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„Danach hat sich die holdselige Prophetin nicht wieder blicken lassen?“

      „Nein, ich hörte wenigstens nichts davon.“

      „Und wie beschrieb sie der Harms?“

      „Als eine junge, wunderschöne Frau mit goldenem Haar und einem weissen, luftigen Gewand. Sie trug einen Kranz von roten Mohnblüten im Haar, von dem ein zarter Schleier herabwehte.“

      „Wie poetisch!“

      „Man sagt aber auch im Volke, dass sie einen Kranz von Kornähren oder Feldblumen trage, manchmal soll sie von einem ganzen Schwarm reizender Engelchen umgeben sein, die eifrig das Unkraut aus dem Korn jäten!“

      „Und sprachen Sie nicht von einem Lied der Roggenmuhme?“

      Soltmann nickte. „Man sang es viel in den Spinnstuben. Ich hörte es wohl und besinne mich auf die weiche, einschläfernde Melodie, ohne sie nachsingen zu können. Der Refrain jeder Strophe lautet:

      Junger Bursch, lauf schnell ins Korn,

      Die Roggenmuhme geht um da vorn!“ —

      Matthis Pries war neben dem Tisch stehen geblieben. Er räusperte sich und warf höflich ein: „Die Roggenmuhme erscheint aber auch jungen Mädchen, und da heisst es auch im Lied:

      Jungfräulein, bleib fein zu Haus —

      Im Korn lacht dich die Muhme aus!“

      „Das tut sie wohl jedes mal?“

      „Nur, wenn sich die Menschen fürchten oder so unsinnig mit der Heugabel auf sie einschlagen wie der Harms Klüssen!“

      „Es spricht sehr für die gute, menschenfreundliche Gesinnung der Roggenmuhme, dass sie ihm solche zarte kleine Galanterie nicht übelgenommen hat! Oder kam der hinkende Bote etwa nach, und entpuppte sich der reiche Onkel vielleicht später als guter Geschäftsmann, der in seinen Verwandten nur unbezahlte Arbeitskräfte nach der neuen Welt hinüberlocken wollte?“

      „Nein, die Roggenmuhme bewährte sich dauernd als freundliche Huldin“, nickte der Lehrer gewichtig mit dem Kopf: „Klüssen hat dieses Frühjahr an den Herrn Baron, kurz vor dessen Tode, geschrieben, und eine Photographie beigefügt, auf der er, kaum wiederzuerkennen, wie ein echter, rechter Dandy aussah! Er sitzt wohl für immer in der Wolle, und aus dem armen deutschen Fischerjungen ist ein schwer reicher Erbe geworden!“

      „Kündet die Roggenmuhme nur Glück, — oder manchmal auch Unglück an?“

      Laurit Stormy fragte es mit nachdenklichem Gesicht und blickte starr auf die grosse, leuchtend rote Mondscheibe empor, die ihr Licht immer heller und greller über den stillen kleinen Wirtsgarten ausgoss.

      „Wohl meistens Glück, gnädiger Herr, denn noch niemals hörte ich von irgendwelchem Unsegen, den ihre Erscheinung gebracht!“

      „Dann los dafür!“ lachte der Praktikant forsch auf und stellte sein geleertes Bierglas mit hartem Stoss auf den Tisch zurück: „Von nun an mache ich der schönen Dame im Kornfeld Fensterparade!“

      „Recht so! ich begleite Sie!“

      „Sie, Herr Leutnant? — Welch ein Glück wollen Sie denn noch suchen, nachdem Ihnen ein so freundliches Geschick schon das schönste Rittergut in die Wiege gelegt hat?“

      Der Oberförster strich schmunzelnd den weissen Bart.

      „Aber Schröder! sind Sie wirklich solch ein Barbar? Der Mensch lebt doch nicht vom Essen und Trinken allein! Bei der Jugend spielt das Herz doch eine noch weit grössere Rolle wie der Magen!“

      „Ah! ... Spiritus merkst du was?! — Nun wird mir alles klar! Die junge, schöne, holdselige Gutsfrau! Die fehlt freilich noch zu allem Glück!“

      „Hand aufs Herz, Herr Leutnant, ist sie noch nicht in Sicht?

      Laurit Stormy machte eine jähe Handbewegung.

