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einem Schlag fühlte sich Elena wieder wie sechzehn. Zurückversetzt in die Zeit der Unsicherheit. Des vorsichtigen Annäherns. Des ersten, schüchternen Flirts. Doch da war noch ein anderes Gefühl. Was war das nur? Endlich fiel es ihr wieder ein: Sie fühlte sich geschmeichelt.

      »Sie … du kommst ein bisschen zu spät.« Ein koketter Augenaufschlag garnierte ihre Worte. »Leider muss ich jetzt zurück an die Arbeit.« Schon lange hatte sie nicht mehr an die verlorene Unbeschwertheit der Jugend gedacht. In diesem Moment tat sie es.

      »Schade, schade.« Deniz’ bewundernder Blick folgte ihr, als sie aufstand und die Tasse vor zum Tresen brachte.

      Was für ein Pech, dass sie sich heute Morgen doch gegen Rock und Stiefel entschieden hatte. Doch so, wie Milan Aydins Bruder ihr nachsah, bekam sie sicher die Gelegenheit, ihr Versäumnis nachzuholen.

      *

      Die Schiebetüren vor der Radiologie öffneten sich. Das Fußende eines Bettes tauchte auf.

      Rebecca sprang vom Stuhl auf.

      »Da bist du ja endlich. Wie geht’s dir?«

      »Ich werde gleich operiert.« Moritz lächelte schief. »Hab mein Todesurteil schon unterschrieben.« Seine Augen wanderten durch den offenen Wartesaal. »Wo ist Vince?«

      »Ich soll dir schöne Grüße sagen. Er ist mit den anderen zum Essen gegangen und kommt später wieder.«

      Moritz’ Augen wurden schmal.

      »Du hast ihn weggeschickt.«

      Rebecca senkte den Kopf und blickte auf ihre ineinander verschlungenen Finger. Sie atmete ein und wieder aus. Endlich sah sie wieder hoch.

      »Was ist mit deinem Herzen? Können Sie dich trotzdem operieren?«

      Moritz zog eine Augenbraue hoch.

      »Vor dem Eingriff am Bein wird noch eine spezielle Herzuntersuchung gemacht.« Er musterte sie mit Röntgenblick. »Was ist los?«

      Wieder sah Rebecca weg.

      Allmählich wurde Schwester Regine ungeduldig.

      »Ich will ja nicht stören. Aber der Chef persönlich wartet auf uns.«

      Rebecca erschrak.

      »Oh, das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht aufhalten.« Sie beugte sich über Moritz. Hauchte einen Kuss auf seine Wange. Ihre Lippen streiften sein Ohr. »Wir bekommen ein Baby«, flüsterte sie und trat einen Schritt zurück.

      Vom Weg ins Untersuchungszimmer bekam Moritz nicht viel mit. Von einem Moment auf den anderen war der Elefant auf seinem Brustkorb wieder da. Verzweifelt rang er nach Luft.

      Schwester Regine erschrak.

      »Herr Loibl? Alles in Ordnung?« Ein Glück, dass es nicht mehr weit war. Mit glänzender Stirn und hochroten Wangen bugsierte sie das Bett ins Untersuchungszimmer.

      Dr. Norden sprang vom Stuhl auf, wo er gesessen und die Akte Loibl auf dem Tablet studiert hatte. Ein paar Schritte, und er war an Moritz’ Seite.

      »Was ist passiert?«

      »Ich … ich glaube … er … er hat wieder eine Attacke«, keuchte Regine.

      Daniel beugte sich über seinen Patienten.

      »Atmen Sie, Herr Loibl. Ganz ruhig. Ein und aus. Ein uns aus«, diktierte er den Takt.

      Während die Schwester Moritz mit Sauerstoff versorgte, befestigte der Klinikchef die Elektroden eines mobilen EKGs auf der Brust des jungen Mannes. Wie gebannt starrte er auf die Kurve.

      »Wieder nur eine dezente ST-Hebung. Genau wie beim ersten Mal.« Daniel schüttelte den Kopf. »Meiner Ansicht nach ist das kein Herzinfarkt. Dagegen sprechen auch die Ultraschallbilder und das Ergebnis der Blutuntersuchung.« Er wandte sich ab. Ging hinüber zum Beistelltisch und bereitete eine Injektion vor. »Keine Sorge. Das ist nur ein Beruhigungsmittel.« Der Klinikchef ließ es sich nicht nehmen, die Nadel höchstpersönlich unter der Haut seines Patienten zu versenken. »Gleich geht es Ihnen besser.«

      Dr. Norden hatte nicht zu viel versprochen.

