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genug von meinen Geschichten. Was kann ich für Sie tun?« Die flinken Augen funkelten hellwach hinter den Brillengläsern.

      Milan staunte. Im Gegensatz zu seinen Mitbrüdern machte Anselm einen sehr weltlichen Eindruck.

      »Ich komme wegen Bruder Pirmin.«

      »Eine schlimme Geschichte.« Abt Anselm schenkte Tee ein. Der Dampf schlug sich auf den Brillengläsern nieder. »Wissen Sie inzwischen, was ihm fehlt?«

      Milan schüttelte den Kopf.

      »Bisher nicht. Aber wenn ich das hier so sehe, könnte sein Zustand etwas mit der Renovierung zu tun haben. Die ganzen Baustoffe draußen …?«

      »Alles baubiologisch einwandfrei. Das sind wir schon unseren Gästen schuldig.«

      »Sie meinen die Obdachlosen«, korrigierte Milan Aydin sein Gegenüber.

      »Die auch.« Der Abt lächelte. »Aber wir beherbergen auch andere Gäste hier. Sie leben in Klausur hier, nehmen mit den Mönchen Mittag- und Abendessen ein und wohnen in einem Zimmer ohne Nasszelle und Fernseher.«

      »Klingt luxuriös«, platzte Dr. Aydin heraus.

      »Sie haben recht. In Zeiten wie diesen ist Ruhe und Einfachheit in der Tat ein Luxusgut.« Wieder dieses vergnügte Blitzen hinter den Brillengläsern.

      »Was sind das für Menschen, die ihren Urlaub in Ihren Räumen verbringen?«

      »Oh, wir dürfen die unterschiedlichsten Gäste begrüßen. Manager, die eine Auszeit vom stressigen Berufsalltag brauchen. Menschen, die das Klosterleben einmal hautnah kennenlernen wollen. Und neulich war eine sehr interessante Gruppe da. Leute, die für eine Hilfsorganisation in Südamerika gearbeitet haben.«

      Milan Aydin verschluckte sich an seinem Tee. Er hustete.

      »Südamerika?«, krächzte er.

      Der Abt sprang auf und klopfte seinem Besucher den Rücken.

      »Ja. Warum? Was ist plötzlich mit Ihnen?«

      »Danke, danke, es geht schon wieder«, wehrte Milan die Bemühungen ab. »Diese Gäste … hatte Bruder Pirmin mit ihnen zu tun?«

      Abt Anselm kehrte auf seinen Platz zurück.

      »Nicht, dass ich wüsste. Er hat höchstens ihre Wäsche gewaschen.«

      Milan stellte die Tasse so hart auf den Tisch, dass der Tee überschwappte.

      »Also doch Fleckfieber.«

      »Wie bitte?«

      Dr. Aydin lehnte sich zurück und holte tief Luft.

      »Sämtliche Symptome von Bruder Pirmin passen zu einer Krankheit mit dem schönen Namen Fleckfieber. Auslöser dieser Infektion ist das Bakterium Rickettsia prowazekii. Die Übertragung auf den Menschen ist nur durch infizierte Läuse möglich.«

      Abt Anselm konnte den Ausführungen des Arztes nicht folgen.

      »Und was haben diese Läuse mit Bruder Pirmin zu tun?«

      »Das Bakterium kommt in Deutschland nicht mehr vor. Anders ist das in Ostafrika. Oder eben in den Andentälern Südamerikas. Durch schlechte hygienische Bedingungen vermehren sich die Kleiderläuse schnell.« Plötzlich hatte es Milan eilig.

      Er packte die Greifräder und rollte zurück. »Es ist also denkbar, dass Bruder Pirmin beim Wäschewaschen mit dem Ungeziefer in Kontakt gekommen ist.«

      Auf dem Weg zur Tür schnitt Dr. Aydin eine Grimasse. »Man muss Deutschland nicht unbedingt verlassen, um sich eine Tropenkrankheit einzufangen.«

      »Die Wege Gottes sind unergründlich.« Mehr wusste auch Abt Anselm nicht dazu zu sagen.

      *

      Ein tiefes Seufzen. Annabel Ruhland legte das Handy weg. Lehnte sich zurück und rieb die Augen. Doch damit machte sie es nur schlimmer.

