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Ahnung.« Inzwischen strahlte Deniz wieder von einem Ohr bis zum anderen. »Bekomme ich deinen Wohnungsschlüssel?«

      Schon als Junge hatte er seinen großen Bruder um den kleinen Finger gewickelt. Hatte ihm das größte Spielzeugauto und die roten Gummibärchen abgeschwatzt. Wirkte sein Charme immer noch?

      Der Schlüssel klimperte, als Milan ihn aus der Tasche zog. Laura, Katja und Silvie mussten wohl oder übel warten. Na ja, wenigstens steigerte das seine Attraktivität. Diese Erfahrung hatte Milan inzwischen mehr als ein Mal gemacht. Getreu dem Motto ›Willst du was gelten, mach dich selten.‹ Sonst wäre ihm die Entscheidung wohl nicht so leicht gefallen.

      »Also schön«, gab er sich geschlagen. »Bleib, solange du willst. Unter einer Bedingung.«

      »Alles, was du willst, Bruderherz.«

      »Du lässt dich nicht in der Klinik blicken. Versprochen?«

      Deniz schnappte nach dem Schlüssel und stand auf.

      »Wir sehen uns später, Mil.«

      *

      Die Vene in der Armbeuge schimmerte bläulich und wölbte sich. Wie eine Schlange!, ging es Moritz durch den Sinn. Dr. Weigand war mit dem Ergebnis seiner Bemühungen zufrieden. Er versenkte die Nadel unter der Haut. Während sich das erste Röhrchen mit Blut füllte, öffnete er den Stauschlauch.

      »Sie können die Faust jetzt öffnen.«

      Moritz wackelte mit den Fingern. Er lächelte hinüber zu seinem Freund Vincent.

      »Siehst du, sogar das Blutabnehmen habe ich ohne Ohnmachtsanfall überstanden. Du kannst wirklich zurück zu den anderen gehen. Schließlich feiert man nicht jeden Tag seinen Junggesellenabschied.«

      Vincent stemmte die Hände in die Hüften. Er machte ein paar Schritte. Kehrte an die Behandlungsliege zurück.

      »Vergiss den Junggesellenabschied. Du bist doch viel wichtiger als diese alberne Veranstaltung.« Ein Blick hinüber zu Dr. Weigand. Das letzte Röhrchen war gefüllt. »Haben Sie schon eine Erklärung für Moritz’ Herzinfarkt?«

      »Wie vorhin schon erwähnt, kann eine erbliche Vorbelastung dafür verantwortlich sein. Als weiterer Grund kommt ein bisher unentdeckter Herzfehler in Frage.« Matthias drückte einen Tupfer auf die Einstichstelle und zog die Nadel heraus. »Oder Spasmen. Gerade in ungewöhnlichen Situationen kann sich ein Herzkranzgefäß verkrampfen.« Dr. Weigand schickte die Schwester mit den Blutproben ins Labor. Dann nahm er noch einmal die Ausdrucke zur Hand, die er während der Ultraschalluntersuchung gemacht hatte.

      Zu Beginn seiner Ausbildung war es ihm wie allen anderen Menschen ergangen. Er hätte genausogut in einen wolkenverhangenen Himmel starren können. Erst mit der Zeit und vielen Kursen war es ihm gelungen, einen Gallenstein zu identifizieren. Er wusste, wie eine Gefäßverengung im Hirn aussah und erkannte die Strukturen einer Fettleber.

      »Im Ultraschall ist nichts Auffälliges zu sehen. Keine Veränderung der Herzkammern. Auch Wandbewegungsstörungen konnte ich keine erkennen.«

      Moritz nickte seinem Freund zu.

      »Siehst du, du musst dir keine Sorgen machen. Also ab mit dir auf deine Party.«

      »Vergiss es! Ich gehe erst, wenn ich weiß, was mit dir los ist.«

      Matthias Weigand steckte die Bilder zu den anderen Unterlagen in die Akte.

      »Dann können wir uns jetzt guten Gewissens der anderen Baustelle widmen.« Er rollte ans Fußende der Liege. »Zähne zusammenbeißen. Jetzt tut es wahrscheinlich ein bisschen weh.« Er legte Hand an.

      »Neigen Sie immer zu Untertreibungen?«, stöhnte Moritz.

      Matthias stopfte den Socken in den Turnschuh und beförderte beides auf den Boden. Er bewegte den Patientenfuß hin und her. Moritz zischte wie eine Schlange. Der Arzt nickte.

