: wie kann man nur? ...“

      „Ach, Mischa ... das erzählst du immer und es ist doch gar nicht wahr ...“

      „Es ist wahr!“ bekräftigte Iwan Michels. „Warum denn auch nicht? Sie waren ja alle sehr nett gegen mich ... sehr herablassend ... nun — und wenn sie von Musik oder Büchern oder derlei sprachen, dann hab’ ich eben hübsch stillgeschwiegen. Aber ein bisschen Angst hatten sie doch immer, ich könnt’ mich mal unversehens entpuppen und bei Tisch ein Talglicht herausziehen und daran knabbern oder eine Flasche Wodka hinterm Rockschoss vorholen. Schon wenn ich vor dem Essen mein Schnäpschen trank, erklärte deine Schwester immer halblaut, dass ich’s nicht hören sollte, den Umstehenden: ‚Mein künftiger Schwager ist nämlich Russe — oder so gut wie Russe ...‘ da hab’ ich innerlich darüber lachen müssen, wenn es mich auch ein klein wenig verschnupft hat ...“

      „Ach ... du bist immer viel zu leicht gekränkt!“ sagte seine Frau. Es war ihr unbehaglich, dass er diese Geschichten vor dem Gast erzählte. Sie glaubte in Wieprechts Mienen einen ganz leichten Spott über ihren Gatten zu lesen, ohne dass es ihr klar wurde, woher dieser Eindruck kam. Denn eigentlich war sein Gesicht ganz unverändert, lässig höflich und ein wenig müde, auch ihr gegenüber, seit sie ihn vorhin so deutlich zurück- und zurechtgewiesen. Endlich entdeckte sie: es lag an seiner Stimme. Die hatte, wenn er zu Iwan sprach, einen leise ironischen, gutmütig beschützenden Klang — die Tonfärbung eines, der den andern in aller Freundschaft und Vertraulichkeit doch weit unter sich sieht. Und was noch schlimmer war: Ihr Mann nahm dies Verhältnis selbst auch als gegeben an — wahrscheinlich ohne es zu wissen und zu wollen. In der Art, wie er auf Alexander Wieprechts Worte hörte und ihm erwiderte, lag nicht nur die Freude über die endlich glücklich vollzogene Versöhnung — obwohl ihm mit der offenbar eine wahre Zentnerlast vom Herzen gefallen war — sondern auch ein unbändiger, kaum ein wenig durch seine breite Gemütlichkeit gemilderter Respekt. Wozu nur? Er war doch Jenem, unter dessen Leitung er einst gearbeitet, gleichalterig — ein selbständiger Fabrikant, wenn seine neue Spinnerei auch nicht so riesig war wie die Aktiengesellschaft, an deren Spitze Wieprecht stand — er hatte es jetzt doch nicht mehr nötig, zu dem aufzuschauen, wie der Schüler zum Meister, und zu tun, als sei es eine Gnade, dass ein solcher Mann ihm für morgen seinen Rat in Aussicht gestellt.

      Dabei vergass sie ganz, dass sie selbst diese Begegnung eingefädelt hatte. Das kam von der Abneigung, die sie gegen ihren Gast empfand. Oder eigentlich eine Beklommenheit, wie sie sie sonst gar nicht an sich kannte. Die wuchs und wuchs und machte sie wortkarg. Sie sehnte das Ende des Mahls herbei, während Wieprecht, der gar nichts davon zu merken schien und sich überhaupt im Gespräch immer mehr an ihren Mann wandte, diesem eine lange und sonderbare Geschichte von der Entdeckung neuer mächtiger Erdölquellen im Innern von Sumatra erzählte, die den Petroleummarkt in Baku und auch hier in Moskau in grosse Heiterkeit versetzt habe. Der unterirdische Naphtasee sei so plötzlich erschlossen und angebohrt worden, dass der Springbrunnen sofort bis über die höchsten Palmbäume hinausspritzte. Nun könne man mitten in der Wildnis das Loch nicht mehr stopfen. Man habe schon alles hineingeworfen ... Erde ... Steine ... tote Büffel ... Baumstämme ... umsonst ... die Quelle arbeite weiter ... der Urwald stehe schon stundenweit unter Petroleum ... die Schimpansen flüchten ... die Eingeborenen reissen vor Entsetzen die Mäuler auf ... und die Mynheers stehen mit langem Gesicht daneben und beten: Herr, halt ein mit deinem Segen ...

      Iwan Michels lachte schallend. So etwas amüsierte ihn. Und Marja lachte mit, obwohl sie gar nicht recht zugehört hatte. Mit einem leisen Gefühl der Befreiung liess sie im Salon, in den sie nach Tisch zurückkehrten, Wieprechts Arm los und frug ihren Mann hastig, als wollte sie ihn zurückhalten: „Wo gehst du denn hin?“

      Er winkte mit der Hand. „Lass nur ... mach nur inzwischen für uns Kaffee. Ich will nur für die Kinder da nebenan in der Ecke etwas herrichten ... für morgen ... ich hab’ ihnen was mitgebracht ...“

      Damit kauerte er sich im Nebenzimmer in einem Winkel hin und fing an, ein weisses hölzernes Spielzeug, eine aus zahlreichen geschnörkelten Türmchen, Häuschen und Festungszinnen geschnitzte Nachahmung des berühmten Jungfernklosters vor den Toren Moskaus auf einem vorgezeichneten Papierplan aufzubauen. Das sollten Grischa und Tanja morgen beim Frühstück

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