Скачать книгу

gar nichts anderes vorstellen, als Mönch zu werden.«

      »Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch einmal anders, wenn Sie all die Schnecken hier sehen«, platzte Milan heraus. Diesmal galt seine Aufmerksamkeit einer der Schwestern in der Radiologie.

      Bruder Pirmin warf einen erschrockenen Blick auf den Boden.

      »Schnecken? Welche Schnecken?«

      Seufzend winkte Milan Aydin ab und übergab seinen Patienten an den Kollegen Witt. Wenig später fand sich Bruder Pirmin auf der Liege vor einer Röhre wieder.

      »Sie müssen so still liegen wie nur möglich. Wenn Sie Angst bekommen, sagen Sie bitte Bescheid. Dann brechen wir die Untersuchung ab«, sagte Reinhart Witt sein Sprüchlein auf.

      »Wie sagte Jona im Bauch des Wals: Als ich all meine Hoffnung verloren hatte, gedachte ich des Herrn.«

      Pirmin lächelte zu Reinhart hinauf. »Genauso werde ich es halten. Dann kann mir kein Leid geschehen.«

      Milan saß neben Schwester Josepha auf der anderen Seite der Glasscheibe. Ein Mikrofon übertrug das Gespräch der beiden.

      »Dieses Gottvertrauen ist bewundernswert.«

      »Sie glauben nicht an Gott?«, erkundigte sich Josepha.

      »Ich glaube an eine höhere Ordnung, aus der das alles hier entstanden ist. Aber ein alter Mann mit Rauschebart, der sich für mich und meine Hühneraugen interessiert? Nein. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«

      Die Tür ging auf. Dr. Witt gesellte sich zu seinen Kollegen.

      »Bruder Pirmin hat den Geruch in der Röhre beanstandet.«

      »Schon möglich. Wir haben ein neues Desinfektionsmittel«, erwiderte Josepha. »Das riecht ein bisschen streng.«

      »Nichts für ungut, Kollege Witt«, meldete sich Aydin zu Wort. »Aber Sie haben gerade unsere tiefschürfende Diskussion über die Existenz von Gott unterbrochen. An was glauben Sie?«

      Reinhart starrte konzentriert auf die Bilder, die live auf einen Bildschirm übertragen wurden.

      »Ich glaube, dass Ihre Theorie ­bezüglich des Churg-Strauss-Syndroms falsch ist.« Er deutete auf die Aufnahmen. »Der Patient zeigt keine vaskuläre Pathologie.«

      »Was denn? Keine Probleme mit den Blutgefäßen? Dann muss es etwas anderes sein.« Milan Aydin wusste selbst, dass diese Bemerkung nicht besonders intelligent war.

      Bruder Pirmin bewahrte ihn höchstpersönlich vor einem anzüglichen Kommentar.

      »Bitte, dieser Geruch hier drin ist schrecklich!«, stöhnte er ins Mikrofon.

      Sofort gehörte ihm die Aufmerksamkeit.

      »Holen wir ihn raus!«, befahl Dr. Witt und stürzte in den Raum neben.

      Milan folgte ihm, so schnell es seine Räder erlaubten.

      »Ich bin schon da!«, rief Reinhart dem röchelnden Patienten zu. Er drückte einen Knopf. Die Liege schob sich vor.

      Bruder Pirmin konnte es kaum erwarten. Ruckartig setzte er sich auf. Schnappte nach Luft, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen.

      »Dieser Gestank da drin … mir ist schlecht!«

      »Ganz ruhig. Atmen Sie tief ein und aus. Ein und aus!«

      »O Gott«, japste Pirmin, den Blick starr an die Decke gerichtet. Plötzlich hielt er die Luft an. »Jesus! Da ist Jesus. Er ist gekommen, um mir zu helfen.« Der Schrecken in seinem Gesicht war wie ausradiert. Keuchend und lächelnd streckte er die Arme aus. Sein ganzer Körper bebte.

      Schwester Josepha rollte mit den Augen.

      »An Gott glauben ist ja schön und gut. Aber das geht dann doch zu weit.«

      Milan Aydin hatte eine andere Meinung dazu.

      »Geruchsempfindungen und religiöse Wahnvorstellungen sind symptomatisch für ein Anschwellen der Temporallappen im Gehirn«, rief er und starrte auf seinen Patienten. Pirmins Gesicht verzog sich zu einer Fratze. Sein Atem ging stoßweise. Sein Körper verkrampfte sich.

      »Er krampft! Kiefersperre!« Dr. Witt packte den Bruder mit beiden Händen. Steckte ihm den erstbesten Gegenstand in den Mund, den er zu fassen bekam. »Schwester, helfen Sie mir, ihn auf die Seite zu legen«, befahl er Josepha.