      Moritz’ Atem beruhigte sich. Nach und nach trockneten die Schweißperlen auf seiner Stirn.

      »Was ist das, wenn kein Herzinfarkt?«, fragte er endlich.

      Daniel hatte die Gelegenheit genutzt, um nachzudenken. Eine tiefe Falte auf der Stirn, blickte er auf seinen Patienten hinab.

      »Herr Loibl, leiden Sie momentan unter emotionalem oder psychischem Stress? Hat sich vielleicht kürzlich Ihre Partnerin von Ihnen getrennt? Haben Sie Liebeskummer?«

      Mit jeder Frage wurden Moritz’ Augen größer.

      »Sind Sie Psychiater, oder was soll das hier werden?«

      »Herr Loibl!« Daniel zog eine Augenbraue hoch.

      »Tut mir leid.« Moritz zog es vor, an die Decke zu starren. »Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ja. Ich habe emotionalen Stress«, brach es plötzlich aus ihm heraus. »Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen gehen würde, wenn die Liebe Ihres Lebens einen anderen heiratet. Noch dazu Ihren besten Freund. Und sie dummerweise schwanger ist. Von Ihnen.«

      »Oh.« Dr. Norden räusperte sich. Mit so einem umfangreichen Geständnis hatte er nicht gerechnet. »Sie haben recht. Das würde mich auch umhauen.« Was war nun zu tun? Er griff nach dem Tablet. Ein kleiner Umschlag blinkte in der rechten Ecke des Bildschirms. Post aus der Radiologie. Ein paar Minuten herrschte Schweigen im Raum. »Auch wenn das nur ein schwacher Trost ist.« Dr. Norden blickte vom Tablet auf. »Die Herzkatheteruntersuchung kann ich Ihnen ersparen. Wir können uns also voll und ganz auf Ihr Bein konzentrieren. Das trifft sich eigentlich ganz gut. Bei dem Sturz wurde ein Nerv geschädigt. Wenn wir nicht schnell operieren, ist es möglich, dass er sich nie wieder erholt.«

      »Klingt ja ganz so, als wäre heute mein Glückstag«, presste Moritz durch die Lippen.

      *

      Rebecca hatte es sich anders überlegt. Statt nach Hause zu gehen und auf die Rückkehr ihres Bräutigams zu warten, suchte sie das Behandlungszimmer, in das Moritz gebracht worden war. Ihre Bemühungen zeigten Erfolg.

      »Wir sehen uns in einer halben Stunde im OP«, sagte Dr. Norden an der Tür und verließ das Zimmer. Beim Anblick der jungen Frau stutzte er. Öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Kein Ton kam über seine Lippen. Er begnügte sich mit einem Nicken, ehe er davon eilte.

      »Ich bin gleich wieder bei Ihnen!«, ertönte gleich darauf eine weibliche Stimme, ehe auch Schwester Regine das Zimmer verließ.

      Im Gegensatz zu Daniel bemerkte sie die Besucherin nicht. Rebecca wartete, bis sie am Ende des Flurs um die Ecke bog. Erst dann schlüpfte sie ins Zimmer.

      »Hey. Wie geht es dir?«

      Moritz zuckte zusammen. Er öffnete die Augen und starrte die Braut an, als hätte er eine Erscheinung.

      »Rekordverdächtig«, ätzte er. »Die Frau meines Lebens heiratet meinen besten Freund, mit dem sie mein Kind aufziehen wird. Was auch gut …« Er hielt inne. Tausend Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Es war schwer, einen zu fassen zu bekommen. »Moment mal. Ist das Kind auch wirklich von mir?«

      Rebeccas Augen glitzerten gefährlich.

      »Glaubst du, es macht mir Spaß, dich zu quälen?«

      Moritz winkte ab. Er drehte den Kopf und starrte wieder an die Decke.

      »Wie auch immer. Ich könnte uns sowieso nicht ernähren.«

      Rebecca schluckte.

      »Dein Herz?«, fragte sie heiser.

      »Das Bein. Der Bruch muss operiert und mit Platten und Schrauben fixiert werden. Danach wird Dr. Norden die Enden des geschädigten Nervs vernähen. Und dann hilft nur Beten und Hoffen.« Er zwang ein Lächeln auf seine Lippen. »Aber warum erzähle ich dir das alles? Morgen heiratest du Vincent, und in zwei Wochen

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