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Ohren nicht.

      »Bist du jetzt total übergeschnappt? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich Vincent heiraten werde.«

      »Was denn sonst? Willst du ihm etwa sagen, dass du und ich …?« Der Rest des Satzes hing unausgesprochen in der Luft.

      Mit einem stummen Knall verpuffte Rebeccas Zorn. Sie fühlte sich so leer wie die Hülle eines geplatzten Luftballons.

      »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, murmelte sie, als sich die Tür öffnete und Schwester Regine zurückkehrte.

      »Oh, Entschuldigung. Ich wusste nicht …«

      »Schon gut. Ich wollte eh gerade gehen.« Rebecca durchquerte den Raum und verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      *

      Die Schatten wurden länger und verschwanden schließlich ganz.

      »Wollen Sie nicht endlich nach Hause gehen?«

      Daniel Norden schreckte hoch. Stieß sich den Kopf an der Schreibtischlampe.

      »Aua!« Er rieb sich die schmerzende Stelle. »Was sind das hier für Sitten? Warum gehen Sie denn schon?«

      »Weil es schon nach sieben Uhr ist und ich auch noch etwas von meiner Wohnung haben will, wenn ich schon eine so horrende Miete bezahlen muss.«

      »Nach sieben?« Der Schreck ließ den Schmerz in Vergessenheit geraten. Daniel klappte die Akte zu, in der er gerade gelesen hatte, und schaltete den Computer aus. »Hoffentlich ist Fee nicht zu wütend auf mich, dass es schon wieder so spät geworden ist.«

      »Nur, wenn du dein Versprechen von heute Morgen einlöst.«

      Fee tauchte hinter Andrea Sander auf. Auf dem Weg ins Büro ihres Mannes hatte sie ein paar Wortfetzen aufgeschnappt. Die beiden Frauen tauschten ein paar freundliche Worte miteinander.

      »Dann kann ich mich ja jetzt mit gutem Gewissen in den Feierabend verabschieden.« Andrea winkte und machte sich auf den Weg. Ihre Schritte verhallten auf dem Flur.

      »Welches Versprechen meinst du?«, erkundigte sich Daniel. Er tauchte wieder auf und stellte die Aktentasche auf den Tisch. Verstaute ein paar Unterlagen und ließ die Schlösser zuschnappen.

      Fee stand in der Tür und beobachtete ihren Mann. Sie wusste selbst nicht, warum ihr Elena und Eric in den Sinn kamen.

      »Spätestens jetzt würde Eric seiner Frau den Kopf abreißen.«

      »Habe ich ein Glück, dass du nicht Eric heißt.«

      Fee lachte leise und beschloss aber, schnell das Thema zu wechseln.

      »Du wolltest mit mir zu Enzo gehen.«

      »Ach ja, richtig. Tut mir leid. Heute ging es mal wieder drunter und drüber.« An der Tür drehte er sich noch einmal um. Ein letzter Blick zurück. Hatte er auch nichts vergessen?

      »Was war los?«, erkundigte sich Felicitas, als sie Hand in Hand Richtung Ausgang schlenderten.

      »Die Sitzung der Fachaufsichten. Die Tumorkonferenz. Ein Treffen mit Vertretern der Arzneimittelkommission. Die Sprechstunde für Privatpatienten. Eine heikle Operation mit ungewissem Ausgang«, zählte Daniel Norden die Ereignisse des Tages auf.

      Die großen Schiebetüren aus Glas öffneten sich surrend. Daniel ließ seiner Frau den Vortritt. Die Luft war angenehm kühl und trocken, der Himmel sternenklar. Trotzdem lag der Geruch nach Schnee in der Luft. Doch Felicitas achtete kaum darauf.

      »Eine heikle Operation mit ungewissem Ausgang?« Sie schickte ihrem Mann einen Seitenblick. »Das klingt nicht danach, als ob du zufrieden wärst.«

      Die Straßenlaterne beleuchtete das Gesicht des Klinikchefs.

      »Der Nerv des Patienten ist derart geschädigt, dass ich ihn nicht nähen konnte. Das ist insofern tragisch, als der Mann Sportlehrer an einem Sportgymnasium ist.«

      Jeder einzelne Fall, jedes Schicksal war eine kleine Tragödie für sich. Manchmal auch eine große. Felicitas wusste, dass sie sich nie daran gewöhnen würde. Aber Mitleid war kein guter Ratgeber. Schon gar nicht am OP-Tisch. Anders sah es mit Mitgefühl aus. Eine Portion Empathie hatte noch nie geschadet.

