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      „Wo kommt ihr denn her?“

      „Wir sind gleich über die Wiesen gefahren“, sagte Reni rasch, und Erika murmelte:

      „Weil wir so lange warten mußten in der Mühle!“

      „Ja, seid ihr denn glatt durch den Bach gekommen?“ fragte Herr Niethammer erstaunt. Reni wurde feuerrot, und ihre Mutter sagte schnell: „Das Wasser ist nicht hoch, jetzt, bei der Hitze!“

      Es war ihr gar nicht recht, daß sie den Kindern so beisprang, aber im Augenblick ging es nicht anders. Nach Tisch nahm sie die beiden ins Gebet. „Daß mir sowas nie wieder vorkommt!“

      Erika nahm ihre Ermahnungen sichtlich ernst, Reni dagegen schien wenig beeindruckt. Es war ja nichts passiert ... Am Nachmittag war sie bereits wieder auf der Koppel: Fohlenrennen. Erika saß am Rand und mochte nicht mitmachen. Sie hatte Bauchweh von den vielen Äpfeln, die sie gegessen hatte.

      Reni hatte nie Bauchweh. Sie glaubte auch Erika nicht ganz, aber das war unrecht: Erika hatte wirklich Bauchweh und legte sich gegen Abend hin. Am andern Tag mußte sie im Bett bleiben und bekam Haferflocken, denn sie hatte einen verdorbenen Magen.

      Reni war nicht so herzlos, daß ihr das nicht leid tat. Sie saß bei Erika am Bett und bewunderte, da sie ja nun doch nicht hinauskonnten, die dreizehn Puppen, die Erika hatte. Sie waren wirklich hübsch. Sie setzte sie alle in Reih und Glied aufs Fensterbrett, dann aber wußte sie nichts mehr mit ihnen anzufangen.

      „Ich muß überhaupt noch einen Brief schreiben“, sagte sie plötzlich. „Hast du Briefpapier?“

      Ja, Erika hatte welches, hellblaues und rosa mit kleinen Blumenbildern und ihrem Monogramm, E. N., oben in der Ecke.

      „Ob man das nicht ändern kann?“ fragte Reni. Aber ihre eigenen Anfangsbuchstaben waren zu verschieden von denen Erikas. Schließlich meinte sie, man könnte es dem Onkel Doktor ja erklären, warum das oben auf dem Briefbogen stünde.

      „Schreibst du an den Doktor?“ fragte Erika. Sie hatte gedacht, Reni würde an irgend eine Freundin schreiben wollen.

      „Ja, er muß doch wissen, wie es mir geht. Schreib du ihm doch auch“, sagte Reni eifrig und brachte der Freundin eine Unterlage, einen Bogen und einen Bleistift. „Der genügt, weil du doch im Bett schreibst, ich nehm’ natürlich Tinte. Hoffentlich mach’ ich keinen Klecks.“

      Sie machte aber doch einen. Weil er aber erst passierte, als der Brief schon vier Seiten lang war, konnte niemand erwarten, daß sie deshalb noch einmal von vorn anfing. Da vom Radieren Kleckse noch nie wirklich weggegangen sind, ließ sie ihn stehen, lachte dann und malte ihm einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine an. Nun war er ein kleiner dicker Mann. Inzwischen war auch Erika fertig geworden, und Reni steckte beide Briefe in einen Umschlag, adressierte und klebte ihn zu. „Und jetzt spielen wir, Mensch, ärgere dich nicht‘!“

      Am andern Tag war Erika wieder gesund. Aber nun regnete es. Regen auf dem Land ist für Kinder schrecklich langweilig. Reni dachte mit Wehmut ans geliebte Heim — da gab es an solchen Tagen Kasperletheater oder Märchennachmittag oder sogar mal Kino. Hier gab es all so etwas nicht. Erika sah mit Schrecken, daß Reni sich langweilte — „Wir gehen in die Bodenkammer“, schlug sie vor.

      Das war eine gute Idee. Dort oben standen alte, dunkle Regale mit grünen, zerschlissenen Vorhängen davor, und darin konnte man die schönsten Entdeckungsreisen machen. Alte Bücher, verstaubte Spielsachen, Puppenstuben, Schachfiguren ohne Brett, ein zoologischer Garten mit Papiermaché-Heren—an Langeweile war nicht mehr zu denken. Zum Schluß aber fanden sie das Schönste: eine Truhe mit Maskenkostümen. Nun konnten sie sich verkleiden, wunderbar!

      Reni schrie und lachte vor Vergnügen, während sie eins nach dem andern hervorkramte. Bunte Schleier, knisternd steife Silbermützen, ein Pierrotkostüm, ein Schornsteinfegeranzug und vielerlei Larven. Reni kroch in alle Jungensachen, sie verkleidete sich so gern als Junge, während Erika sich als Königin der Nacht drapierte — in einem dunkelblauen Seidenkleid mit langer Schleppe und einem Halbmond in den offenen Haaren sah sie wirklich so aus, wenn sie durch den Bodenraum rauschte, mit hocherhobenem Haupt und majestätisch wie eine geborene Durchlaucht.

