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auch sie einmal in den Genuss eines persischen Sprich …

      »Ah, da sind Sie ja!« Annabel Ruhlands Stimme lenkte Dr. Petzold ab. Atemlos trat Annabel neben Amir Merizani an den Tresen. »Haben Sie meinen Vater gesehen?«

      »Heute noch nicht.« Sophie neigte den Kopf. »Stimmt was nicht?«

      »Ich bekam heute Morgen einen Anruf aus der Kanzlei. Danach war Papa auf einmal verschwunden. Er ist einfach weggefahren. Ohne Bescheid zu sagen.« Annabel fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Als könnte sie so die Gedanken ordnen, die in ihrem Kopf durcheinanderwirbelten. »Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, ihn hier zu finden.«

      »Hatten Sie Streit?«, fragte Amir Merizani.

      »Schön wäre es. Aber ich bin überhaupt nicht zu ihm durchgedrungen«, gestand Annabel leise. »Als ich heute Morgen in aller Herrgottsfrüh aufgestanden bin, saß er schon wer weiß wie lange in der Küche. Er war kaum ansprechbar.« Ihr Seufzen kam aus tiefstem Herzen. »Wenn ich nur wüsste, wo er steckt.«

      »Vielleicht braucht er nur ein bisschen Ruhe. Das ist ganz normal nach so einem Schock.«

      »Ja.« Annabel starrte ein Loch in den Tresen, ehe sie sich einen Ruck gab. Den Kopf hob und sich ein Lächeln auf die Lippen zwang. »Ja, vielleicht haben Sie recht.« Sie holte tief Luft und straffte die Schultern. »Vielen Dank noch einmal für Ihre Bemühungen. Ich weiß sehr genau, was Sie für meine Mutter getan haben.«

      »Das war selbstverständlich«, versicherte Sophie und sah sich um.

      Im Laufe des Gesprächs war es unruhig geworden. Wie vor einem drohenden Unwetter. Einem nahenden Sturm. Telefone klingelten. Schwestern und Pfleger steckten die Köpfe zusammen. Das Tuscheln erfüllte die Luft.

      Auch Dr. Merizani bemerkte die Unruhe.

      »Was ist passiert?« Er sah hinüber zu Schwester Astrid.

      Sie legte den Hörer zurück auf die Gabel. Ihr Gesicht war kreidebleich.

      »Da ist ein Mann auf dem Dach.«

      Annabel schlug die Hand vor den Mund, fuhr herum und stürzte los.

      *

      Wie ein Lauffeuer machte die Neuigkeit die Runde. Jeder Patient, der sich halbwegs auf den Beinen halten konnte, machte sich auf den Weg in den Klinikgarten. Gesellte sich zu den anderen Schaulustigen, die – die Hände schützend über den Augen – nach oben blinzelten.

      »Wenn ich geahnt hätte, dass er so verzweifelt ist …« Dr. Daniel Norden beendete den Satz nicht.

      Seine Freundin und Kollegin Sophie Petzold verhinderte es.

      »Dann hättest du es auch nicht verhindern können. In so einer Situation, so absoluten Ausweglosigkeit, hältst du keinen Menschen der Welt von einem Suizid ab«, erklärte sie sachlich. »Du kannst froh sein, dass er es hier versucht. Da können wir vielleicht noch etwas tun.«

      »Dein Wort in Gottes Ohr«, stöhnte Daniel, als ein Megafon krachte und knackte.

      »Ein Pfarrer, haben wir einen Pfarrer hier?«, rief ein Feuerwehrmann in die Menge. »Der Mann will mit einem Geistlichen sprechen.«

      Alles sprach gegen Sophies Hoffnung.

      »Ausgerechnet heute liegt der Klinikpfarrer krank im Bett«, verkündete Milan, der sich zu seinen Kollegen gesellt hatte.

      »Vielleicht kann ich helfen.«

      Ein Murmeln aus vielen Kehlen. Köpfe drehten und wendeten sich auf der Suche nach dem Mann, der das gesagt hatte.

      Dr. Norden erkannte die Stimme sofort. Er schnappte nach Luft.

      »Das ist doch Bruder Pirmin. Was macht er hier?«, zischte er.

      »Das solltest du Milan fragen.« Elena sah zu Aydin hinunter.

