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mußte!“

      „Und als er so lange schwieg, habt ihr wieder geunkt,“ fährt Helle fort, ohne den Einwurf zu beachten. „Bis dann der Brief aus Irkutsk kam! Daß Kola selbst ihn geschrieben hat, daran gibt’s nichts zu deuteln. Ich kenne doch wahrhaftig seine Handschrift und Heinz kennt sie auch! Es geht ihm gut drüben! Er hat in Irkutsk ein bedeutend besseres Engagement als im Kosakenchor! Na also! Bangemachen gilt nicht! Schließlich werden die Verhältnisse oben in Sibirien wohl auch etwas anders sein als in Moskau.“

      „Fernost gehört auch zum Gebiet der Sowjetunion!“

      „Wenn schon. Ihr seht doch, daß alles ganz einfach in Ordnung geht. Man hat mir das Visum anstandslos gegeben. Ging sogar über Erwarten fix. Da möcht’ ich wissen, warum ich nicht reisen soll!“

      „Helle,“ sagt ihr Bruder mit besorgtem Kopfschütteln, „ich hätte nichts dagegen, wenn du wirklich nur Kola Dobkin in Irkutsk besuchen wolltest. Aber die Hauptsache hast du dem Sowjetbeamten ja doch verschwiegen: nämlich, daß du Kola überreden willst, wieder mit dir nach Deutschland zurückzukehren.“

      „Was denn sonst, mein Junge? Wir wollen doch heiraten. Oder glaubst du, ich hätte Lust, russische Staatsangehörige zu werden? Ist nicht! Vielleicht bleibe ich bei Kola, bis sein jetziges Engagement abgelaufen ist, aber dann kommt er mit mir nach Deutschland zurück. Er wird ja nicht auf zehn Jahre drüben verpflichtet sein.“

      „Das ist es eben, Helle, was uns besorgt macht. Die Sache kriegt ein ganz anderes Gesicht, wenn sie drüben erfahren, daß du Kola wieder nach Deutschland zurückholen willst.“

      „Macht euch doch nicht lächerlich! Der Sowjetunion wird ausgerechnet an Kola Dobkin riesig viel gelegen sein!“

      „Den deutschen Wolgabauern verbietet man auch, Rußland zu verlassen!“

      „Sie haben Angst vor jedem, der erzählen kann, wie’s im Sowjetparadies aussieht!“

      „Sie werden bestimmt Schwierigkeiten haben, Helle!“

      Helle Beier läßt die aufgeregten Einwände unbeachtet und wirft trotzig den Kopf in den Nacken. „Man kann auch den Teufel schwarz malen, Jungs. Wenn die Verhältnisse in Rußland so furchtbar wären, wie ihr sie immer darstellt, dann wäre Kola gewiß nicht hinübergegangen, oder er wäre längst zurückgekommen. Und auch sonst übertreibt ihr gräßlich. Du warst ja dabei, Heinz, und kannst es bezeugen: Nicht mal nach meiner politischen Einstellung oder dergleichen hat mich der Herr auf dem Paßamt gefragt!“

      „Das eben macht mich stutzig,“ sagt Heinz Beier nachdenklich. „Ich weiß es doch von dem Kollegen Schreiner, der voriges Jahr nach Moskau wollte. Den haben sie auf Herz und Nieren nach allem möglichen ausgefragt: Militärverhältnisse, Zugehörigkeit zu Parteigliederungen und was weiß ich alles. Obwohl der gute Schreiner mindestens ebenso unpolitisch war wie du.“

      Die Debatte muß vorläufig abgebrochen werden. Silvester Begas mahnt, die Uhr in der Hand. In zehn Minuten beginnt das Nachmittagskonzert.

      Öfter als sonst gleiten während des Spiels die Augen der Musiker hinüber zu dem jungen blonden Mädchen, das bescheiden in einer Ecke des großen Saales bei einer Tasse Tee sitzt. Helle kümmert sich wenig um die besorgten Blicke ihres Bruders und seiner Freunde. Sie hat das Gefühl, heute ein sehr großes Stück weitergekommen zu sein auf dem Weg, der zu einer glücklichen Zukunft führt, und ihre Hand streichelt heimlich das Paßheftchen in ihrer Handtasche. Morgen schon geht der Dampfer nach Wladiwostok. Von dort bis Irkutsk sind — sie hat sich längst genau darüber erkundigt — zwei bis drei Tage Bahnfahrt. In spätestens einer Woche also wird sie bei Kola sein, dem lieben Jungen. Sie ist recht böse auf ihn gewesen, damals, als er ganz plötzlich den Einfall bekam, von Japan aus nach Wladiwostok zu gehen. Viele Nächte lang hat sie sich gegrämt und gebangt. Der Bruder, die Kollegen, ihre Freundinnen und Bekannten haben ihr den Kopf heiß gemacht mit Schauergeschichten von verschleppten Russen. Aber nun ist ja alles in Ordnung. Kola geht es gut. Er hat ein Engagement in Irkutsk angenommen. Was ist schon dabei? Ob in Irkutsk oder Tokio oder Konstantinopel — ein Musikus ist bald hier, bald dort, und Helle Beier ist viel zu sehr mit dem Musikantenleben verwachsen, um das nicht ganz natürlich zu finden. Nur daß Kola etwa ganz drüben bleibt, das geht natürlich nicht. Helle Beier ist zwar der Ansicht, daß die Verhältnisse in der Sowjetunion nicht ganz so schrecklich sind, wie man sie darstellt, aber selber dorthin überzusiedeln und Russin zu werden, das kann sie sich denn doch nicht denken. Das wird Kola ja auch nicht verlangen.