      Auf dem Boden schlief auch die Mamsell, sie hatte das Giebelzimmer nach Westen. Es war nicht verschlossen, Erika huschte hinein.

      „Wie hübsch das hier ist!“ sagte Reni verwundert. Sie konnten die Mamsell nicht sehr gut leiden, weil sie immer schimpfte. Reni und Erika behaupteten, sie wäre geizig ... das sagen wohl alle Gutskinder von ihren Mamsellen. Aber man kann ja nicht erwarten, daß diese braven Wirtschafterinnen einem dauernd pausenlos Äpfel, Kuchen oder ähnliches zustecken.

      „Wollen wir ihr nicht ein Gespenst aufbauen?“ schlug Reni vor, und Erika, die sich erst neulich über die Mamsell geärgert hatte, als sie für die Puppen kochen wollte und kein Puddingpulver herausbetteln konnte, war sofort einverstanden. Sie liefen hinüber und suchten aus der Truhe einen dunklen Anzug heraus, hingen ihn über einen Besen und stopften ihn mit alten Tüchern aus. Als Kopf nahmen sie ein Handtuch, das sie zusammenwickelten, steckten die scheußlichste Larve, die sich finden ließ, davor und stülpten obendrauf einen alten Hut. So kam der Buhmann in die Stubenecke.

      „Hoffentlich kommt sie erst abends rauf, damit sie recht erschrickt”, sagte Reni, „am Tage sieht man’s gleich, daß es bloß altes Zeug ist!“

      Sie stopften das übrige in die Truhe zurück, wie es gerade kam, und liefen hinunter, um sich Vesperschnitten zu holen. Der Regen hatte übrigens aufgehört, und Herr Niethammer fragte, ob sie mit in die Schäferei fahren wollten. Natürlich wollten sie. Darüber vergaßen sie ihr Gespenst vollständig.

      Es wurde ihnen aber ins Gedächtnis zurückgerufen, und zwar sehr nachdrücklich. Schon eine ganze Weile nach dem Abendbrot — Mutter hatte sie eben ins Badezimmer getrieben und ein bißchen gescholten, sie sollten sich doch endlich beeilen — ertönte ein lautes Geschrei, und im Flur gab es ein Hin und Her und Rufen und Kreischen. Die Mamsell stand, in die Schürze heulend und an allen Gliedern zitternd im Treppenwinkel und verschwor, nie wieder auf den Boden zu gehen; in ihrem Zimmer stünde ein Kerl. Als die andern ihr das auszureden versuchten, wurde sie ganz giftig. Sie hätte ihn genau gesehen und auch erkannt, ja wohl! Ganz genau, niemand könnte ihr das ausreden! Und keine zehn Pferde brächten sie jemals wieder auf den Boden hinauf ...

      Es gab ein langes Hin- und Hersprechen, und Reni und Erika hörten hinter der angelehnten Badezimmertür zu, aber sie lachten gar nicht mehr über den durchschlagenden Erfolg ihrer herrlichen Idee. Im Gegenteil ... Schließlich gingen Herr Niethammer und ein Kutscher hinauf, die Mamsell blieb ihren vielfachen Eiden treu und unten. Nach fünf Minuten war alles aufgeklärt.

      Herr Niethammer war sehr ärgerlich, mehr eigentlich über Mamsells Anstellerei als über die Dummheit der Mädel, aber er mußte natürlich auf sie als die Urheber des Theaters schelten. Das tat er denn auch, donnerte, daß sie ganz klein und häßlich dastanden und sich in ein Mauseloch wünschten, und dann brummte er zu Mamsell:

      „So, rauf jetzt, so ein Kerl tut nichts!“

      Leider aber war die Mamsell eine von denen, die Haare auf den Zähnen haben.

      „So, rauf jetzt — kommt gar nicht in Frage! Entweder ich krieg’ jetzt endlich ein Zimmer in menschlichen Gefilden oder ich gehe zum Ersten, so wahr ich hier stehe! Immer hab’ ich schon gesagt ...“

      Ja, sie hatte schon seit je über ihre Unterbringung unter dem Dach gemault und räsoniert. Reni wußte das nicht, sie glaubte, sie allein wäre nun schuld, daß die Mamsell schließlich, um Ruhe im Haus zu bekommen, von Frau Niethammer im Fremdenzimmer einquartiert wurde. Das hatte die gerissene Dicke längst vorgehabt, und nun ergriff sie die Gelegenheit mit Wonne. Aber für Frau Niethammer war es ärgerlich und für Erika und sie schrecklich peinlich ...

      Sehr gedrückt kroch Reni an diesem Abend ins Bett. Mutter hatte sehr ernsthaft gescholten — erst die Geschichte mit dem Wagen im Bach, dann Erikas verdorbener Magen —, daß Reni daran nicht Schuld war, sah Mutter anscheinend nicht ein, Mütter sind so. Wenn sie schelten,

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