      »Was denn! Er hat mich um Erlaubnis gefragt, sich ein bisschen die Beine zu vertreten. Ich habe es ihm erlaubt. Schließlich ist Bewegung gut für den Kreislauf.«

      »Aber nicht in seinem Zustand«, widersprach der Klinikchef.

      Dr. Aydin sah hinüber zu dem stattlichen Mann im schwarzen Habit, der sich mit dem Feuerwehrmann beratschlagte.

      »Was ist mit seinem Zustand?«

      Wohl oder übel musste Daniel seinem Mitarbeiter recht geben.

      »Erstaunlich, wie schnell er sich erholt hat«, murmelte er.

      »Vielleicht hat aber auch Bruder Augustinus recht und Pirmin ist ein Hypochonder, der uns ein bisschen an der Nase herumgerührt hat«, mutmaßte Elena, ohne den Mönch aus den Augen zu lassen.

      Wie das Rote Meer vor Moses teilte sich in diesem Moment die Menschenmenge vor Bruder Pirmin. Er schritt auf die Tür zu, verschwand im Klinikgebäude, um wenige Minuten später auf das Dach hinaus zu treten.

      Uwe Ruhland hörte das Knirschen der Sohlen auf dem Steinboden. Warf einen Blick über die Schulter.

      »Keinen Schritt weiter!« Seine Stimme zitterte.

      »Ich bin der Geistliche, mit dem Sie sprechen wollten.« Auch Pirmin klang alles andere als sicher. »Gehen Sie weg von der Kante! Ich bin nicht schwindelfrei.«

      Uwe wandte sich wieder dem Abgrund zu.

      »All die schweren Jahre. Die Entbehrungen. Der Kampf ums Überleben. Und jetzt, da Inga und ich es endlich geschafft hatten … Wie kann Ihr Gott das zulassen?«

      »Es ist nicht mein Gott. Er ist der Gott aller Menschen und Tiere. Aller Lebewesen und Pflanzen, der …«

      »Hören Sie schon auf mit dieser Haarspalterei!«, stieß Uwe durch die Lippen. »Wo war Gott, als wir ihn am nötigsten brauchten? Warum hat er meine Frau nicht beschützt?«

      Schweigen. Pirmin scharrte mit den Füßen auf dem Boden.

      »Vielleicht hat er das ja, und wir verstehen ihn nur nicht«, erwiderte er schließlich.

      Wieder ein Blick über die Schulter.

      »Wie meinen Sie das?«, fragte Uwe zögernd.

      Die Frage machte Bruder Pirmin Mut.

      »Nehmen wir an, Ihre Frau hätte überlebt, wäre aber behindert gewesen.«

      »Dann wäre sie wenigstens noch da.«

      »Egoistische Gedanken haben hier nichts zu suchen.« Pirmin wunderte sich selbst über die Strenge in seiner Stimme. »Wie hätte sich Ihre Frau entschieden, wenn sie die Wahl gehabt hätte zwischen dem Tod und einem Leben in geistiger Umnachtung, unfähig sich zu bewegen, zu sprechen.« Die drastische Schilderung war pure Absicht.

      Uwe Ruhland starrte wieder hinab in die Tiefe. Die Feuerwehrleute drängten sich zwischen die Menschen, breiteten ein Sprungtuch aus. Gleichzeitig erinnerte er sich an Gespräche mit Inga.

      »Sie hätte so nicht leben wollen«, gestand er leise.

      Pirmin nickte.

      »Und nun stellen Sie sich vor, Sie hätten den Unfallwagen gefahren. Wären verantwortlich für den Zustand Ihrer Frau«, fuhr Pirmin mutiger fort.

      »Sie hätte mich gehasst für den Rest ihres Lebens. Und ich mich dazu.«

      »Auch keine schöne Option.«

      »Aber warum musste das alles überhaupt passieren?« Uwe schrie seinen Schmerz in den Himmel. »Warum konnte Gott uns nicht in Ruhe unser Leben leben lassen?«

      Bruder Pirmin breitete die Hände aus. »Ich weiß es nicht.«

      Uwe Ruhland drehte sich um.

      »Wie? Sie wissen es nicht.« Er hatte mit allem gerechnet, mit Ausflüchten und Ausreden, aber nicht mit der Wahrheit. »Sie sind doch Mönch.«

      »Das heißt noch lange nicht, dass ich Gott verstehe. Ich versuche es. Und ich zweifle. Sehr viel sogar«, gestand der Mönch. »Aber ausgerechnet

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