      Sie packte mit an. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, Pirmin herumzurollen und auf der Liege festzuhalten. Sein Schlafanzug rutschte hoch. Milan Aydin erschrak. Ungläubig starrte er auf die roten Pusteln, mit denen die Flanke des Patienten bedeckt war. Sie waren vorher nicht dagewesen.

      *

      Während sich Vater und Tochter bei einem Frühstück unter Palmen stärkten, betrat Schwester Astrid das Intensivzimmer, um die Morgenwäsche zu übernehmen. Bei jedem Patienten war es das Gleiche und doch immer wieder anders.

      Kabel und Schläuche, wohin Astrid auch sah! Von der Patientin zum Überwachungsmonitor, von der Beatmungsmaschine zur Patientin. Ganz zu schweigen von den vielen Kathetern, die aus und in die Frau führten, mit entsprechenden Schläuchen und Gefäßen. Schwester Astrid schob den Wagen ans Bett, auf dem sie alle Pflegeutensilien bereitgelegt hatte.

      »So, Frau Ruhland, dann wollen wir mal«, sagte sie zu ihrer schlafenden Patientin. Wasser plätscherte, als sie den Waschlappen in die Schüssel eintauchte. Lauwarm tropfte es von ihren Händen. »Bei der Grundpflege auf einer Intensivstation könnte man meinen, man versorge ein Neugeborenes. Oder einen Mann mit Männerschnupfen.« Sie kicherte. »Bei jeder Berührung kann etwas kaputt gehen. Dabei sind Menschen sehr robust und halten einiges aus, wie man an Ihnen sieht.« Sorgfältig fuhr sie mit dem Waschlappen durch das Gesicht, bedacht darauf, die Beatmungsmaske nicht zu verschieben. »Nicht erschrecken, jetzt sind die Augen dran. Das ist wichtig, damit sich nichts entzündet. Das gilt übrigens auch für die Nase, die Sie ja nicht selbst putzen können.« Astrid tupfte um die Magensonde herum. Legte den Waschlappen zur Seite und trocknete das Gesicht mit einem weichen Tuch. »Und da sind wir auch schon bei der Zahnpflege.« Astrid legte das Tuch weg und griff nach einem langen Wattestäbchen und ein spezielles Serum. »Wussten Sie, dass bei der Mundpflege die Versorgung so individuell ist wie jeder Mensch? Zum Beispiel muss ich auf die Erkrankung des Patienten achten und darauf, welche Medikamente er bekommt.« Behutsam fuhr sie mit dem Wattestäbchen über jeden einzelnen Zahn.

      Beendet wurde das Gesichtspflegeprogramm mit einer leichten Massage. Als Astrid eine Dose aufschraubte, mischte sich ein zarter Duft nach Maiglöckchen in den Krankenhausgeruch. »Hoffentlich gefällt Ihnen unsere Gesichtspflege«, setzte sie ihren Monolog fort. Mit Fingerspitzen tupfte sie die Creme auf und massierte sie in Ingas Haut. Wahrscheinlich eine Wohltat, auch wenn die Patientin kein Lebenszeichen von sich gab. Anita stellte die Dose weg. Schon jetzt graute ihr vor dem nächsten Akt, dem Waschen des restlichen Körpers. Diese Aktion stand einem Besuch im Fitnessstudio in nichts nach. »Ein einzelner Arm wiegt im Durchschnitt 4,5 Kilogramm. Und ein Bein sogar 14.« Astrid wrang den Waschlappen aus und wollte sich ans Werk machen, als der Alarm erklang. Vier aufsteigende Töne nacheinander. Dazu blinkte ein rotes Licht. Einen Atemzug lang war sie wie versteinert. Sie stand da und starrte auf die blinkende Null auf dem Monitor gegenüber.

      »Was ist los?«

      Dr. Petzolds schrille Stimme riss Schwester Astrid zurück in die Wirklichkeit.

      »Ich habe Frau Ruhland gewaschen. Da ist plötzlich …«

      »Schon gut.« Sophie steckte die Taschenlampe weg. »Verdacht auf postoperative Hirnblutung. Sagen Sie sofort Bescheid. Frau Ruhland kommt vom CT sofort in den OP.«

      »Ja, natürlich.« Schwester Astrid stürzte davon, vorbei an Uwe und Annabel, die eben vom Frühstück zurückkehrten.

      »Inga?« Eine eiskalte Hand griff nach Uwes Herz. Seine Augen klebten auf der Ärztin. »Was ist mit ihr? Was machen Sie mit meiner Frau?« Mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter, panischer.

      Mit fliegenden Fingern steckte

Скачать книгу