      »Nach eingehender Prüfung ist auch unser Sachverständiger in Berlin zu dem Ergebnis gekommen, dass den Ärzten nichts vorzuwerfen ist.« Sie zupfte ein Taschentuch aus der Box am Tisch und betupfte die tränenden Augenwinkel. »Keine Behandlungsfehler. Keine Versäumnisse. Nichts.«

      Nach rastlosem Marsch durch das Wohnzimmer hatte sich Uwe gerade erst auf einen Stuhl am Esstisch gesetzt. Insgeheim hatte Annabel aufgeatmet. Das Tappen der Schritte war alles andere als beruhigend gewesen. Doch das Glück der Ruhe war nicht von Dauer. Uwe sprang wieder auf und setzte seinen Weg fort.

      »Das war doch klar, dass sie das nicht in die Unterlagen schreiben. Dieser Dr. Norden war so kooperativ … Ich dachte mir gleich, dass da was faul ist.«

      Annabel rollte mit den Augen.

      »Papa, ich verstehe ja, dass du geschockt und verzweifelt bist. Aber das geht nun wirklich zu weit«, tadelte sie ihn sanft.

      Uwe blieb am Fenster stehen. Starrte hinaus in den nächtlichen Garten. Hinüber zu Ingas Kräuterspirale in der Ecke. Nie mehr wieder würde sie dort stehen und Thymian und Rosmarin zwischen den Fingern reiben. Und auch keine Rosen mehr schneiden und sich ins Haar stecken. Ihm nie mehr wieder lachend eine Erdbeere aus eigener Ernte in den Mund schieben.

      »Sie haben sie einfach sterben lassen.« Seine Stimme war so düster wie die Dunkelheit draußen.

      »O Mann, Papa. Warum willst du es nicht verstehen?« Auch für Annabel war der Tag lang und anstrengend gewesen. Allmählich war sie mit ihrer Geduld am Ende. »Hier steht es schwarz auf weiß: Inga ist an einer nicht therapierbaren Hirnblutung gestorben. Dr. Petzold …«

      »Diese besserwisserische, arrogante Schnepfe.« Uwe ballte die Rechte zur Faust. »Denkt, dass sie was Besseres ist, weil sie Medizin studiert hat.« Als er sich zu seiner Tochter umdrehte, glitzerten Tränen in seinen Augen. »Wirft mit Fachbegriffen um sich, statt sich anständig um meine Frau zu kümmern.« Eine Träne hinterließ eine feuchte Spur auf seiner Wange.

      Annabel sah ihren Vater an. Haderte mit sich. Sie war müde. So müde. Trotzdem gab sie sich einen Ruck und stand auf. Ging auf ihn zu und schloss ihn in die Arme.

      »Ach Papa, ich weiß ja, dass es schrecklich ist«, murmelte sie an seiner Schulter. »Aber Menschen sterben. So ist das Leben nun einmal. Ob uns das gefällt oder nicht.«

      *

      »Nachts erinnert mich die Klinik immer an ein schlafendes, wildes Tier. An einen Wolf zum Beispiel. Oder einen Wildhund. Die Augen geschlossen, aber die anderen Sinne hellwach«, plauderte Dr. Aydin vor sich hin, während er seine Vorbereitungen traf.

      Bruder Pirmin sah ihm dabei zu.

      »Ein interessanter Vergleich. Das klingt so, als würden Sie Ihren Arbeitsplatz sehr gut kennen. Und mögen.«

      »Stimmt. Ich mag ihn so gern, dass ich inzwischen sogar hier schlafe.«

      Milan legte den Stauschlauch um den Oberarm seines Patienten und zog zu.

      »Warum das denn?«, fragte Bruder Pirmin und machte große Augen.

      »Weil ich einen Schwelbrand in meiner Wohnung verursacht habe und rieche wie ein Räucherfisch, wenn ich mich länger als fünf Minuten dort aufhalte.« Aydin versenkte die Nadel unter der Haut. Er öffnete den Stauschlauch wieder. Füllte Röhrchen um Röhrchen mit dem roten Lebenssaft.

      Pirmin sah nicht hin. Er konzentrierte sich auf den Arzt.

      »Dann kommen Sie zu uns ins Kloster. Wir haben sehr schöne, schlichte Gästezimmer.«

      »Davon habe ich schon gehört.« Leise klappernd landeten die Röhrchen in der Chromschale. Milan klebte ein Pflaster auf die Einstichstelle und packte seine Utensilien wieder zusammen. »Ich habe Ihrem Abt heute einen Besuch abgestattet.«

      »Warum?« Pirmin fiel von einer Überraschung in die nächste.

      »Um herauszufinden, welches Gift Ihre Mitbrüder Ihnen ins Essen gemischt haben.«

      Pirmin

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