      »Wirst du ihm helfen können?«

      »Auf jeden Fall muss ich ihn ein zweites Mal operieren. Aber auch das ist ein Risiko. Der junge Mann hat mit Herzproblemen zu kämpfen. Broken-Heart-Syndrom.« Auf dem Weg zum Wagen erzählte er Moritz Loibls Geschichte.

      Schon von Weitem blinkten die Lichter auf. Eine praktische Erfindung. Nach solchen Tagen konnte sich Daniel abends oft nicht daran erinnern, wo er sein Auto abgestellt hatte.

      »Meine Güte!« Kopfschüttelnd ließ sich Felicitas auf den Beifahrersitz fallen. »Kein Regisseur würde so ein Drehbuch verfilmen. Zu unglaubwürdig.«

      »Und doch sind diese Geschichten wahr.« Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen. »Wie ist es bei dir gelaufen?«

      »Willst du die Wahrheit hören?«

      »Natürlich.«

      »Ich freue mich auf ein schönes Glas Wein und einen Teller Nudeln, um die Klinik und ihre Bewohner für ein paar Stunden zu vergessen.«

      Daniel lachte.

      »Du sprichst mir aus der Seele.« Er setzte den Blinker und reihte sich in dem Moment in die Kette aus Lichtern ein, in dem Schwester Elena aus der Klinik trat.

      Sehnsüchtig blickte sie ihren Freunden nach. Was hätte sie darum gegeben, mit ihrem Mann in die Dunkelheit zu fahren. Über den Arbeitstag zu plaudern. Probleme zu besprechen. Erfolge zu feiern. Doch all das gab es bei ihr nicht. Stattdessen wartete wahrscheinlich wieder ein schlecht gelaunter Eric auf sie.

      Seufzend wandte sie sich ab. Vielleicht hatte ihr Freund Matthias Weigand doch recht: Ein Partner aus derselben Berufssparte wäre die bessere Wahl gewesen. Besonders dann, wenn man in einer Klinik arbeitete und mit Leib und Seele bei der Sache war.

      *

      Für alle Fälle hatte Dr. Milan Aydin einen Schlüssel bei der Nachbarin deponiert. Von dem machte er Gebrauch, als er an diesem Abend nach Hause kam. Er schloss die Tür auf. Eine süßliche Wolke empfing ihn. Marihuana? Sein Magen zog sich zusammen. Die Klänge einer Kalimba gaben ihm den Rest. Er rollte in den Flur und warf die Tür so laut ins Schloss, dass das Krachen die Musik übertönte. Oder war es Milans Husten, das Deniz anlockte?

      »Bruderherz, willkommen in unserem Zuhause. Komm und entspann dich!« Deniz nahm ihn am Arm.

      »Lass mich sofort los!«, krächzte Milan. Mit einem Ruck machte er sich los. »In meiner Wohnung Gras rauchen? Bist du total bescheuert? Weißt du, was los ist, wenn das jemand rausfindet? Dann bin ich meinen Job los! Ein Arzt, der Drogen nimmt …« Die Miene seines Bruders ließ ihn innehalten.

      »Bist du immer so geladen, wenn du aus der Arbeit kommst? Dann bin ich ja froh, dass ich keine habe.« Deniz drehte sich um und ging auf Socken – handgestrickt, wenn Milan das richtig beurteilen konnte – ins Wohnzimmer. »Ich habe kein Gras geraucht. Das ist Vanilletabak. Der beste Wasserpfeifentabak, den es gibt. Na, komm schon.« Er setzte sich im Schneidersitz auf die Couch und hielt Milan den Schlauch hin. »Nimm einen Zug. Oder lieber eine Tasse Ingwertee? Stärkt die Abwehrkräfte.«

      »Das ist genau das, was ich jetzt brauche«, murrte Milan. Er rollte hinüber zum Sofa. Zwei, drei Handgriffe, eine Drehung und er saß neben seinem Bruder.

      »Wow, das ist ja zirkusreif.«

      »Gelernt ist gelernt.« Milan beugte sich vor. Er nahm die Tasse vom Tisch und trank einen Schluck. Eine Augenbraue wanderte hoch. »Gar nicht mal so übel.« Er lehnte sich zurück. Über den Rand der Tasse hinweg musterte er seinen Bruder. »Raus mit der Sprache! Was ist diesmal schief gegangen?«

      Deniz saugte am Schlauch. Die Wasserpfeife gurgelte und blubberte.

      »Ich verstehe die Frauen einfach nicht. Zuerst erzählen sie dir,

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