      »Dachte ich es mir doch. Es knirscht.«

      »Und was heißt das?«

      »Eine Krepitation ist ein hör- und fühlbares Knistergeräusch, das entsteht, wenn Knochensplitter aneinanderreiben.«

      »Klingt fantastisch.«

      Matthias verzog den Mund. Für ein Lächeln reichte es allerdings nicht.

      »Sehen Sie Ihrem Freund bitte mal tief in die Augen.«

      »Darf ich auch die Dame nehmen? Die wäre mir lieber.« Moritz zwinkerte der jungen Frau zu, die in diesem Moment in der Tür des Schockraums auftauchte.

      Matthias warf einen Blick über die Schulter.

      »Das ist doch aber kein Teilnehmer des Junggesellenabschieds, oder?«, scherzte er.

      »Ich bin die Braut.« Rebecca lächelte schmal. »Vince hat mich angerufen und mir von dem Unfall erzählt. Darf ich reinkommen?«

      »Wenn Sie meinen Patienten ablenken …«

      »Mache ich.« Rebecca trat an Moritz’ Seite.

      Diese Gelegenheit nutzte Dr. Weigand. Er zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche und fuhr an der Fußsohle entlang.

      »Spüren Sie das?«

      Moritz sah Rebecca ins Gesicht. Wie oft hatte er schon versucht, die Sommersprossen zu zählen? Bisher vergeblich. Er runzelte die Stirn.

      »Nein.«

      Der Notarzt streckte sich nach einer Nadel auf dem Beistelltisch.

      »Und das?«

      »Auch nicht.« Moritz’ Augen lösten sich von der Braut. Flogen ans Fußende zu dem Notarzt. »Was hat das zu bedeuten, Doktor?«

      »Das kann ich erst sagen, wenn ich Aufnahmen habe.« Matthias winkte Schwester Regine. »Sagen Sie bitte in der Radiologie Bescheid. Ich brauche Röntgenaufnahmen in zwei Schichten. Außerdem eine CT, um das ganze Ausmaß der Fraktur und Begleitverletzungen sichtbar zu machen.«

      Moritz’ Herz begann zu flattern.

      »Mein Bein muss schnell wieder in Ordnung kommen. Ich bin Lehrer für Sport und Wirtschaft an einem Sportgymnasium. Meine Schüler brauchen mich.«

      Dr. Weigand stand auf. Die Handschuhe schnalzten, als er sie von den Fingern zog.

      »Meine Kollegen und ich tun, was in unserer Macht steht. Aber versprechen kann ich nichts.«

      *

      Ein Liedchen auf den Lippen schlenderte Deniz Aydin durch die Behnisch-Klinik. Wie gut, dass er seinem Bruder kein Versprechen gegeben hatte. Frei von jeglichen Verpflichtungen genoss er die Muße, sich alles ganz genau anzusehen. Der Anblick großformatiger Berglandschaften, von Blumenwiesen und Ozeanen an den Wänden lud ebenso zum Verweilen ein wie die netten Schwestern hinter den Tresen. Deniz ließ es sich nicht nehmen, seinen Charme zu versprühen. Das Lachen der Frauen war Musik in seinen Ohren. Warum nur gönnte Milan ihm dieses Vergnügen nicht?

      »Wahrscheinlich will er alles für sich selbst haben.«

      Vor einer Tafel mit Wegweisern blieb Deniz stehen. Der rechte Gang führte Richtung Ausgang. Doch der linke Flur erschien ihm wesentlich vielversprechender. Ein vager Duft nach Kaffee erfüllte die Luft. Dazu das Rauschen von Wasser. Deniz überlegte nicht lange. Magisch angezogen von der Aussicht auf irdische Genüsse wählte er den linken Flur. Die richtige Wahl, wie er beim Anblick der von Palmen und Philodendren gesäumten Ladenstraße feststellte. Von einer Wand aus künstlichem Stein stürzte sich ein Wasserfall in die Tiefe. Daneben entdeckte er weiße Tische und Stühle unter dem grünen Blätterdach. Wenn das keine Einladung war! Deniz schlenderte hinüber und ließ den Blick schweifen. Was war er doch für ein Glückspilz!

      »Eine schöne Frau sollte nicht allein sein. Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?« Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte er sich zu Schwester Elena an den Tisch. »Ich lade Sie ein. Was wollen Sie trinken?«

      »Oh! Herr Aydin.«

      »Nicht

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