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verschwunden und taubengraue Schatten stiegen über der Küste auf, hie und da noch durchflammt von purpurgesäumten, schwefelgelben Lichtern, welche der scheidende Tag gleich grüssenden Wimpeln der Freundin Nacht entgegen wehen liess! — Dann sank die Dämmerung tief und tiefer über das weltferne Küstendörfchen und eine wonnig frische Luft strich von den Wassern herüber und erquickte die Kreatur, welche die glühenden Sonnenstrahlen tagsüber matt und siech gebrannt. —

      In der Dorfstrasse ward es lebendig, — jenes leise, fast scheu pulsierende Leben, das dem Atemzug des schlafendes Kindes gleicht, gegen das fieberische, leidenschaftstolle Erwachen der Grossstadt nach bleierner Tageshitze.

      In Helmsdorf öffneten sich leise die Haustüren; kaum, dass ein Hund fröhlich anschlagend einen Nachbar grüsste; die Fischerfrauen und Grossmütter traten mit wohligem Aufatmen über die Schwelle, setzten sich schweigsam auf der grün gestrichenen Bank vor dem Haus oder in der Bohnenlaube des bescheidenen Gärtchens nieder und falteten die arbeitsmüden Hände im Schoss.

      Die Gatten und Väter steckten die kurzen Tonpfeifen in Brand und wechselten aller halben Stunden mit schiefgezogenem Mund ein inhaltsschweres Wort, während das junge Volk in langen Reihen die mondbeglänzte Strasse auf und nieder wandelte, erst schweigsam feierlich, dann heimlich kichernd und raunend, bis endlich der Bann gebrochen war und eine helle Mädchenstimme zu singen anhub. Alte, traute Fischerweisen, ernst und oft gar schwermütig:

      „Es sitzet die Mutter am Strand allein,

      Die Wogen, sie rauschen und ziehn.

      Mein Dierk zog weit in die Welt hinein,

      Graumövchen, sprecht, sahet ihr ihn?“

      Aber Graumövchen sah ihn nicht, und das greise Mütterlein wartet unter Tränen Jahr um Jahr ...

      Wie traurig klingt’s! und doch lacht die Mieke plötzlich leise auf und deutet nach kurzem Ellenbogenstoss gegen die Nachbarin schämig die Strasse hinab. Da kommen sie angestampft mit dem schwerfälligen Seemannsschritt, die jungen Burschen, die Netze und Riemen über der Schulter, aber ehe sie hinab zum Strand wandern, machen sie frohe Rast; der Harms spielt den schönsten Schleifer auf und plötzlich schwingt und dreht es sich im Kreise, dass die dunkeln Schatten sich gespenstisch im Mondschein wiegen.

      Die Jungen jauchzen und lachen, — und die Alten vor den Haustüren lächeln wie im Traume, namentlich wenn der Vater seines Weibes schwielige Hand drückt und unter ein paar mächtigen Tabakswolken sagt: „Weesste ok noch, Mudding? Damals an Johann’?“ —

      Ob sie’s noch weiss! —

      Welt und Himmel sind noch dieselben, nur die Menschen gehen dahin wie das Gras auf der Wiese.

      In der Holunderlaube bei Matthis Pries ist der Herrentisch nunmehr vollbesetzt, und der Lehrer Soltmann, der neben dem jungen Gutsherrn sitzt, rückt die Brille auf die Stirn empor und räuspert sich.

      „Das glaube ich wohl, Herr Leutnant, dass es Ihnen in dem grossen, alten Gutshaus zu einsam ist!“ sagt er mit leiser, etwas müder Stimme. „Ihr Herr Onkel selig passte mit seinen 78 Jahren besser dahinein. Da wohnt noch lauter alte Zeit, — da liegt noch der Schleier der Romantik. Es war jedesmal ein Ereignis für mich, wenn ich am Mittwoch ins Schloss ging, die Skatpartie mit dem Herrn Baron zu machen. Die uralten Bilder an den Wänden lebten dann für mich, die gebräunten Möbel früherer Jahrhunderte erzählten mir seltsame Geschichten, und der ganz eigenartige Duft, der so manchem vergilbten Stück anhaftete, schien mir wie seine Seele, — fremd, unverständlich für uns späte Menschen, die oft noch blinder vor den Rätseln der Vergangenheit wie vor denjenigen der Zukunft stehen!“

      Laurit Stormy blickte den Sprecher voll sympathischen Interesses an. Er liebte Menschen, die nicht nur an Kohl und Heller denken, sondern in ihrer Umgebung mehr sehen wie das Räderwerk einer Alltagsmaschine, — mag es auch manchmal etwas phantastisch klingen!