      „Nein, meine Herren! Leider gehört sie noch ganz und gar zu den unbekannten Göttinnen!“

      „Dann müssten aber alle Flaggen der Liebe wehen, dass diesem unhaltbaren Zustand ein Ende bereitet wird, Herr Leutnant!“ schüttelte Soltmann mit einem schnellen Lächeln um die bartlosen Lippen den Kopf: „Das alte Schloss hat lange genug einsam und verlassen gestanden, nun muss einmal wieder junges Leben durch den verträumten Bau fluten, eine lachende, sonnige Gutsfrau und eine Schar lieblicher Kinder —, gerade so, wie die Roggenmuhme sich zeitweise sehen lässt, umringt von den reizenden Engelchen!“

      „Bravo, Soltmann, das soll ein Wort sein! Genau so blond und blauäugig, so wunderhold wie die Hüterin der Felder!“

      Laurit strich langsam mit der Hand durch das lockige Haar.

      „Goldnes Haar und Veilchenaugen! Sie treffen da seltsamerweise meinen Geschmack und werden es wohl kaum für möglich halten, meine Herren, dass ich, der so viel Menschen begegnete und so lange in der grossen Welt lebte, nie ein junges, blondes Weib fand, das mein Herz in süsse Fesseln geschlagen hätte! — Ob die goldhaarigen Mädchen so selten geworden sind, oder ob gerade ich keiner hübschen und liebenswerten begegnete, ich weiss es nicht; — jedenfalls habe ich bislang umsonst nach einer Verkörperung meines germanischen Geschmacks gesucht.“

      „Das ist allerdings wunderbar!“ Der Oberförster paffte ein paar dicke Wolken: „Wer aus echtem Friesenblut stammt wie ich und eine blonde Frau und vier gelbblonde Schwestern hat, der begreift das nicht!“

      „Je nun! vielleicht ist es der Roggenmuhme vorbehalten, Ihnen zu erscheinen, Herr Leutnant, und Ihnen ein wohlgetroffenes Porträt mit Namensunterschrift und genauer Adresse von einer der Schönsten aller Blondmen entgegenzuhalten!“

      „O Götter! wie wollte ich ihr so dankbar sein!“

      „Jedenfalls wäre es ratsam, des öftern um die Mittagsstunde in den Kornfeldern zu promenieren!“

      Die Gläser klangen zusammen.

      „Die Roggenmuhme soll leben! Doppelt und dreifach hoch leben, wenn sie unsern gnädigen Herrn bald unter die Haube bringt.“

      „Vivat hoch! — austrinken!“

      „Die Roggenmuhme hoch! hoch! hoch!“

      „Horch ... klingt da nicht ihr Lied von der Dorfstrasse herauf?“

      „Wahrlich, es ist’s!“

      „Seltsames Zusammentreffen!“

      Matthis Pries stellte frischgefüllte Seidel auf den Tisch. „Na, das ist nun grad kein Spuk! es sind die Mädels, die im Mondschein singen!“

      „Aber just dies Lied!“

      „Stille! — Welch eigenartige Melodie!

      Junger Bursch, lauf schnell ins Korn,

      Die Roggenmuhme geht um da vorn!“

      Laurit Stormy hob sein Glas jählings hoch empor. „Diese Mahnung werde ich gern beherzigen! Denn ich hoffe nichts sehnlicher, als den holden Spuk von Angesicht zu schauen und mich ihr als meiner Brautbitterin auf Gnade und Ungnade zu ergeben! Mag sie mich schwärmerischen Gesell tüchtig dafür auslachen, — ich grüsse die holde Fei im Mondeslicht und rufe ihr zu: „Erscheine, o holde Dame, wenn die Sonne wieder strahlt!“

      Abermals ein jubelndes Hurra hoch! Dann erhob sich der junge Gutsbesitzer und griff nach dem Hut: „Nun lasst mich meine Zeche zahlen, Matthis Pries, und gebt mir noch einmal Feuer, damit die Zigarre als Liebesfackel glüht, wenn ich an den wogenden Roggenfeldern dahinschreite!“

      II.

      Drei Tage waren vergangen.

      Laurit Stormy war durch den Wald geritten, um auf den entfernter liegenden Wiesen nach der Heuernte zu sehen, die an diesem Tage mit der Einfahrt der letzten Fuder beendet werden sollte.

      Sein Pferd scheute plötzlich vor einem Ochsengespann und brach seitlich aus, verfing sich in dem Brombeergestrüpp

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