Скачать книгу

welche Rolle er in ihren Träumen spielte.

      Yvonne war durch nichts zu überzeugen, daß es keine privaten Beziehungen zwischen Tweedy und Helga gab. Nach wie vor verfolgte sie die frühere Freundin mit unerbitterlichem Haß.

      „Menschenskind, du hast ja eine Meise!” sagte Babsy eines Tages in der großen Pause, als Yvonne wieder einmal ihre Schmährede gegen Helga losgelassen hatte. „Du brauchst die beiden doch nur mal zu beobachten, dann mußt du doch merken, daß nichts zwischen ihnen ist.”

      „Denkst du!”

      „Nicht nur Babsy, wir alle denken das”, erklärte Ellen.

      Yvonne tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn. „Weil ihr behämmert seid! Ihr versteht eben nichts von Liebe! Gerade weil Helga in ihn verschossen ist, benimmt sie sich so stur. Damit wir ihr nicht auf die Schliche kommen. Aber ich werde es ihr schon zeigen, verlaßt euch darauf. Ich werde ihr Tweedy vor der Nase wegschnappen!”

      In Wirklichkeit hatte sie noch keine Ahnung, wie sie ihren Eroberungsfeldzug durchführen sollte. In der Klasse, vor versammelter Mannschaft, hatte sie keine Chance, das hatte sie schon herausbekommen. Tweedy überhörte alle verfänglichen Fragen und war gegen kokette Blicke und hochgezogene Röcke völlig immun. Sie mußte auf ein besonderes Ereignis warten, bevor sie ihre Netze auswerfen konnte.

      Dieses Ereignis trat bald ein.

      Als Yvonne eines Nachmittags während der Studierzeit aus dem Fenster sah – ohne Helgas Hilfe hatte das Lernen für sie ohnehin wenig Sinn –, entdeckte sie auf dem vorderen Tennisplatz zwei Spieler.

      Sie erkannte Tweedy, der gegen Fräulein Pförtner spielte. Da wußte sie, daß ihre Stunde gekommen war.

      Kaum war die Studierzeit zu Ende, flitzte sie nach oben in ihr Zimmer, kleidete sich in fliegender Eile um, riß ihr Racket aus dem Schrank und stürmte in den Park.

      Als sie die Tennisplätze erreichte, war Tweedy noch dort – und zwar allein. Fruäulein Pförtner war gerade dabei, den Geräteschuppen zu verschließen.

      „Oh, hallo!” rief Yvonne so unbefangen wie möglich. „Wollen Sie schon gehen?”

      Er wandte ihr sein markantes Gesicht zu, leichten Spott in den hellen Augen: „Was dagegen?”

      „Ja, zu schade”, sagte Yvonne und schwenkte ihren Schläger, „ich hätte Lust zu einem Match.”

      „Machen wir. Ein andermal.”

      Yvonne kam näher. „Haben Sie Angst?”

      „Vor Ihnen?”

      „Nein, natürlich nicht. Aber Sie haben Angst, gegen mich zu verlieren.”

      „Unter Mangel an Selbstvertrauen scheinen Sie nicht zu leiden”, sagte Dr. Jung lächelnd.

      „Stimmt”, erwiderte sie herausfordernd, „ich hätte auch keinen Grund.”

      „Spielen Sie so gut?”

      „Auch das!”

      Eine Sekunde lang blickten sich Lehrer und Schülerin abschätzend in die Augen.

      „Also versuchen wir es, damit ich nicht in den Ruf eines Feiglings komme.”

      „Bravo!” rief Yvonne. „Das hatte ich von ihnen auch nicht anders erwartet!”

      Yvonne war Tweedy in keiner Weise gewachsen. Seine Bälle kamen präzise, während ihre Treffer mehr oder weniger Glückssache waren. Sie verlor den ersten Satz mit Pauken und Trompeten.

      „Es war mir ein Vergnügen”, sagte Dr. Jung lächelnd, „machen wir Schluß für heute.”

      „Nach einem Satz?” protestierte Yvonne, „das wäre unfair, ich mußte mich doch erst einspielen.”

      „Es ist schon zu finster. Ein andermal gebe ich Ihnen gerne Revanche.”

      „Nein jetzt!” Yvonne schmollte. „So was hat es ja noch nie gegeben, daß jemand ein Match nach dem ersten Satz abbricht!”

      Dr. Jung gab nach, weil er sich nicht mit Yvonne anlegen wollte.