      „Das freut mich sehr zu hören, Herr Soltmann!“ sagte er freundlich. „Wenn Sie gern in dem grossen, einsamen Hause weilen, werde ich mich sehr freuen, die Skatabende des seligen Onkels wieder aufleben zu lassen!“

      „Das wäre eine gute Tat!“ nickte der Oberförster schmunzelnd. „Sie glauben nicht, Herr Leutnant, wie öde es mit der Zeit für reale Menschen in dieser Einsamkeit wird. Soltmann, der Glückliche, träumt vor jedem zerbrochenen Mustopf Romane und sieht sogar Gespenster, wo für andere Sterbliche nur ein paar Windeln auf der Leine flattern .....“

      „Joho! Gespenster? Ist das wahr, Herr Lehrer?“

      „Schon was erlebt!“

      „Potz Wetter! dann komme ich einen Hochachtungsschluck!“

      „Erzählen! Raus mit der wilden Katz!“

      „Los, Soltmann! Wo spukt’s?!“

      In heiterem Tumult klangen die Stimmen durcheinander, Stormy aber hob voll Interesse den Kopf und wiederholte: „Spuk? Etwa im Schloss? Wenn es eine holdselige weisse Dame ist, soll sie mir willkommen sein!“

      Soltmann strich mit der blassen, magern Hand nervös über das Kinn. — Er lächelte seltsam dabei.

      „Im Schloss? Nein, dort haben wohl nur die Ratten und Mäuse mal gepoltert!“ sagte er nachdenklich. „Der gnädige Herr liebte solches Larifari, wie er alles Übernatürliche nannte, nicht und unterdrückte energisch jedes Geschwätz, welches mal unter den Dienstboten laut werden wollte! — Ja, einmal, als ihm die wunderliche Geschichte mit Harms Klüssen und der Roggenmuhme zu Ohren kam, wurde er so ungehalten, dass er dem sonst so tüchtigen Knecht auf der Stelle kündigen wollte!“

      „Harms Klüssen ... Roggenmuhme? — Was ist das für eine Geschichte?“

      „Kennen wir noch nicht! Losschiessen, Soltmann!“

      „Sicher eine fulminante Gespenstergeschichte!“

      „Natürlich! Die Roggenmuhme gehört unter die Spezies aller guten Geister!“

      „Ist mir ja vollkommen neu!“

      „Ihnen auch, Schröder? Sie haben doch den Harms noch gekannt und die Sache miterlebt?“ Der Volontär nickte mit nachdenklichem Blick vor sich hin: „Ja, ja, entsinne mich. Es war damals wirklich eine komische Geschichte mit dem Harms!“

      „Nun wird die Sache aber brenzlig! Gar einen Zeugen für eine Spukgeschichte? — Obacht! jetzt verlangen wir die Beichte, Schullehrerchen!“

      „Silentium! die Geschichte von Harms und der Roggenmuhme steigt!!“

      „Hoffentlich ohne Ausschluss der Öffentlichkeit!“

      „Nee, nee, Karlchen! Sie müssen raus! Sind noch viel zu klein und graulen sich, wenn Sie abends im Bette liegen!“

      „I wo, Herr Oberförster! Ihr Herr Praktikant spielt sich nur auf den Naiven auf; um Mitternacht aber giesst er Freikugeln!“

      „Ganz recht; unter Assistenz der Roggenmuhme!“

      „Hört, hört!“

      „Nun aber bitte ich ernstlich um das interessante Erlebnis des Harms Klüssen!“ rief Stormy lebhaft. „Zuerst, Herr Lehrer, wer ist die Roggenmuhme? Ich gestehe, noch nie von dieser gewiss hochachtbaren Dame gehört zu haben!“

      Momentane Stille. —

      Soltmann räusperte sich, nippte noch einmal an seinem Glas Brauselimonade und antwortete: „So freue ich mich, Herr Leutnant, Sie mit dieser poetischsten aller Spukgestalten bekannt zu machen. Hier in der Gegend erzählt schon die Sage früherer Jahrhunderte, durch chronikalische Aufzeichnungen verbürgt, von einer sehr schönen, gespenstischen Frau, die als Hüterin der reifenden Roggenfelder grosse Verehrung des Volkes geniesst!“

      „Siehe die Allmutter Erde in der nordischen Mythologie!“

      „Mit photographischer Genauigkeit wiedererkannt! — Erda-Ceres rediviva!“ —

      „Nicht unterbrechen, bitte Fortsetzung!“

      Soltmann sass ebenso geduldig

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