      Morgen also. — Die Kapelle Begas spielt zwischen ihren Tangos und Foxtrots eben ein wehmütig-sehnsuchtsschweres deutsches Volkslied. Fast wie ein Abschiedslied klingt es, und die Japaner und Japanerinnen ringsum lauschen mit höflichem Lächeln.

      Helle sieht sich im Saal um. Ein Teil des Publikums sind Europäer, meist Engländer und Amerikaner. Dazwischen aber sitzen die Bewohner des Landes, klein, zierlich, mit ihrem ausdruckslosen, ewigen Lächeln auf den Gesichtern, fremd und unbegreiflich trotz ihrer fast durchweg europäischen Kleidung. Ja, fremd ist hier alles. Manchmal sogar häßlich. Japan besteht nicht nur aus Kirschblüten und tanzenden Geishas. Und irgendwie fühlt man sich hier immer überwacht; die Paßkontrolle und die Fremdenkontrolle sind sehr scharf.

      Wie wird es drüben in Rußland sein? Fremd natürlich, fremde Sitten und Gebräuche, die man als Westeuropäer nicht verstehen kann. Im übrigen will sich Helle Beier durch nichts entmutigen lassen, sondern unter allen Umständen, beinahe mit einem Trotz, ihren Entschluß durchsetzen.

      Als das Konzert zu Ende ist, sieht Helle, wie ihr Bruder vorne am Podium sich mit einem kleinen japanischen Herrn unterhält, der an ihn herangetreten ist. Ein paar Minuten später kommen die beiden auf ihren Tisch zu.

      „Herr Suru,“ stellt Heinz Beier den sich höflich verneigenden Japaner vor. „Er möchte mit dir über deine Reise sprechen.“

      „Nicht amtlich,“ pariert Herr Suru den etwas ärgerlich abweisenden Blick der jungen Dame, „obwohl ich allerdings im Dienst der Fremdenpolizei stehe.“

      „Woher wissen Sie denn überhaupt, daß ich nach Rußland reise, Herr Suru?“

      Höfliches Lächeln. „Solche Dinge zu wissen, gehört zu den Pflichten meines Berufes. Gestatten Sie mir, einen Augenblick in Ihrer Nähe Platz zu nehmen?“

      „Ich habe mir erlaubt, Miß Beier, um diese Unterredung zu bitten, weil ich das Bestreben habe, Ihnen behilflich zu sein,“ fährt Herr Suru fort, als Helle nicht sehr ermunternd den Kopf geneigt hat. „Sie sind im Begriff, zu Ihrem Herrn Bräutigam zu fahren, Herrn Dobkin, nicht wahr?“

      Nun hebt Helle doch überrascht den Kopf. „Ja. Wissen Sie denn etwas über Kola Dobkin? Hat Ihnen der russische Beamte ...?“

      „Die Herren Kollegen vom russischen Paßamt haben nicht die Gewohnheit, mit uns zusammen zu arbeiten,“ lächelt der Japaner. „Aber ich weiß, daß Herr Dobkin Ihr Verlobter ist und daß er am 7. März vorigen Jahres nach dreiwöchigem Aufenthalt Tokio verlassen hat.“

      „Es scheint, daß ich hier unter polizeilicher Überwachung stehe!“

      „Wie alle Fremden, verehrte Dame. Schelten Sie nicht über diese notwendige Maßnahme! Bestände sie nicht, so könnte ich Ihnen jetzt auch nichts über Herrn Dobkin erzählen, was Sie doch gewiß interessiert.“

      „Was wissen Sie denn von Kola?“

      „Nicht viel. Nur, daß Herr Nicolai Dobkin am 8. März vorigen Jahres von Yokohama aus Japan an Bord eines russischen Dampfers verlassen hat. Mit dem Ziel Wladiwostok.“

      „So viel weiß ich auch. Er hat mir am Tage seiner Abreise aus Yokohama geschrieben.“

      „Ich würde mich dieser Einzelheit schwerlich entsinnen,“ fährt Herr Suru fort, „wenn nicht damals der Verdacht bestanden hätte, daß Herr Dobkin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu dieser Reise bewogen sein könnte. Einige Tage später suchte mich nämlich Herr Asanjew, der Kapellmeister der Orenburg-Kosaken, auf und sagte mir, er und seine Kameraden seien geradezu bestürzt über die Abreise Dobkins. Das könne nicht mit rechten Dingen zugehen, denn

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