      Sie wechselten die Plätze. Die Dämmerung des Winterabends senkte sich rasch, und bald konnte er Yvonne kaum noch erkennen. Er erwog schon, sie diesen Satz gewinnen zu lassen, damit die liebe Seele Ruhe hatte. Doch dann hätte sie sicher noch auf ein Entscheidungsspiel bestanden. So schmetterte er harte Bälle zu ihr hinüber, so blitzschnell, daß sie sie kaum erkennen konnte.

      Plötzlich schrie Yvonne auf, und im gleichen Augenblick sah er sie stürzen. Er ließ den Schläger fallen, hechtete über das Netz und beugte sich über sie.

      4.

      Yvonne hielt das Bein angezogen und jammerte: „Mein Fuß! Ich weiß nicht, was passiert ist! Ich fürchte, ich habe ihn mir gebrochen!” Ihre großen blauen Augen standen voller Tränen.

      Dr. Herbert Jung bückte sich über sie, griff ihr unter die Arme und richtete sie auf. „Versuchen Sie mal, ob Sie gehen können.”

      Sie machte einen Schritt und sackte dann mit einem neuerlichen Schrei in seinen Armen zusammen. „Verzeihen Sie mir … oh! Ich kann nicht. Es tut entsetzlich weh!”

      Er hob sie hoch und trug sie zu einer Parkbank am Rande des Tennisplatzes hinüber. Sie schlang beide Arme um seinen Hals. Als er sie sanft niederlegen wollte, zog sie mit einem plötzlichen Ruck sein Gesicht zu sich herunter und drückte einen heftigen Kuß auf seine Lippen.

      Aber da hatte er sich schon von seiner Überraschung erholt, und es gelang ihm, sich aus ihrem Griff zu befreien. „Armes Kind”, sagte er spöttisch, „Sie scheinen einen Schock erlitten zu haben. Vielleicht sogar eine Gehirnerschütterung. Ich werde die Ärztin benachrichtigen müssen.”

      „Sie sind gemein! Oh, wie gemein Sie sind!” rief Yvonne.

      „Mit gesunden Sinnen wären Sie zu einer solchen Fehlhandlung doch gar nicht fähig gewesen”, erklärte Tweedy mit gespieltem Ernst, „eine wohlerzogene junge Dame wie Sie! Ausgeschlossen!”Er wendete sich ab.

      „Wohin gehen Sie?” rief sie verzweifelt.

      „Hilfe holen”, sagte er ruhig, „da Sie nicht auftreten können, bleibt Ihnen vorerst nichts übrig, als da zu bleiben, wo Sie sind.”

      „Bitte”, flehte Yvonne, „bitte bleiben Sie!”

      Aber er blieb nicht stehen, hörte nicht einmal auf sie, sondern schritt rasch und zielbewußt in Richtung Schloß davon. Auf halben Weg begegneten ihm Helga, Babsy und Ellen, die zwischen Studierzeit und Abendbrot durch den Park schlenderten, um frische Luft zu schöpfen. Die Dämmerung hatte sich inzwischen wie ein blauer Schleier gesenkt, und gerade als die vier aufeinander trafen, gingen die Laternen an.

      „Gut, daß ich sie treffe!” rief Dr. Jung. „Yvonne hat einen Unfall gehabt. Sie hat sich den Fuß verknackst oder gebrochen, was weiß ich. Es wäre nett, wenn Sie sich um Sie kümmern würden!.”

      Die drei Mädchen sagten gar nichts und blickten ihn nur aus weit aufgerissenen Augen an.

      Ihm wurde es unbehaglich. „Warum starren Sie mich denn so an, als ob ich ein Gespenst wäre?” rief er.

      „Ihr Mund ist mit Lippenstift verschmiert, Herr Doktor”, erklärte Babsy geradeheraus.

      Tweedy suchte hastig ein Taschentuch und beeilte sich, die verräterischen Lippenstiftspuren wegzureiben. „Na so etwas”, sagte er, „wie kann das bloß passiert sein?”

      „Ja, das ist die Frage”, ließ sich Ellen trocken vernehmen.

      „Bevor wir das Problem lösen, sollten wir aber erst mal nach Yvonne schauen.”

      Sie brauchten nicht weit zu laufen, da kam ihnen Yvonne schon mühsam humpelnd entgegen, die Ärmel ihres knallroten Pullovers dekorativ um den Hals geschlungen, den Tennisschläger unter dem Arm.

Скачать книгу